Ginge es nach dem ersten Richterspruch, wäre Leslie van Houten schon vor Jahrzehnten in einer Gaskammer irgendeines kalifornischen Gefängnisses gestorben. Hinrichtung wegen Mordes lautete damals das Urteil gegen sie. Doch van Houten, im Jahr 1971 gerade einmal volljährig, hatte Glück: Nur ein Jahr später wurde in dem Westküstenstaat die Todesstrafe abgeschafft, ihre Strafe auf lebenslänglich umgewandelt. Nun, nach mehr als einem halben Jahrhundert hinter Gitter und mehr als 20 Gnadengesuchen, ist Leslie van Houten wieder frei. Auf Bewährung, wie es in Fällen wie ihren üblich ist.
Van Houten ermordete ein Lebensmittelhändlerpaar
Die 73-Jährige gehörte einst zur berüchtigten "Family" des Sektenführers Charles Manson. Der sah sich als Wiedergeburt von Jesus Christus und hatte in den 60er-Jahren zahlreiche Anhänger um sich geschart. Zurückgezogen in der südkalifornischen Wüste zettelte die "Manson Family" eine Serie von Morden an, um einen Krieg zwischen Weißen und Schwarzen in den USA zu provozieren. Berühmt geworden war vor allem die Ermordung von Sharon Tate, die damals hochschwangere Frau des Regisseurs Roman Polanski. An dieser Tat war Leslie van Houten nicht beteiligt, allerdings am Mord an dem Lebensmittelhändlerpaar Leno LaBianca und seiner Frau Rosemary 1969.
Von ihren beiden Mittäterin sitzt die jetzt 75-jährige Patricia Krenwinkel weiter in Haft. Susan Atkins erlag 2009 nach 38 Gefängnisjahren einem Krebsleiden. Charles Manson starb mit 83 Jahren im November 2017 ebenfalls hinter Gittern.
Nicht nur das Aussteiger- und Verbrecherleben von Charles Manson und seiner "Family" hat ganze Regalreihen von Büchern und Filmen gefüllt. Allein der Werdegang von Leslie van Houten und ihr späterer Kampf um die Freiheit gäbe genug Stoff für Hollywood her: Bis zur Trennung ihrer Eltern verbrachte sie am Stadtrand von Los Angeles eine glückliche Kindheit. Doch danach nahm das Leben der damals 14-jährigen Leslie ein verhängnisvolle Wendung. Sie begann Drogen zu nehmen, rannte von Hause weg und wurde mit 17 Jahren schwanger. Ihre Mutter zwang sie dazu, abzutreiben.
Zu dem Zeitpunkt, Ende der 60er-Jahre, änderte sich die Welt dramatisch. Konventionen fielen, völlige neue Lebensentwürfe wurden plötzlich möglich und Leslie, ohnehin schon auf dem Weg an den Rand der Gesellschaft, wurde Hippie. Sie begann ein Leben zu leben, das für viele Menschen damals der Traum vom Paradies auf Erden war: selbstbestimmt, freie Liebe für alle und jede Menge LSD-Trips. Eine Zeit lang war das wohl auch die Art, wie die "Manson Family" lebte.
Manson droht Richter mit Enthauptung
Im Film "Charlie Says" von 2018 wird die Geschichte der Manson-Sekte aus der Perspektive der drei "Manson-Girls" van Houten, Krenwinkel und Atkins erzählt. Lulu, Katie und Sadie hatte sie der selbsternannte Messias genannt. Regisseurin Mary Harron zeigt, wie die jungen Frauen gehirngewaschen und radikalisiert wurden. Noch Jahre nach der Tat antworteten sie auf Fragen von Psychologen roboterhaft mit "Charly sagt".
Wie die "Manson-Family" tickt, zeigte auch der Prozess gegen den Sektenführer Anfang der 70er-Jahre, ein von Tumulten geprägtes "Spektakel". Manson wurde mehrfach aus dem Gerichtssaal geworfen, weil er etwa damit gedroht hatte, den Richter zu enthaupten. Bei der Urteilsverkündung am 29. März 1971 hatten sich Susan Atkins, Patricia Krenwinkel und Leslie Van Houten aus Solidarität mit ihrem Guru die Köpfe geschoren und nach dem Richterspruch im Saal randaliert. Gebannt verfolgte die Welt, mit welch teuflischer Macht ein Mann eine Gruppe weißer Bürgerkinder zu willigen Mördern machen konnte.
Obwohl Manson war zwar bei keinem der insgesamt neun Morde dabei gewesen, dennoch gelang es dem zuständigen Staatsanwalt, ihn als satanisches Monster darzustellen, dem die Frauen (und auch Männer) wie "hirnlose Roboter" folgten. Mit dem Verweis auf Unzurechnungsfähigkeit stellten die drei Frauen Dutzende von Gnadengesuchen. Susan Atkins 13 Mal, Patricia Krenwinkel 14 Mal, Leslie van Houten 22 Mal. Alle wurden abgelehnt. Nicht jedoch von den zuständigen Bewährungskomitees, sondern von den jeweiligen Gouverneuren Kaliforniens. Auch der aktuelle Amtsinhaber Gavin Newsom wehrte sich bis zuletzt gegen die Freilassung van Houtens.
Bei seiner letzten Ablehnung eines Gnadengesuchs im Jahr 2022 hatte Newsom gesagt, van Houten stelle immer noch "eine zu große Gefahr für die Gesellschaft" dar. Sein Veto wurde aber Ende Mai 2023 von einem Berufungsgericht mit zwei zu eins Stimmen aufgehoben. Die Richter verwiesen auf das beispielhafte Verhalten der Gefangenen und "jahrzehntelange Therapie". Daraufhin erklärte der Gouverneur, er werde die Entscheidung nicht anfechten.
Van Houten kommt ein Jahr in Wiedereingliederung
Leslie van Houten sei nach den Worten ihrer Anwältin Nancy Tetreault "sehr glücklich", dass die Entlassung "so schnell" nach dem Verzicht des Gouverneurs auf Berufung erfolgt sei. Ganz "frei" aber wird sie schnell nicht sein. Denn die Welt ist nicht mehr die von vor 52 Jahren, weswegen van Houten nun ein Jahr lang in einer Einrichtung leben wird, in der sie auf die Rückkehr in eine Welt vorbereitet werde, "die sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten sehr verändert hat", wie die die Anwältin sagte. Danach wolle sich die Seniorin eine Arbeit suchen, für die sie im Gefängnis Abschlüsse erworben habe.