Wissenschaftler:innen schlagen Alarm: Der andauernde Krieg in der Ukraine, der Millionen Menschen vertrieben und viele Menschenleben gefordert hat, habe auch fatale Auswirkungen auf Tiere im Schwarzen Meer. So würden Delfine in dem Gewässer, an das neben der Ukraine auch Russland, Georgien, Bulgarien und die Türkei grenzen, getötet.
Wie die Nachrichtenseite "Business Insider" berichtet, werden tote Delfine an die Küsten und Strände des Schwarzen Meeres angeschwemmt, die schwere Verletzungen haben, die vom Angriffskrieg Russlands in der Ukraine herrühren.
Ivan Rusev, Forschungsdirektor des Nationalen Naturparks Tuzla Estuaries in der Ukraine, berichtet auf seiner Facebookseite von den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf das Ökosystem des Meeres. Er zeigt Bilder von verwundeten und toten Delfinen. Einige der Säugetiere hätten Verbrennungen durch Bomben- oder Minenexplosionen. Andere hätten keine Nahrung finden können. Wieder andere hätten innere Verletzungen gehabt.
Forscher in der Ukraine: "Es ist eine Tragödie"
"Mehrere Tausend Delfine" seien bereits durch die Kampfhandlungen getötet worden, schreibt der Wissenschaftler. "Barbaren töten nicht nur zivilisierte Menschen, sondern auch kluge Delfine."
Die britische Zeitung "The Guardian" zitiert Rusev mit den Worten: "Es ist eine Tragödie, weil wir eine sehr kleine Population von drei Delfinarten haben, also ist jedes Individuum ein seltenes Individuum." Er und sein Team seien nicht in der Lage, das ganze Ausmaß des Schadens an den Delfinen zu untersuchen, da große Teile der ukrainischen Küste für sie nicht erreichbar seien.
Auch die Türkische Meeresforschungsstiftung warnten bereits im April vor den Auswirkungen des Krieges im Schwarzen Meer auf das marine Ökosystem. Schon vor dem Krieg seien Überfischung und negative Effekte des Klimawandels ein Problem gewesen. Doch mit dem Krieg sei eine weitere Gefahr dazugekommen.
Verstörend, erschreckend und unendlich traurig: Bilder aus 100 Tagen Krieg in der Ukraine

Gefahr durch Minen, Explosionen, sinkende Schiffe
"In Feuchtgebieten und Biosphärenreservaten im Asowschen Meer, im Donaudelta und im Golf von Odessa ist die Biodiversität am empfindlichsten. Diese Regionen befinden sich innerhalb der Migrationsziele von Vögeln. Die Gefährdung von Arten, die diese Regionen zum Brüten, Fressen, Wandern und Eierlegen wählen, wo täglich Bombenangriffe und Schüsse stattfinden, ist unvermeidlich."
Der Golf von Odessa sei ein Futterplatz für Küstenfische und Delfine. Dort würden aber "Dutzende von Militärschiffen liegen, manövrieren, in Brand gesteckt werden und ballistische Raketen einschlagen". Die Zerstörung gefährdeter Rotalgen bereite zudem Anlass zur Sorge für die Artenvielfalt, denn diese Algen böten vielen Meeresarten in der Region eine Lebensgrundlage.
Auch auslaufender Treibstoff aus Schiffen oder giftige Gase und Chemikalien seien ein Problem. "Schiffslärm und Niederfrequenzsonare sind bekanntermaßen eine ernsthafte Bedrohung für die Meerestiere, insbesondere für Delfine, die Unterwassergeräusche aktiv zum Fressen und Navigieren nutzen."

Anklage wegen Umwelt-Verbrechen schwierig
Schon Ende März hatten die türkischen Forscher:innen von toten Delfinen an den Küsten berichtet. Es habe einen "außergewöhnlichen Anstieg der Todesfälle von Gemeinen Delfinen" gegeben. Als Todesursache wurde zunächst das "Ertrinken im Netz" genannt.
Vor dem Krieg in der Ukraine haben Wissenschaftler:innen das Leben im Schwarzen Meer und im Mittelmeer untersucht. Nach Angaben der "New York Times" haben die Forschenden ermittelt, dass im Schwarzen Meer mehr als 253.000 Delfine lebten – eine gute Zahl, die ein positiver ökologischer Indikator für das gesamte Ökosystem sei.
Wie "The Guardian" weiter berichtet, will die Ukraine Beweise für Kriegsverbrechen gegen Gewässer sammeln. Eine ukrainische Taskforce arbeite mit einer größeren Gruppe zusammen, die einen Umweltprozess gegen Russland vorbereite.
Theoretisch wäre es dem Internationalen Strafgerichtshof möglich, in Bezug auf Verbrechen gegen die Umwelt zu ermitteln. Im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs steht, dass der Gerichtshof zuständig ist für Verbrechen des "vorsätzlichen Startens eines Angriffs in dem Wissen, dass ein solcher Angriff … weit verbreitete, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird".
Um diese Verbrechen zu beweisen, müsste nachgewiesen werden, dass die Schädigung der natürlichen Umwelt "im Vergleich zu dem erwarteten konkreten und direkten militärischen Gesamtvorteil eindeutig übermäßig" war, schreibt das Conflict and Environment Observatory. Dies sei aber mit vielen Problemen behaftet und werde oft "als unmöglich angesehen, strafrechtlich verfolgt zu werden".