stern-Kolumne Winnemuth Das A-Wort: "Aber" wie hilfsbereit sind wir wirklich?

Von Meike Winnemuth
Das Land ist gerade voller Leute, die dauernd "aber" sagen. Das wirkt kompetent, kritisch und irgendwie klug. Doch steckt hinter all der Hilfsbereitschaft und Unterstützung auch eine Selbstverständlichkeit ohne ein "Aber"?

Es ist der Sommer des großen Aber. Nichts hält, nichts gilt, immer gibt es ein Aber, und im Aber verrät sich stets die wahre Überzeugung, der Kleingeist, die Bösartigkeit, das Hässliche. „Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber.“ „Natürlich müssen wir den Menschen helfen, aber.“ Das Aber war deshalb auch schnell zur Stelle, als alle Medien fassungslos die ungeheure Hilfsbereitschaft von wie aus dem Nichts auftauchenden Freiwilligen vermeldeten, die in Erstaufnahmestellen und Notunterkünften gespendete Kleidung sortierten, Essen austeilten, Schlafplätze organisierten, Unterstützung jeder Art gaben. Die Fassungslosigkeit mündete in euphorisierter Selbstbejubelung der dollen Deutschen, die wieder mal ein Sommermärchen stemmten, und schlug fünf Minuten später unvermeidlich in das große Aber um. Aber die Helfer tun das aus den falschen Motiven, aber die berauschen sich doch nur an sich selbst, aber die werden das sowieso nicht lange durchhalten. Aber, aber, aber.

Wenig erbost mich derzeit so wie dieses hämische, händereibende Warten auf das Scheitern der Freundlichkeit, das Kleinreden der Mitmenschlichkeit durch besorgte Leitartikler und Kommentatoren, die anscheinend täglich ohne lästigen Mitmenschenkontakt von Tiefgarage zu Tiefgarage fahren. Wohnen die in einem Vakuum? Haben die keine Nachbarn? Denn das Helfen, die Unterstützung ist eben nicht die große Ausnahme, als die sie jetzt bestaunt wird, sondern zieht sich wie ein feines Netz durch den Alltag.

Die kleinen Helden des Alltags

Da sind zum einen die 13 Millionen Ehrenamtlichen, die ihre Freizeit für das Helfen geben, ob beim THW, der Caritas oder beim Roten Kreuz. Die Anständigen, die immer da sind, wenn was zu tun ist, so unverdrossen, so verlässlich, dass wir anderen sie längst für selbstverständlich halten. Unsere moralische Feuerwehr. Aber da sind auch diejenigen, die dableiben, wenn es keine Notlage gibt. Ich muss mich nur bei mir in der Straße umgucken: Frau Mock vom kleinen Sanitätshaus gegenüber meinem Haus, die inoffizielle Post- und Paketannahmestelle im Viertel. Seit 1967 macht sie das, es gibt Tage, da bimmelt es kontinuierlich an ihrer Ladentür.

Die gute alte Nachbarschaft: Man kennt sich, man hilft sich

undefined

Meike Winnemuth

Die Bestsellerautorin ("Das große Los") schreibt wöchentlich im stern. Und freut sich auf Sie. Was bewegt Sie gerade? Tauschen Sie sich mit unserer Kolumnistin aus: 
facebook.com/winnemuth

Sie weiß alles, sie kennt jeden, sie hilft, wo sie kann. Und wenn sie findet, dass meine Haare so struppig aussehen, bringt sie mir eine Flasche Honigshampoo mit. Oder die Bäckerei auf der anderen Straßenseite, wo der Straßenzeitungsverkäufer Gustav seit Jahren sein Frühstück kriegt. Oder die tollen Jungs von der Leder und Latexmaßfertigung Mr. Chaps im Nachbarhaus, die jedes Jahr ein zünftiges Oktoberfest zwischen Nippelklemmen und Harnröhrenstretchern feiern und eine Zeit lang eine Nachbarin von obendrüber beherbergten, als bei der eingebrochen worden war.

Und dann noch eine ältere Dame, der ich gestern einen Blumenstrauß vorbeibrachte. Ich wollte wissen, wer die freundliche Seele ist, die immer Hundekotbeutel zum Abreißen an den Zaun knotet, kurz vor unserem kleinen Park. Stellt sich heraus: Marianne Wriedt, 82, Bewohnerin eines Altersstifts. Die auch noch das Beet vor dem Stift bepflanzt und sich um ein Gartenstückchen kümmert, das für Kindergartenkinder eingerichtet wurde.

All diese Leute tun, was sie tun, ohne dass eine Fernsehkamera in der Nähe ist. Weil es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, weil es sich so gehört. Sie bauen das Land, in dem sie leben wollen, einfach selbst – ohne jegliches Aber. Mir ist nicht bange, dass das enden könnte. Bange ist mir nur vor den Bangemachern.

Die Kolumne von Maike Winnemuth steht jede Woche im stern. Dieser Text ist ursprünglich in Heft Nr. 40 vom 24.9.2015 erschienen.

PRODUKTE & TIPPS