Tierärzte Der Doktor und das liebe Vieh

  • von Martin Knobbe
Sie arbeiten in der Stadt oder auf dem Land, benutzen Skalpell oder Endoskop. Sie kümmern sich um gebrochene Läufe oder verkorkste Seelen. Manchmal tragen sie weiße Kittel - und oft kosten sie viel Geld: Tierärzte. Hausbesuch bei ganz besonderen Medizinern.

Der "Herr Doktor", wie sie ihn im Gasthaus in Wegscheid nennen, saß gerade beim Schnitzel, als sich das neue Leben ankündigte. Das Handy klingelte, der Herr Doktor trank sein Radler aus und stieg in den Jeep, er brauchte nur sechs Minuten. Der Stemplinger Johann wartete schon mit seiner Frau Rosina und seinem Sohn, der auch Johann heißt. Sie hatten einen Strick bereitgelegt, denn sie ahnten, es würde diesmal nicht einfach werden. Silke war extrem dick und ihre Beine zitterten. Der Herr Doktor legte sich die grüne Schürze aus Gummi an, zog sich den langen Handschuh über und griff von hinten in die Kuh, so tief, dass sein rechter Arm fast darin verschwand. Er spürte ungewöhnlich viele Haxen.

Das erste Kalb musste er drehen, damit es nicht auf dem Rücken lag. Die vorderen Füße lugten schon aus der Kuh heraus. Er knüpfte den Strick daran fest, und dann zogen sie, der Herr Doktor, der Stemplinger Johann und sein Sohn. Oans, zwoa, drei. Sie stemmten ihre Gummistiefel fester in den Boden, lehnten sich noch weiter zurück. Oans, zwoa, drei. Es dauerte eine halbe Minute, dann schlüpfte das Kalb aus der Kuh und klatschte auf den Beton, strampelnd, bereits gut einen Meter lang, um die 50 Kilo schwer, glänzend und glitschig vom Fruchtwasser. Gleich danach folgte das zweite. Da lag es, das doppelte neue Leben, braun-weiß gefleckte Zwillingsstiere, die zehnte und elfte Geburt in diesem Jahr bei Bauer Stemplinger.

Der Vieh-Doktor unterscheidet sich kaum noch vom Menschen-Doktor

Die Backen des Herrn Doktor hatten sich tiefrot gefärbt, seine Brille war verschmiert, die Schürze bedeckt von Blut und Schleim, jedoch die Augen strahlten. "Ich bin glücklich über jedes neue Rindvieh", sagte er. Roland Böhmisch liebt seinen Beruf. Sonst wäre er nicht 24 Stunden da, an sieben Tagen die Woche, für die Bauern und ihre Tiere, in guten wie in schlechten Zeiten, vom Beginn des neuen Lebens an bis zu seinem Ende.

In Deutschland gibt es rund 400.000 Ärzte, die sich um 82 Millionen Menschen kümmern. Und es gibt fast 23.000 Ärzte, die sich um 5,3 Millionen Hunde und 7,6 Millionen Katzen sorgen, um 5,7 Millionen Kaninchen, Meerschweinchen und Hamster, fünf Millionen Ziervögel und 80 Millionen Fische, um 13 Millionen Rinder, 27 Millionen Schweine und die anderen Millionen von Tieren.

Tierärzte haben meist lange und intensiv studiert, sie arbeiten auf dem Land oder in der Stadt, im Krankenhaus oder in der Praxis. Sie behandeln alles oder sind spezialisiert, sie arbeiten mit Skalpell oder mit der Seele des Tieres, hängen der Schulmedizin an oder der Naturheilkunde. Sie verwenden das Stethoskop, aber auch EKG, Endoskope, Kernspintomografen und Ultraschall. Sie tragen weiße Kittel und kosten oft viel Geld. Der Doktor für das Vieh unterscheidet sich kaum noch vom Doktor für den Menschen.

