Die bisher letzte Fahrt des Transrapid am 22. September 2006 dauert nur eine Minute: Mit 31 Menschen an Bord startet die Magnetbahn um 09.53 Uhr am Bahnhof 2 der Testrecke im Emsland nach Norden. Genau 60 Sekunden später, nach nur 1.605 Metern Fahrstrecke, prallt sie mit 179 Stundenkilometern auf ein Wartungsfahrzeug. 23 Menschen sterben, zehn weitere, darunter Fahrer und Beifahrer des Wartungsfahrzeugs, werden verletzt. Noch am gleichen Tag nimmt die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Suche nach Ursachen und Verantwortlichen für das schwere Unglück auf. Ein Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages hat seine Arbeit inzwischen abgeschlossen.
Die gründliche Suche kommt zu einem erschreckend einfachen Ergebnis: Der verantwortliche Fahrdienstleiter, der dem Transrapid um 09.52 Uhr die Freigabe für dessen letzte Fahrt erteilte, hatte der Untersuchung zufolge das Wartungsfahrzeug vergessen, das nach einer Kontrollfahrt noch auf der Strecke stand. Der 58-Jährige befindet sich seit dem Unfall in psychiatrischer Behandlung. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ihn wegen fahrlässiger Tötung in 23 Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung erhoben. "Der Bug des Transrapid 08 unterfuhr das Sonderfahrzeug, welches dann wie eine Stanze in die erste Fahrzeugsektion eindrang und diese völlig zerstörte" - so beschreibt ein Gutachten des Eisenbahn-Bundesamtes das Unglück.
Magnetschwebebahntechnik
Eine Magnetschwebebahn hat anders als ein Zug keine Räder und Oberleitungen. Statt auf Rädern über Schienen zu rollen, schwebt der Transrapid über den Fahrweg, ohne ihn zu berühren. Damit ist die Magnetschwebebahn die erste grundlegende Innovation in der Bahntechnik seit dem Bau der ersten Eisenbahnen. Der Transrapid fährt mit einem elektromagnetischen Trag- und Führsystem. Die Bahn ist so konstruiert, dass ihre Unterseite den Fahrweg umgreift. Die Tragmagnete auf beiden Seiten des Transrapids ziehen diesen von unten bis auf einen kleinen Abstand an den Fahrweg heran, Führmagnete halten sie seitlich in der Spur. Ein elektronisches Regelsystem sorgt dafür, dass der Spalt von zehn Millimetern immer gleich groß bleibt - der Transrapid schwebt. Der Antrieb des Transrapid befindet sich im Fahrweg: Strom erzeugt darin ein wanderndes Magnetfeld, das den Zug berührungsfrei mit sich zieht. Da es während der Fahrt keinen Kontakt zwischen Fahrzeug und Fahrweg gibt, entfallen die Reibung und der übliche hohe Verschleiß. Die Fahrzeuge können bis zu 500 Stundenkilometer schnell fahren.
Vier-Augen-Prinzip hat nicht funktioniert
Die Gutachter der Bahn-Aufsichtsbehörde haben im Auftrag der Staatsanwaltschaft das Verhalten aller an dem Unglück beteiligten Streckenmitarbeiter überprüft. Die beiden Arbeiter in dem Wartungsfahrzeug konnten den herannahenden Transrapid nicht wahrnehmen. Sie konnten keine entsprechenden Funksprüche mithören und den Magnetzug auch nicht sehen, da er von hinten auf ihr Wartungsfahrzeug prallte. Die beiden Arbeiter saßen in der vorderen Kabine und überlebten deswegen. Für den verstorbenen Fahrzeugführer des Transrapid 08 gab es laut Untersuchungsergebnis nach dem Start viele Aufgaben: Er musste eine Weiche beobachten, einen Stromabnehmer sperren und einen anderen Stromabnehmer und verschiedenen Instrumente kontrollieren. Nach Auffassung der Gutachter konnte er erst kurz vor dem Aufprall den Blick wieder auf die Strecke richten. Dies würde die nach dem Unglück oft gestellt Frage beantworten, warum der Fahrzeugführer vor dem Aufprall keine Notbremsung ausgelöst hat.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst auch gegen einen zweiten Fahrdienstleiter, der am Unglücksmorgen auf dem Transrapid-Leitstand Dienst hatte. Dieser zweite Operator sollte eigentlich seinen verantwortlichen Kollegen überwachen. Ein Vier-Augen-Prinzip sollte menschliches Versagen verhindern. Gutachter und Untersuchungsausschuss stellten dann aber fest, dass die beiden Fahrdienstleiter auf dem Leitstand auf ganz unterschiedliche Anzeigen blickten. Der zweite Operator konnte demnach oft gar nicht verfolgen, was der erste machte und hatte zudem nur unklar formulierte Kontrollaufgaben. Die Ermittlungen gegen ihn wurden daher eingestellt. Eine automatische Sperrung besetzter Streckenabschnitte gab es auf der Teststrecke nicht. Allerdings war nach einer Vorschrift des Magnetbahn-Herstellers der Streckenabschnitt um das Wartungsfahrzeug durch eine Sperre gegen Kollisionen mit der Magnetbahn zu sichern. Um diese Fahrwegsperre, die der Fahrdienstleiter eigenhändig zu setzen hatte, gab es viel Streit im Transrapid-Untersuchungsausschuss: Vertreter des Betreibers der Teststrecke sahen keine Verpflichtung zur Sperrung der Strecke um das stehende Wartungsfahrzeug. Dem widersprachen Gutachter und andere Zeugen.
Prozess soll noch in diesem Jahr beginnen
Der Bahnsachverständige Klaus Wiegand konstatierte vor dem Ausschuss im Zusammenhang mit der Streckensperrung "gravierende Verstöße gegen sicherheitsrelevante Vorgaben des Herstellers". Bei der Prüfung der Aufzeichnungen stellte er fest, dass Streckensperrungen nur selten eingetragen waren. Nach Auffassung des Eisenbahnwissenschaftlers war es eher die Regel als die Ausnahme, dass auf die Sperrung und damit auf die wichtigste Absicherung gegen menschliches Versagen verzichtet wurde. Weil klare Vorschriften für die Fahrwegsperre fehlten, hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück auch den Betriebsleiter der Teststrecke und seinen Vorgänger wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. "Sie hätten eine konkrete Anweisung für den Einsatz der Fahrwegsperre erlassen müssen", sagte der ermittelnde Staatsanwalt Jörg Schröder bei der Vorstellung der Anklage. Durch Organisationsverschulden seien sie für den Unfall mitverantwortlich. Das Landgericht Osnabrück will den Prozess wegen des Unglücks noch in diesem Jahr beginnen. Derzeit prüft das Gericht die Anklageschrift.