Lebensmittelkennzeichnung "Wir brauchen einfache Symbole"

Supermärkte sind Irrgärten, kritisiert "foodwatch"-Geschäftsführer Thilo Bode. In seinem neuen Buch "Abgespeist" beschreibt er, dass es kaum möglich ist, gute Qualität zu erkennen. Im stern.de-Interview erklärt er, warum auch Seehofers neue Nährwertkennzeichnung wenig weiter helfen wird.

Herr Bode, wenn Sie im Supermarkt einkaufen gehen...

...bin ich oft ratlos. Oder ich ärgere mich: Man steht vor prallvollen Regalen, weiß aber viel zu wenig, um begründet auswählen zu können. Das fängt mit den Inhaltsstoffen an: Versuchen Sie mal, herauszufinden, wie viel Zucker ein Schokoriegel enthält. Auf der Packung steht meist nichts davon, oder nur "Kohlenhydrate" statt Zucker. Das ist vor allem bei Lebensmitteln für Kinder ärgerlich, weil die Eltern ja gerade da wissen möchten, was drin steckt. Ein Kinder-Drink von Bauer enthält zum Beispiel umgerechnet 55 Stück Würfelzucker pro Liter. Das steht natürlich so nicht auf der Flasche.

Thilos Bodes "Abgespeist"

Thilo Bode wurde 1947 in Oberbayern geboren. Der studierte Soziologe und Volkswirtschaftler war ab 1989 Geschäftsführer der Umweltorganisation Greenpeace e. V. in Deutschland, ab 1995 Chef von Greenpeace International in Amsterdam. Im Jahr 2002 wechselte Bode zum Verbraucherschutz: Unter dem Eindruck der BSE-Lebensmittel-Krise gründete er die Verbraucher-Organisation "foodwatch" mit Sitz in Berlin, die er bis heute leitet.

In seinem aktuellen Buch "Abgespeist - Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können" kritisiert Bode, Verbraucher hätten beim Einkaufen praktisch keine Rechte und würden systematisch irregeführt. Das Buch erscheint am 23. Oktober im S. Fischer Verlag und kostet 14,90 Euro.

Anderes Beispiel: Sie stehen vor dem Milchregal. Die eine Vollmilch kostet 60 Cent, die andere 1,15 Euro. Warum gibt es solche Preisunterschiede?

Das ist für Verbraucher nicht nachvollziehbar. Niemand kann erkennen, wie sich diese Milch von jener unterscheidet. Es sei denn, es klebt ein Bio-Siegel drauf, da erkennt man noch, dass man mehr Geld für eine andere Herstellungsmethode bezahlt. Ansonsten versteht kein Mensch, wie die Preise zustande kommen.

Teurere Anbieter erklären das oft mit "Markenqualität".

Das ist aber Augenwischerei: Da wird mit Bildern von grasenden Kühen auf der Packung so getan, als würde man ein Produkt von Freiland-Tieren kaufen, am besten noch mit dem Label "artgerechte Tierhaltung" - das heißt aber nichts weiter, als dass die Gesetze eingehalten werden. Ansonsten kann so eine Markenmilch genauso aus konventioneller Massentierhaltung stammen wie Discounterware.

Also ist billig nicht unbedingt schlecht?

Nein, und das darf auch nicht so sein! Stellen Sie sich vor, auf unseren Straßen würden Billig-Autos herum fahren, die unsicher wären, weil etwa die Bremsen nicht funktionieren. Ein Aufschrei ginge durchs Land! Die Hersteller müssten ihre Autos öffentlich zurückrufen und für Schäden haften. Bei Lebensmitteln wird dagegen dem Verbraucher die Schuld zugeschoben. Nach jedem Gammelfleischskandal heißt es: Die Leute wollen billig, billig, billig - also sind sie selbst schuld. Es kann sich aber nun mal nicht jeder teure Feinkost oder Bio-Ware leisten. Also muss auch billiges Fleisch frisch und sicher sein.

Lassen sich Gammelfleischskandale überhaupt verhindern?

Zumindest ließe sich die Zahl der Täter verringern, wenn man sie konsequenter abschrecken würde: Wer Gammelfleisch auf den Markt bringt und erwischt wird, muss automatisch öffentlich genannt werden. Außerdem müssen die Hersteller - also Fleischkonzerne und Schlachthöfe - so für ihren Abfall haften, wie es auch Autohersteller für Alt-Autos tun müssen. Eine Haftung wirkt präventiv, dann wäre das Problem mit dem Gammelfleisch erledigt. Zurzeit kommen die meisten mit ein paar hundert Euro Strafe davon.

Was bringt es, wenn man sein Fleisch nur noch beim "Metzger des Vertrauens" kauft?

Der Metzger ist nicht unbedingt besser als der Discounter. Entweder kann ein Schlachter genau sagen: Ich beziehe mein Fleisch von diesem oder jenem Hof und weiß, wie dort die Tiere gehalten werden. Oder Sie kriegen auch dort nur die Fleischqualität, die beim Discounter abgepackt in der Theke liegt.

Kann man sich auf das Bio-Siegel verlassen?

Beim gesetzlichen Bio-Siegel haben Sie zumindest die Garantie, dass das Produkt umweltschonend hergestellt wurde und die Tiere Auslauf haben. Aber: Auch Bio-Fertigprodukte können viele Zusatzstoffe enthalten. Zum Beispiel Zitronensäure, die die Zähne angreift. Wenn Sie die vermeiden wollen, hilft Ihnen das gesetzliche Siegel auch nicht weiter. Da müssen Sie auf Ware von einem Bio-Verband wie Demeter ausweichen, der hat strengere Kriterien. Bio ist also nicht gleich Bio.

Ist Öko-Ware unterm Strich gesünder?

Biogemüse und -obst sind weniger mit Pestiziden belastet als konventionelles, sind also besser für einen vorsorgenden Gesundheitsschutz. Aber natürlich kommt es letztlich drauf an, was Sie essen: Man kann sich auch an Bio-Weißwürsten fett essen.

Was halten Sie davon, dass Bundesminister Seehofer jetzt als neue Maßnahme gegen Übergewicht eine Nährwertkennzeichnung fordert? Auf der Verpackung soll künftig stehen, wie viel Kalorien, Zucker und Fett ein Produkt enthält.

Leider wird diese Kennzeichnung unverbindlich sein. Wir haben in Deutschland zwar ein riesiges Problem mit Übergewicht - aber der Bundesernährungsminister will das nur mit einer freiwilligen Kennzeichnung bekämpfen. Die Hersteller können selbst entscheiden, was sie draufschreiben. Für mich heißt das: Das Thema ist dem Minister nicht so wichtig. Abgesehen davon will niemand beim Einkaufen komplizierte Zahlentabellen vergleichen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Wir brauchen ein einfaches Symbol, zum Beispiel eine Ampel, wie sie Lebensmitteln in Großbritannien schon aufgedruckt wird: rot für Kalorienbomben, grün für fett- und zuckerarme Lebensmittel. Dann wären Produkte hinsichtlich ihres Nährwertes direkt vergleichbar. Und rot-gelb-grün kann wirklich jedes Kind verstehen.

Interview: Nicole Heißmann

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