Der Landarzt

Auf dem Land ist die Bindung der Menschen zu ihrem Tierarzt stärker als zu ihrem Hausarzt, sagt Roland Böhmisch. Weil das Tier die Existenz der Menschen sichert. Eine gesunde Kuh gibt bis zu 50 Liter Milch pro Tag. Ist sie krank, gibt sie weniger oder gar nichts. Bei den niederbayerischen Bauern, die meist nur kleine Höfe haben, drückt ein krankes Tier die Bilanz. Die Bauern sind auf den "Herrn Doktor" angewiesen. Roland Böhmisch sagt, er ist ein Nutztierarzt.

Morgens trifft er sich mit seinem Kollegen Ralf Saile in der Praxis in Untergriesbach, 6300 Einwohner, rund 20 Kilometer von Passau, nur wenige Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Ab acht kommen die Anrufe, dann legen sie die Route fest, 70.000 Kilometer fährt Roland Böhmisch im Jahr.

Sein Beruf hat eine lange Tradition, mehrere Tausend Jahre reicht sie zurück. Wandszenen aus dem alten Ägypten überliefern, dass schon damals Menschen Geburtshilfe beim Rind geleistet haben. Aus dem alten Reich stammt auch das erste tierärztliche Dokument. Der "Veterinärpapyrus" von Kahun listet verschiedene Rinderkrankheiten auf und nennt als weitere Patienten Fisch, Gans und Hund.

Die meisten wollen lieber in der Stadt arbeiten

Heute sind Tierärzte spezialisiert, Roland Böhmisch sorgt sich um Großtiere, 70 Prozent seiner Patienten sind Rinder.

Der Kuh nähert sich der Arzt fast immer von hinten. An der Gebärmutter fühlt er die Trächtigkeit, an den Eierstöcken den Zyklusstand. Er beseitigt Nachgeburten und behandelt bakterielle Infektionen mit Antibiotika. Das Sohlengeschwür, eine häufige Erkrankung an der Klaue, therapiert er mit Salben und einem Verband. Er arbeitet auch für den Staat. Alle drei Monate sucht er sich eine Kuh, nimmt ihr hundert Milliliter Blut ab und schickt sie an ein Labor. So sieht es der "Nationale Rückstandskontrollplan" vor, der sicherstellen soll, dass die Tiere keine verbotenen Hormone, Medikamente oder Schadstoffe in sich haben.

In der Anschaffung ist das Rind kein teures Tier, ein Jungtier gibt es schon für 200 Euro. Daher ist auch die Behandlung günstig, ihren Preis legt die Gebührenordnung für Tierärzte fest, und die richtet sich unter anderem nach dem Wert des Tieres. Die Zwillingsgeburt beim Stemplinger Johann berechnet der Arzt mit 65 Euro, für das Drehen des Kalbes und das Ziehen am Seil. Einmal Lageberichtigung, zweimal Zughilfe, so steht es dann auf der Rechnung. "Ich sehe meine Arbeit als intensivierte Freizeitgestaltung", sagt Roland Böhmisch. "Aber reich wird man dabei nicht."

Die meisten Absolventen der tierärztlichen Hochschule wollen deshalb nicht aufs Land. Lieber in die Stadt. Wo das Vieh kleiner ist, sein ideeller Wert jedoch größer. Wo die Menschen fast alles investieren, damit es ihren Tieren gut geht. Und ihnen somit auch.

Der Hausarzt

Es muss die untere Holzleiste des Stuhles gewesen sein, ein harter Widerstand jedenfalls, auf den die rechte Vorderhand traf, der Knochen des Pudels brach ohne Ton. Es war an einem Mittwoch gegen 18.15 Uhr, Gerhard Neuber saß vor dem Fernsehgerät in der Küche, "Rhein-Main aktuell". Der Pudel ruhte auf seinem Schoß, die Frau war im Bad. Der Pudel strampelte, unruhig war er in letzter Zeit. "Trixi läufig" hatte Gerhard Neuber erst wenige Tage zuvor in seinem Kalender notiert. Der Pudel sprang, die harte Leiste, ein Jaulen, die Frau stürmte aus dem Bad. Der erste Notfall seit 28 Jahren, Trixi war der dritte Pudel in Folge und eigentlich der ruhigste, "ein echtes Mädschen halt", sagt Herr Neuber.

