"Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt in tausend Stücke zerbräche, ich würde heute noch einen Baum pflanzen."
Dieses Zitat von Martin Luther zeigt seinen Optimismus. Den brauchte er auch in einer Welt, in der die Kirche das schlechte Gewissen der Menschen zu Geld machte. Seine Worte erlangen wieder erstaunliche Aktualität in Zeiten, in denen Ablasshandel mit Kohlendioxid (CO2) betrieben wird.
CO2-Buße als Marketinginstrument
CO2 statt Ketzerei - so heißt die Sünde unserer Tage. Sie bringt einen nicht im Jenseits in die Hölle, könnte aber das Diesseits in eine ebensolche verwandeln. Denn das Klimagas CO2 ist nach Auffassung von Wissenschaftlern verantwortlich für die globale Erwärmung. Und der Mensch, so die gängige Meinung, hat sie zu verantworten durch das Verbrennen von Kohle und Erdöl im großen Stil.
Nicht die Kirche, sondern Firmen wie Atmosfair, CarbonNeutral, Myclimate oder 3C bieten an, mit Geld sein CO2-Sündenkonto zu begleichen. Tatsächlich sind die Versuchungen groß: Für 19 Euro im Flieger mal eben nach Mallorca, Paris oder Mailand - mit solchen Angeboten locken Billigflieger wie Germanwings und Tuifly. Dass diese Preise kaum die ökonomische Realität wiedergeben, dürfte jedem klar sein. Dass sie aber die Kosten für die Umweltschäden erst recht nicht berücksichtigen, kommt erst nach und nach in den Köpfen an. Und letztlich auch im schlechten Gewissen.
Längst haben auch Promis die CO2-Buße als Marketinginstrument entdeckt: Bands wie die Rolling Stones und Coldplay brüsten sich bereits, ihre Touren CO2-neutral zu gestalten, indem sie als Ausgleich Bäume pflanzen lassen. Denn Bäume entziehen der Atmosphäre das Klimagas CO2, was gut ist für das Klima.
Aufgeforstete Bäume sollen überschüssiges CO2 wieder binden
Die Unternehmen investieren das Geld in Projekte, die CO2 reduzieren sollen. Solarküchen in Indien, Biogasanlagen in Thailand, Wasserkraftwerke in Bulgarien - Beispiele für die Förderung erneuerbarer Energien vorwiegend in Schwellenländern. Und auch Wiederaufforstungsprojekte werden gefördert. CarbonNeutral beispielsweise fördert ein Wiederaufforstungsprojekt in Ostdeutschland und England.
Einfach einen Baum für einen Urlaub pflanzen? Ist es wirklich so einfach?
Wäre das Flugzeug mit Holz angetrieben, flöge man klimafreundlich. Denn Bäume bestehen aus Holz und Holz ist Kohlenstoff, den sie in Form von CO2 der Atmosphäre entzogen haben. Fällt man den Baum, verbrennt oder kompostiert das Holz, verbindet sich der Kohlenstoff darin wieder mit dem Sauerstoff zu CO2 und verpufft zurück in die Atmosphäre. Allerdings entsteht bei der Verbrennung von Holz nur soviel CO2, wie der Baum der Atmosphäre entnommen hat - ein Kreislauf.
Fossile Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas jedoch sind Überreste von Pflanzen und Einzellern, die vor vielen Millionen Jahren begraben wurden. Sie entzogen der Atmosphäre über diesen langen Zeitraum Kohlendioxid und begruben ihn in der Erde, sodass der Kohlenstoff nicht in die Atmosphäre zurück gelangte. Verbrennt man nun Kohle oder Erdöl, wird das vor Jahrmillionen entzogene Kohlendioxid in kürzester Zeit zurück in den Kreislauf gespeist - was wiederum das Klima aus dem Gleichgewicht bringt. Bei jeder Autofahrt, bei jedem Flug wird also fossiler Brennstoff verbrannt, der der Atmosphäre mehr CO2 zufügt. Die Idee bei der Aufforstung ist, diesen Prozess auszugleichen: Das Mehr an CO2 soll durch neue Bäume wieder gebunden werden.
Nach dem Pflanzen der Bäume entwich zunächst Kohlenstoff
Angelika Thuille vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena hat die Kohlenstoffbilanz von Fichten-Wiederaufforstungen in den Alpen untersucht. Sie hat dabei nicht nur die Bäume als Kohlenstoffspeicher untersucht, sondern auch den Boden, der auch Kohlendioxid in Form von Kohlenstoff speichert - und das sogar längerfristig als Bäume.
Thuilles Ergebnisse sind ernüchternd, denn der Boden machte den Effekt der Wiederaufforstung zunächst zunichte: "Eine Aufforstung ehemaliger Grasflächen führte zunächst zu einem Verlust von Kohlenstoff im Boden", sagt sie. Der Grund: Um die Baumsetzlinge anzupflanzen, wurde der Boden aufgegraben, sodass sich Wärme und Feuchte änderten. Das wiederum regte Bakterien, Pilze und Insekten an, sich zu vermehren. Und die ernähren sich von kohlenstoffhaltigen Substanzen im Boden und setzen ihn in Form von CO2 in die Atmosphäre frei.
Genau das Gegenteil aber soll die Aufforstung bewirken: Das Kohlendioxid der Atmosphäre binden und senken. Zwar speichert der langsam wachsende Baum nach und nach CO2. Doch das braucht seine Zeit.
Aufforstung taugt nur auf lange Sicht
Bei Thuilles untersuchten Aufforstungsstandorten begann die Gesamtmenge an CO2 in Boden und Baum erst in etwa 15 Jahren nennenswert zuzunehmen. Ein Hektar Fichtenwald absorbierte in diesem Zeitraum ungefähr soviel CO2 wie allein vier Flüge Hamburg-Bangkok an CO2 produzieren. In 80 Jahren sind es 786 Tonnen Kohlendioxid. Das entspricht ungefähr der Menge, die ein durchschnittlicher Deutscher in diesem Zeitraum produziert.
Um alle Deutschen mit Bäumen klimatisch lebenslang zu neutralisieren, müsste man also rund 820.000 Quadratkilometer Fichtenwald anpflanzen - das ist mehr als die doppelte Fläche Deutschlands oder ziemlich genau die Namibias. Allerdings werden Fichten nur 80 bis 120 Jahre alt. Nach einem Menschenleben würden die aufgeforsteten Bäume ihr ganzes gebundenes CO2 wieder freisetzen.
Ablasshandel mit Bäumen taugt also wenn überhaupt nur auf langfristige Sicht. Doch die zeitlichen Dimensionen sind zu groß, um den Klimawandel zu bremsen. Besser wäre der Erhalt schon bestehender Waldflächen - zum Beispiel die Regenwälder Südamerikas. Dort gehen täglich 32 Quadratkilometer Waldfläche verloren - genug für 3200 deutsche CO2-Produzenten.