Sie werden "nukleare Samurai" genannt, selbstlose Helden, die ihr Land und die Welt vor der tödlichen Strahlung aus dem havarierten Atomkraftwerk in Fukushima bewahren sollen. Sie arbeiten rund um die Uhr und gegen die Zeit, um die Superkatastrophe zu verhindern. Kaum jemand kennt ihre Namen, die Betreiberfirma Tepco gibt sie nicht an die Öffentlichkeit. Es sind über 500 Arbeiter, Techniker, Feuerwehrleute und Soldaten. Anonyme Helden – und offenbar sind sie es nicht freiwillig, wie jetzt bekannt wurde.
Industrieminister Banri Kaieda soll Feuerwehrmänner aus Tokio gezwungen haben, trotz hoher Strahlenbelastung stundenlang Wasser auf den Reaktor zu sprühen. Gouverneur Shintaro Ishihara beschwerte sich laut Medien bei Premier Naoto Kan darüber. Dazu sagte Minister Kaieda lediglich: "Wenn meine Bemerkungen Feuerwehrmänner verletzt haben, möchte ich mich in diesem Punkt entschuldigen."
"Sie bräuchten einen zentimeterdicken Schutzanzug"
Ob sie nun gezwungen wurden oder sich ihrem Land freiwillig verpflichten, klar ist in jedem Fall: Der Einsatz der Helfer ist äußerst riskant. Durch die Strahlung gefährden sie ihre Gesundheit enorm. Der Strahlenexperte Edmund Lengfelder geht sogar davon aus, dass die Hälfte der Arbeiter den akuten Strahlentod sterben wird. Bei der anderen Hälfte steige das Krebsrisiko massiv, sagte er in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau.
Ihm zufolge nützen gegen die Gammastrahlung, die die Strahlenkrankheit auslöst, auch keine Schutzanzüge. "Sie geht durch Stahl und Beton. Sie bräuchten einen zentimeterdicken Bleianzug. Aber den könnte kein Mensch tragen." Vor der Gammastrahlung könne man sich nur schützen, wenn man sich nur kurz in der Gefahrenzone aufhalte.
"Es sollten nicht Leute wie Shingo sein"
Einer der Arbeiter, die Lengfelder zufolge vom akuten Strahlentod bedroht sind, ist Shingo Kanno. Von seinem Schicksal berichtet die britische Tageszeitung "Guardian".
Der Familienvater, der eigentlich Tabakbauer ist, sollte ein paar Bauarbeiten am Kraftwerk in Fukushima erledigen, bevor die Katastrophe über Japan hereinbrach. Als die Regierung den nuklearen Notstand ausrief, ging er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter zu den Schwiegereltern - nur weg von der strahlenden Anlage.
Dann kam ein Anruf aus dem Kraftwerk. Er solle zurück an die Arbeit gehen. Seine Familie wollte ihn aufhalten, doch Shingo ging. Er, der Tabakbauer, der keine Erfahrung mit der Arbeit in Kernkraftwerken hat.
Seither hat seine Familie nichts mehr von Shingo gehört. "Es sollten nicht Leute wie Shingo sein", sagt sein Großonkel Masao Kanno. "Sie sind Amateure, sie können nicht helfen."
Japanische Medien verlieren kein Wort über den Skandal
Wie skrupellos in Japan offenbar schon vor der Katastrophe mit Kraftwerksarbeitern umgegangen wurde, zeigen die schweren Vorwürfe, die ARD-Korrespondent Robert Hetkämper gegen die Betreiberfirma Tepco erhebt. Angeblich sollen seit Jahren Obdachlose und Gastarbeiter im Atomkraftwerk gearbeitet haben, einige von ihnen sollen sogar noch minderjährig gewesen sein. Wenn sie eine Weile dort gearbeitet hätten und verstrahlt seien, hätte man sie gefeuert. Wegwerfarbeiter habe man sie genannt, so der ARD-Korrespondent.
Während der aktuelle Skandal um die Helfer, die von der japanischen Regierung zum Einsatz im Atomkraftwerk gezwungen worden sein sollen, durch die internationale Presse geht, berichten japanische Medien kaum darüber. NHK, der öffentliche japanische Fernsehsender, verliert kein Wort über den Fall, die Nachrichtenagentur Kyodo gab die Meldung zwar an internationale Medien weiter, auf ihrer Webseite ist jedoch kein Artikel dazu zu finden.
Wie genau es um die Arbeiter in Fukushima steht, davon erfahren die Japaner kaum etwas. "Uns werden immer die gleichen Bilder gezeigt", sagt ein Webdesigner aus Tokio zu stern.de. "Die Informationen von Tepco und von der Regierung scheinen mir zu oberflächlich. Ich traue beiden nicht mehr."