Er wählte drei Nummern, immer nur das Band, endlich eine echte Stimme, die Praxis von Dr. Schall in Ludwigshafen, der Notdienst. Das Taxi kostete 15 Euro. Der nächste Morgen, der Pudel liegt auf einem Tisch aus Edelstahl, in einem Raum mit weißen Fliesen, es riecht nach Desinfektion. Zellophan über dem Tier, ein Loch, aus dem das Fleisch rot leuchtet. Ärzte und Helferinnen in grünen Kitteln, Mundschutz, Halogenlicht, zwei Klammern halten die Knochen. In der Schnauze des Pudels steckt ein Schlauch, das Narkosemittel, die Zunge hängt daneben raus, im Bein steckt eine Infusionsnadel, Kochsalzlösung. Der Arzt bohrt die Knochen an, nimmt eine Platte aus Metall, die er mit zwei Schrauben befestigt. Der Eingriff dauert 35 Minuten.

Das gebrochene Bein des Pudels, die Kastration eines Labradors, die entzündete Kralle einer Katze, der Kreuzbandriss eines Pitbulls. Der Operationsplan ist voll an diesem Morgen. Horst Schall, der Chef, ist auf Fortbildung in der Schweiz, eine neue Methode zum Reparieren von Kreuzbändern. Den Praxisbetrieb organisieren seine Assistenzärzte. Wenn es warm ist, haben sie besonders viel zu tun. Dann gehen die Tiere raus mit ihren Menschen. Dann passiert eben mehr.

Was dem Menschen der Hausarzt, ist dem Haustier die Kleintierpraxis. Am Vormittag zur Sprechstunde reichen die Stühle im Wartezimmer nicht aus. Hüftschaden bei Timmi, dem Schäferhund, eine Cortisonspritze. Durchfall bei Zorro, dem Labrador, Kohletabletten. Röntgen bei Minka, der Hauskatze, Verdacht auf Krebs. Nägelschneiden bei Mampfred, dem dicken Hasen. Jedes Tier ein neues Problem, das ist die Herausforderung, sagt die Tierärztin Susan Grimminger.

Manchmal aber können auch die Ärzte nicht mehr helfen. Erika Gillner ist gekommen, um Jenny zu erlösen. Der Jack Russell fraß nicht mehr, jagte keine Hasen und kippte beim Gassigehen ohnmächtig um. Auf dem Röntgenbild ist ein dickes Krebsgeschwür an der Wirbelsäule zu sehen. Christian David, der Tierarzt, sagt, es gibt keine sinnvolle Therapie mehr.

Jenny hat Frau Gillner 13 Jahre lang durchs Leben begleitet, sie hatten viel Spaß miteinander. "Keiner liebt so bedingungslos wie ein Hund", sagt Frau Gillner. "Keiner versteht dich so gut, obwohl er nicht sprechen kann." Jetzt kann Frau Gillner nicht mehr sprechen. Sie nestelt nach einem Taschentuch.

Der Arzt zieht eine Spritze auf, das Medikament heißt Eutha 77, der Wirkstoff Pentobarbital. Er zurrt ein Band am Bein des Hundes fest. Frau Gillner muss Jenny festhalten. Der Hund zittert. Der Arzt desinfiziert, sticht, drückt die Spritze. Das Zappeln wird schwächer. Frau Gillner greift fester zu. Der Körper des Hundes sackt unter ihren Armen weg, seine Augen werden matt. Frau Gillner vergräbt ihr Gesicht im braun-weiß gefleckten Fell, das noch warm ist. Der Arzt geht hinaus und schließt leise die Tür. Der Abschied braucht seine Zeit.

