Extremwetter Klimaforscher über Katastrophen wie in Libyen: "Klimawandel bedeutet nicht einfach nur höhere Temperaturen"

Libyen: 10.000 Vermisste nach Überschwemmungen – Hilfsgüter auf dem Weg zu Flutopfern
Sehen Sie in dem Video: Wie den Flutopfern in Libyen geholfen wird.




Nach den schweren Überschwemmungen in Libyen bemühen sich lokale und internationale Helfer, Betroffenen beizustehen. Auf dem internationalen Flughafen al Abraq im Nordosten des Landes ist Material aus der Hauptstadt Tripolis eingetroffen. In der Türkei wurden am Vormittag Flüge mit Hilfsgütern auf den Weg gebracht. Personal der türkischen Polizei und Rettungsbehörde, sowie Fahrzeuge für die Suche nach weiteren Vermissten soll laut dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan ebenfalls auf dem Weg sein. Das Rote Kreuz und die Rothalbmondgesellschaft geht von rund 10.000 Vermissten aus. Nach Behördenangaben sind allein in der massiv betroffenen Stadt Derna im Osten Libyens mehr als 1000 Tote geborgen worden. Anwohner dokumentierten dort die Dämme, die oberhalb der Stadt kollabiert sind.
Durch das freigesetzte Wasser sei ein Viertel der Stadt verschwunden, so ein Mitglied des Notfallkommittees. Leichen seien ins Meer, in Täler und unter Gebäude gespült worden. In Deutschland prüfe die Bundesregierung akutell mögliche Hilfsmaßnahmen, so eine Mitteilung des Auswärtigen Amtes. Libyen ist nach jahrelangen Konflikten politisch zwischen Ost und West gespalten. Staatliche Institutionen sind weitgehend zusammengebrochen. Die international anerkannte Regierung hat keine Kontrolle über die östlichen Gebiete.
Nach der Türkei, Griechenland und Bulgarien kommt es nun im Wüstenland Libyen zu gewaltigen Regenfällen. Das liegt auch daran, dass das Mittelmeer deutlich zu warm ist, sagen Klimaforscher wie Mojib Latif.

Die jüngsten schweren Mittelmeer-Unwetter wie in Libyen lassen sich nach Expertenmeinung wahrscheinlich dem Klimawandel zuordnen. Dafür sprächen "diese extremen Niederschläge in ganz, ganz kurzer Zeit", sagte der Kieler Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif am Mittwochmorgen im Bayerischen Rundfunk.

Tiefs könnten hier "gerade im Herbst besonders intensiv sein, weil das Mittelmeer noch sehr, sehr aufgeheizt ist. Auf der anderen Seite kann dann auch kalte Luft aus dem Norden auf diese warme Luft treffen, und das ist dann so ein explosives Gebräu", sagte Latif.

Mittelmeer etwa vier Grad wärmer als üblich

Rund vier Grad, so ergänzte Meteorologe Christian Herold vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach, ist das Wasser im Mittelmeer derzeit wärmer als normalerweise. "Die hohen Wassertemperaturen heizen auch die Luft auf, die dadurch mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann."

So enstand eine Wetterlage, die viel Zerstörung über die Region brachte. "Dieses Tiefdruckgebiet beschäftigt uns ja schon viele Tage lang – es hat zuerst in Südosteuropa gewütet, in Griechenland, Bulgarien, der Türkei, und dann hat es sich auf dem Mittelmeer noch mal richtig intensiviert und ist zu einer Art Medicane geworden", sagte Latif, der am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel arbeitet. Als Medicane bezeichnet man einen Mittelmeer-Sturm, der Ähnlichkeiten mit einem tropischen Wirbelsturm hat.

Lässt sich diese Libyen-Katastrophe nun glasklar auf den Klimawandel zurückführen? Auf diese Frage sagte Latif: "Ich vergleiche das immer mit dem berühmten gezinkten Würfel. Wenn wir einen Spielwürfel auf die Sechs zinken, kommt eben die Sechs häufiger. Aber man kann nie genau sagen: Welche Sechs ist nun auf das Zinken zurückzuführen, und welche Sechs wäre ohnehin gekommen?"

Regenmassen, die für Europa neu sind

Latif betonte die enorme Wucht, die die jüngsten Unwetter im Mittelmeerraum hatten: "In der letzten Woche haben wir Niederschläge gemessen, die hat es so in Europa noch nie gegeben. Das war zum Teil ein Vielfaches dessen, was wir bei uns während der Ahrtal-Flut hatten. Da kann man vielleicht ermessen, um welche Regenmassen es geht und welche Zerstörungskraft hinter diesen Regenmassen steckt."

Zu Libyen sagte DWD-Experte Herold: "Das Tief ist auf ein Gebirge getroffen und hat sich dort quasi entladen. Sonst gibt es dort wenige Regenfälle im Monat, nun wurden mitunter 414 Liter pro Quadratmeter gemessen."

Für Klimaforscher Latif muss es nun auch darum gehen, wie eine Region sich anpassen kann. Da sehe er aber auch Grenzen: "Ich glaube, wir waren viel, viel zu sorglos, was den Klimawandel angeht. Ich denke, das ändert sich gerade, dass wir erkennen, Klimawandel bedeutet nicht einfach nur höhere Temperaturen, sondern bedeutet vor allem extremeres Wetter, mehr Schadenspotenzial und vor allen Dingen auch eine gigantische Herausforderung für die Menschen im Sinne der Gesundheit." Man könne sich ein Stück weit anpassen, aber es gebe auch Grenzen: "Bei solchen Wassermassen, was wollen sie da noch tun?"

DPA
mkb

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