Deutscher Rechtschreibrat Weder Sternchen noch Doppelpunkt – auch keine Genderregel ist eine gute Genderregel

Gendern
Das Binnensternchen findet vorerst keine Heimat in der deutschen Rechtsschreibung 
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Wörter wie Chillen tauchen plötzlich auf und bleiben. Das Gendern dagegen tut sich seit Jahrzehnten schwer, in die deutsche Sprache einzuziehen. Auch der Rechtschreibrat will weiter keine Empfehlung abgeben – eine verständliche Nichtentscheidung.

Da haben Friedrich Merz und Markus Söder noch einmal Glück gehabt: Die "Gendersprache" ist weiterhin kein "Kernbestand der Orthografie", wie es der Deutsche Rechtschreibrat jetzt im belgischen (aber deutschsprachigen) Eupen etwas umständlich formuliert hat. Ob Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich: geschlechtergerechtes Schreiben bleibt ungeregelt. Nach sehr vielen Jahren der Diskussion registriert der Sprach-TÜV zwar nun, dass es solche Binnenzeichen gibt, aber Klarheit kann oder will das Gremium nicht schaffen. Eine verständliche Nichtentscheidung. 

Viel Bewegung auch beim stern

Auch wir beim stern sprechen schon lange und intensiv über das Gendern. Darüber, ob wir es überhaupt wollen, und falls ja wie. Unterscheiden wir nur Frau und Mann oder wollen wir auch möglichst viele weitere Identitäten erwähnen? Gendern Light war genauso im Gespräch, wie den Umgang den Autoren selbst zu überlassen. Ebenso: einheitliche, durchgängige Regelungen oder solche abhängig von Thema und Gesprächspartner. Es ist noch viel in Bewegung.

Vermutlich sogar noch zu viel. In den 80er-Jahren tauchte zunächst das Binnen-I auf. Danach das Sternchen und der Unterstrich, mittlerweile geht der Trend zum Doppelpunkt. Richtig überzeugend war das bislang alles nicht. stern-Textchef Arne Daniels lieferte einmal ein schönes Beispiel über die Hürden des Genderns: "Aus dem Satz 'Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbindet Deutsche und Franzosen eine feste Freundschaft' würde 'Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbindet Deutsche und Franzosen und Französinnen eine feste Freundschaft' (der Begriff Deutschinnen gibt es nicht). Oder: 'Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbindet Deutsche und Französ:innen eine feste Freundschaft'. Oder müsste es nicht korrekt Franzos:innen heißen?"

Vielleicht taugt die "Gendersprache" nicht?

Ob es angesichts solcher Sätze bald eine für möglichst viele befriedigende Lösung geben wird? Ist sicher auch Gewöhnungssache. Nur dann bleiben noch die unvermeidlichen Grammatik-Konflikte. Ganz abgesehen davon, dass geschlechtergerechtes Schreiben zu einem regelrechten Kulturkampf ausgeartet ist, bei dem niemand auf der falschen Seite stehen mag. Vielleicht ist die derzeitige "Gendersprache" auch einfach nicht das richtige Instrument für den Wunsch nach mehr Gleichstellung. Oder das richtige, aber falsch umgesetzte Instrument.

Zurzeit ist Gendern weiter nur für eine Minderheit selbstverständlich: für Jüngere, für Akademikerinnen und Akademikern, für Großstädter – also für alle, die in Brutkästen für neue Begriffe und Ideen leben. Doch auch dort muss sich das Neue und Zeitgemäße dem urdemokratischen Nützlichkeitscheck unterziehen. Denn nichts ist sinnloser als ein Werkzeug, das niemand benutzt.

Anders gesagt: Wenn Wörter wie LOL, unkaputtbar, Sale oder Chillen aus dem Nichts auftauchen und innerhalb kürzester Zeit in die deutsche Sprache einziehen, dann, weil sie offenbar gebraucht werden. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, warum sich das Gendern seit so langer Zeit so schwer tut, auch in breiten Gesellschaftsschichten anzukommen. 

Das Gendern bleibt – oder eben nicht

Mögliche Gründe gibt es viele. Vielleicht sehen manche Menschen einfach keine Notwendigkeit für eine sprachliche Geschlechtergerechtigkeit. Vielleicht fühlen sich manche Frauen nicht durch die männlich dominierte Sprache ausgeschlossen oder es ist ihnen egal. Oder sie leben Sichtbarkeit bereits. Oder sie werden auch dann keine Ärzt*innen, selbst wenn sie das Wort hundert Mal am Tag sagen. Vielleicht bleiben Kindergärtner bis auf weiteres weiblich, Bauarbeiter*innen dagegen nicht. Möglicherweise ist es die holprige Ausdrucks- und Schreibweise oder manche Menschen können ihre (Mutter)Sprache schlicht nicht beliebig neu variieren. 

Letztlich aber dürfte auch die Entscheidung über Binnen-Is, Doppelpunkte oder Unterstriche mit den Füßen getroffen werden: Erweist sich Gendern als nützlich, wird es bleiben. Kann niemand etwas damit anfangen, verschwindet es eben. Vielleicht bleibt es wie jetzt ein Soziolekt. Also eine Formulierung, die nur in bestimmten Gruppen gebräuchlich ist (und leider hervorragend geeignet ist, sich von den "anderen" abzugrenzen). Wahrscheinlich müssen wir uns nur an etwas mehr Uneindeutigkeit gewöhnen. Daran, das die Sprachentwicklung ähnlich wie ein Perpetuum mobile kein Ende findet.

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