Das Bein des schwarzen Pudels hingegen entwickelt sich gut. Trixi trägt eine Schiene, um die ein weißer Verband gewickelt ist, sie geht nun etwas hölzern. "Wir werden sie manchmal tragen müssen", sagt Renate Neuber, "aber wir machen das gerne." Sie wollten in den Urlaub fahren. Ins Oberallgäu zum Wandern, wie jedes Jahr. Sie haben die Reise abgesagt, denn sie haben kein Geld dafür. Die Operation von Trixi hat alles in allem 700 Euro gekostet. Es hätte schlimmer kommen können, sagt Herr Neuber.

Der Facharzt

Das Problem ist, dass ein Hund nicht sagen kann, ob er schlecht sieht. Sein Besitzer merkt es, wenn der Hund gegen eine Hauswand rennt. So ist es Bonny ergangen, dem zehnjährigen Schäferhundmischling. Seitdem ist Bonny ein Patient von Jens Fritsche aus München. Der Augenarzt hat dem Hund eine neue Linse eingesetzt, denn dieser litt an Diabetes. Die Zuckerkrankheit hat einen grauen Star ausgelöst, der die Linsen trübte. Die Operation hat 1200 Euro gekostet. Jetzt sieht Bonny auf einem Auge wieder gut. Er trägt einen Trichter aus Plastik um den Hals, damit er sich mit der Pfote nicht im Auge kratzt. Heute wird der Augeninnendruck gemessen. Er ist leicht erhöht. Normal, so kurz nach der Operation.

Tiere tragen keine Brillen, alles andere ist fast wie beim Menschen. Die Untersuchung zum Beispiel. Der Arzt leuchtet dem Patienten mit der Lampe ins Auge. Er sieht Schäden an Lid, Hornhaut, Iris und Linsen, auch Glaskörper und Netzhaut tastet er mit Licht ab. Jens Fritsche hat einen guten Ruf. Morgen reist ein Kaninchen aus Istanbul an, für eine neue Linse.

Jens Fritsche arbeitet auch für die Forschung. Für eine Studie probiert er an 30 Schäferhunden Kontaktlinsen aus, die einen Filter gegen Sonnenlicht haben. Das UV-Licht kann eine Autoimmunerkrankung der Hornhaut verstärken. Vor allem Schäferhunde leiden darunter. Der Arzt sagt, es gebe noch Probleme, den Hunden die Linsen anzupassen.

Das Niveau in der Tiermedizin wächst rasant. Es liegt daran, dass sie sich im ständigen Wettlauf mit der Humanmedizin sieht. Sie wird nie Erster, aber ein dichter Verfolger will sie sein, schon immer war das so. Kaum war Mitte des 19. Jahrhunderts die Narkose für den Menschen erfunden, betäubte man auch Tiere mit Äther und Chloroform. Kaum hatte der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen 1895 die "X-Strahlen" zur Diagnostik beim Menschen entdeckt, fotografierte ein Tierarzt aus Berlin den ersten Pferdefötus mit Röntgenstrahlen. Sobald sich die Humanmedizin in mehrere Fachbereiche aufsplitterte, spezialisierte sich auch die Tiermedizin: 1957 gab es noch vier anerkannte Facharztrichtungen unter Veterinärmedizinern, heute sind es etwa 80. Auch der medizinischen Literatur über das Tier ist nichts Menschliches fremd: Aus München stammt das Standardwerk "Geriatrie bei Hund und Katze". Es beschäftigt sich mit einem aktuellen demografischen Problem: der Überalterung des Haustiers.

Der Markt wächst. Das merkt vor allem die Pharmaindustrie. Im vergangenen Jahr wurden mit knapp 560 Millionen Euro knapp sechs Prozent mehr an Tierarzneimitteln umgesetzt als im Jahr zuvor. Auch das therapeutische Angebot wächst.

Es gibt zum Beispiel Doktoren für Exoten. Veit Kostka aus Hamburg hat sich auf alles spezialisiert, was Federn oder Schuppen hat. Er behandelt Schlangen mit Magenschmerzen. Wüstenechsen mit Parasiten im Darm. Schildkröten mit Nierenversagen. Wo die Schulmedizin nicht mehr helfen kann, versuchen sich Naturheilpraktiker. Claudia Arndt aus Hamburg therapiert Ohrenentzündungen und Juckreize mit Lichtwellen. Muskelverspannungen und Lähmungen mit Magnetfeldern. Arthritis und Wirbelsäulenleiden mit Blutegeln.

In München hat sich Sylvia Haghayegh auf schnelle Einsätze spezialisiert. Sie ist Tiernotärztin bei der Tierrettung der "Aktion Tier - Menschen für Tiere". Sie behandelt Katzen, die vom Auto angefahren wurden. Bussarde, die nicht mehr fliegen können. Terrier, die sich die Pfote in der Rolltreppe geklemmt haben. Ihr Mercedes-Bus gleicht einem Notarztwagen für Menschen, allein mit Blaulicht darf sie nicht fahren. Es gibt auch Zahnärzte wie Astrid Bienert, die an der Tierärztlichen Hochschule Hannover arbeitet und nichts anderes tut, als Stuten und Gäulen ins Maul zu schauen. Sie raspelt Schneide- und Backenzähne, denn sie wachsen beim Pferd das ganze Leben lang. Werden sie nicht gleichmäßig abgenutzt, schmerzt das Kiefergelenk.

Der Professor

Ein großer Stall, es stinkt nach Mist, mitten in der Stadt. Aus rotem Backstein dringt Muh und Miau und ab und an ein Wiehern. 1778 wurde die "Roßarzney-Schule" zu Hannover gegründet, das Militär verlangte einst nach besserer Pflege der Pferdebestände. In ganz Deutschland regelte seit Mitte des 18. Jahrhunderts der Staat die Ausbildung der Tierärzte, denn Tierseuchen bedrohten die Volkswirtschaft. Heute werden hier nicht nur Pferde behandelt. Es gibt Kliniken für Rinder, Geflügel und Klauentiere, Institute für Tierhygiene, Wildtierforschung, für Mikrobiologie, Pharmakologie. 2100 angehende Tierärzte studieren in der Tierärztlichen Hochschule. Ingo Nolte ist Leiter der Klinik für kleine Haustiere. Schwerpunkt seiner Forschung ist die Krebswissenschaft. Sein Lehrstuhl ist mit fünf Professoren und vier Oberärzten besetzt.

Herr Professor, gibt es Herzschrittmacher für Tiere?

Wir setzen bei Hunden welche ein, die für Menschen gemacht sind. Das kommt aber nicht häufig vor. Nur wenige Hunde haben ein schwaches Herz.

Die Einnahmen Ihrer Klinik steigen. Warum gehen immer mehr Menschen zum Tierarzt?

Das liegt an der gesellschaftlichen Bedeutung des Kleintiers. Früher lief die Katze im Stall rum und sollte Mäuse fangen. Heute ist sie Teil der Familie und wird auch so behandelt.

Kann die Humanmedizin von der Tiermedizin lernen?

Auf jeden Fall. Wir haben eine sehr reiche Artenvielfalt. Und es gibt viele Erkrankungen bei Hund oder Katze, die auch wir Menschen kennen. Deshalb ist das Kleintier als biologisches Modell für alle Mediziner hochinteressant.

Übergewicht ist bei Menschen ein Thema, auch bei den Tieren?

Allerdings, vor allem bei der Stubenkatze. Übergewicht und Diabetes sind die Zivilisationskrankheiten des Tieres.

Sie behandeln auch Krebsfälle bei Tieren - mit Chemotherapie und Bestrahlung. Was machen Sie, wenn diese Behandlungen nicht mehr helfen?

Wir haben einen großen Vorteil gegenüber der Humanmedizin. Wir müssen nicht bis zum letzten Atemzug therapieren. Bei einer Erkrankung ohne Perspektive können wir das Tier einschläfern und ersparen ihm so weiteres Leiden. Das führt oft zu langen Diskussionen mit den Besitzern, die ihr Tier nicht aufgeben wollen. Wir sind in diesem Moment die Anwälte der Tiere.

Die Psychologin

Sammy, Ellie, Timm und Frau Fuhrmann können nicht mehr miteinander. Ellie ist übermütig, Sammy lethargisch. Sammy ignoriert Ellie und schnappt nach Timm. Frau Fuhrmann weiß nicht mehr, was sie tun soll. Deshalb sitzen sie nun alle bei Ute Baumeister: die zwei französischen Bulldoggen, die 37 Jahre alte Frau und ihr 15-jähriger Sohn. Sie haben die Psychologin bei einem Kurs der Volkshochschule kennengelernt, den Frau Baumeister geleitet hat. "Dogtalk" hieß er, "Wie rede ich mit meinem Hund".

Frau Baumeister hat Humanmedizin und Psychologie studiert. Außerdem hat sie sich bei einer Fernschule zur Tierpsychologin ausbilden lassen, 14 Monate dauert das. Sie bietet Beratung an, am Telefon und persönlich, für 60 Euro die Stunde. Ihre Firma nennt sie "doc4dogs".

Mit der Psyche des Tieres beschäftigt man sich seit bald hundert Jahren. Früher ging es vor allem darum, das Verhalten der Tiere zu erforschen. Heute geht es vor allem darum, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu analysieren, denn das Heimtier wird zunehmend ein Partner-ersatz, sagt Uwe Friedemann, Volkswirt und Gründer des Marktforschungsunternehmens "The Consumer View". Haustiere übernehmen für den Menschen mehr soziale Aufgaben. Sie stärken das Verantwortungsgefühl, helfen gegen Einsamkeit. Menschen mit Tier werden auch seltener krank, das haben Studien bewiesen. Deshalb sind die Menschen bereit, mehr in Pflege und Gesundheit ihrer Tiere zu investieren. Sogar, wenn es um eine geschädigte Psyche geht.

Die Tierpsychologin sitzt in ihrer Wohnung in Hamburg vor einem großen Bett, aus dessen Rahmen mannshohe Pfeile ragen. "Bei Sammy und Ellie und Timm handelt es sich offenbar um eine Hierarchiestörung", sagt Frau Baumeister. Der ältere Hund akzeptiert den Sohn nicht als Ranghöheren, deshalb ist er ungewöhnlich aggressiv.

Frau Baumeister will zu Ellie, Sammy, Timm und Frau Fuhrmann nach Hause. Sie möchte wissen, wie ihre Klienten wohnen. Im Wohnzimmer steht ein großes und sehr flaches Fernsehgerät und ein rotes Sofa. Darauf spielen die Hunde gerne, obwohl sie es nicht sollen. "Es gibt Tricks, es ihnen abzugewöhnen", sagt Frau Baumeister. Alufolie zum Beispiel, denn Hunde mögen keine Alufolie.

Frau Baumeister rollt lange, silberne Bahnen auf dem roten Sofa aus. Sie hat einen Zettel mitgebracht mit ein paar Regeln, die Frau Fuhrmann und Timm beachten sollen, bis zur nächsten Therapiesitzung. Timm soll vermeiden, den Hund zu provozieren. Stattdessen soll er üben, "calming signals" auszusenden. Sich zurückzulehnen beruhigt das Tier, sagt Frau Baumeister, auch gähnen. Timm lehnt sich zurück und gähnt. Sammy hüpft auf das Sofa und trampelt auf der Alufolie. Das Geräusch scheint ihm zu gefallen.

Der Pathologe

Drei Leichen, drei Rätsel. Mit starrem Blick liegen sie da, gehäutet und gewaschen, auf Tischen aus kaltem Stahl. Der Rottweiler, war es ein Milztumor? Die kleine Giraffe, warum wurde sie tot geboren? Die Ziege, einfach umgefallen, plötzlicher Herztod? Am Ende des Tages wird man wissen, woran sie gestorben sind. Es ist wie beim Menschen: Das ärztliche Interesse hört mit dem Tode nicht auf.

In der Sektionshalle des veterinärmedizinischen Fachbereichs der Uni Gießen riecht es wie ein Kotelett vor dem Anbraten. Die Präparatoren tragen dicke Schürzen, Stiefel und Handschuhe. Sie öffnen Brustkörbe mit Spreizzangen und trennen Knochen mit Kreissägen. Danach entnehmen Studenten jedes Organ, zerlegen es mit Skalpellen, untersuchen Gewebeproben unter dem Mikroskop. Der Professor kommt vorbei im weißen Kittel und stellt Fragen. Jeder, der Tierarzt werden will, muss hier durch.

Im Interesse der Wissenschaft will man wissen, warum Tiere sterben. Man kann so zum Beispiel neue Krankheiten entdecken. Verendete die Ziege an einer ansteckenden Infektion, ist das auch für den Besitzer interessant. Denn dann sind die anderen Tiere im Stall gefährdet. Manchmal wollen die Tierhalter nur aus Neugierde wissen, warum ihr Tier verendet ist. Und manchmal entdecken die Pathologen auch einen Mord.

Es war vor ein paar Jahren. Auffallend viele Hunde starben auf einer Wiese im Vogelsberg, einem hessischen Naturpark. Die Gießener Pathologen öffneten ihre Körper und sahen nach, was in den Mägen war. Sie entdeckten kleine Speckwürfel, fast unverdaut, darin Spuren von Strychnin. Das Gift lähmte in Sekunden die Atmung. Die Tierärzte hatten ihren Teil des Falls gelöst. Der Mörder vom Vogelsberg aber ist bis heute nicht gefasst.

Tipps, Zahlen und Web-Adressen

Feste Regeln, feste Sätze

Wie werde ich Tierarzt? Kann ich meinen Hund krankenversichern? Was kostet die Behandlung? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema
In Deutschland arbeiten 22 700 Tierärzte, davon knapp 11 000 in einer Praxis.

STUDIUM

Um die rund 1000 Plätze, die pro Semester an fünf Hochschulen in Deutschland angeboten werden, bewerben sich fast fünfmal so viele Abiturienten. Der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft: Jedes Jahr werden rund 900 Tierärzte neu approbiert, nur 230 scheiden aus dem Berufsleben aus.

HONORARE

Tiere sind Privatpatienten. Ihre Halter rechnen direkt mit dem Tierarzt ab. Die Honorare des Tierarztes sind in einer bundeseinheitlichen Gesetzesordnung geregelt, der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT). Von der Ohrenentzündung des Hundes bis zum Kaiserschnitt beim Rind sind die Sätze genau festgelegt. Der Tierarzt darf seine Leistung mit dem Ein- bis Dreifachen des jeweiligen Gebührensatzes berechnen. Die Höhe hängt von der Schwierigkeit des Falles, vom Zeitaufwand, vom Wert des Tieres und von den örtlichen Verhältnissen ab. Im Notdienst gelten grundsätzlich erhöhte Sätze. Material wie Verbände und Medikamente werden extra berechnet. Die meisten Beschwerden, die bei den Tierärztekammern eingehen, drehen sich weniger um die Höhe des Honorars als vielmehr um die berechneten Leistungen. Deshalb rät die Bundestierärztekammer, vorweg ausführlich mit dem Arzt die Art der Behandlung und die Kosten zu besprechen. Beschwerden über Tierärzte nehmen die Landestierärztekammern entgegen.

VERSICHERUNGEN

Noch sind die wenigsten Tiere krankenversichert, doch die Nachfrage nach Kranken- und Operationspolicen nimmt zu. Der Halter kann zwischen der reinen Absicherung bei Operationen bis zum Krankenvollschutz wählen. Die Prämien liegen zwischen knapp 60 bis rund 500 Euro im Jahr. Die größten Anbieter sind Agila (zusätzliches Angebot auch über die Handelskette Fressnapf), Uelzener und Axa-Tierpartner.

Mehr Informationen:

www.bundestieraerztekammer.de
Mit Adressen der Landestierärztekammern.
www.tieraerzteverband.de
Informationen des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte.
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