Erste Bilanz So sehr schadet der Krieg in der Ukraine dem globalen Klima

Ein Soldat feuert eine D-30-Kanone auf russische Stellungen an der Frontlinie ab
Ein Soldat feuert eine D-30-Kanone auf russische Stellungen an der Frontlinie ab
© LIBKOS / AP / DPA
Als erstes Land versucht die Ukraine inmitten eines militärischen Konfliktes eine Klimabilanz des Krieges aufzustellen. Jetzt wurde ein entsprechender Report veröffentlicht. Er könnte auch für andere Kriege wegweisend werden.

Militärische Konflikte und Streitkräfte gehören zu den größten Umwelt- und Klimasündern. Alle Militärs zusammen mit den Rüstungsindustrien verursachen ungefähr sechs Prozent der globalen Treibhausgasemissionen, hat die Gruppe Scientists for Global Responsibility schon vor Jahren errechnet. Gut möglich, dass der Anteil in Zeiten von Ukraine- und Gaza-Krieg weiter gestiegen ist. Wäre der Militärsektor ein Land, stünde er jedenfalls auf der Rangliste der Staaten mit den höchsten Emissionen direkt hinter China, den USA und Indien auf Platz vier.

Wie stark militärische Konflikte dem Klima schaden, lässt sich allerdings kaum beziffern. Laut Kyoto-Protokoll sind Staaten nicht dazu verpflichtet, Daten über Öl- und Gasverbrauch von Panzern, Kampffliegern und Co. herauszugeben. Aus Sicherheitsgründen verzichten die meisten auch darauf, um Gegnern keinen militärischen Vorteil zu verschaffen. Die Ukraine ist nun das erste Land, das sich trotzdem an einer Klima-Schadensbilanz versucht.

Das sind die größten Emittenten im Ukraine-Krieg

Laut dem Report, der pünktlich zur Wiederaufbaukonferenz in Berlin erschienen ist und dort vorgestellt werden soll, sind die Emissionen der Ukraine in den vergangenen zwei Jahren um 175 Millionen Tonnen CO2 angestiegen. Das entspricht in etwa dem Ausstoß von 90 Millionen Autos oder den Gesamtemissionen der Niederlande pro Jahr, heißt es in dem Bericht der Initiative GHG Accounting of War. Die meisten Emissionen entstanden demnach durch die Zerstörung der zivilen Infrastruktur und durch die Kriegsführung. In den Jahren darauf nahm der Ausstoß im Gebäudesektor ab, weil sich der Frontverlauf kaum verändert hat und in unmittelbarer Umgebung die meisten Städte, Ortschaften und Gebäude bereits vollständig zerstört sind. Durch Raketenangriffe, Granaten und Bomben stiegen dafür die durch Landschaftsbrände verursachten Emissionen.

32 Prozent der klimaschädlichen, kriegsbedingten Emissionen verursacht den Berechnungen zufolge der Wiederaufbau des Landes. Den größten Schaden verzeichnen die ukrainischen Behörden in der zivilen Infrastruktur, also bei Wohnhäusern, Kulturstätten, medizinischen, sozialen und Bildungseinrichtungen. Dem folgen Schäden an der Infrastruktur und in der Industrie. Um die zerstörten Gebäude, Verkehrswege und Industrieanlagen zu reparieren, werden vor allem Beton und Stahl benötigt. Beide Materialien gelten als energieintensiv und deshalb klimaschädlich. Das Umweltministerium berücksichtigt auch zerstörte Fahrzeuge und Maschinen in seiner Berechnung.

Ein Großteil der Emissionen werden aber wohl erst künftig produziert, wenn der Krieg beendet ist und der Wiederaufbau ungestört beginnen kann.

Der zweitgrößte CO2-Emittent bildet die eigentliche Kriegsführung. 29 Prozent der Emissionen werden durch die Kämpfe an der Front verursacht. Für die Treibstoffverbräuche von Panzern, Fliegern, Hubschraubern, Lastwagen und Nutzfahrzeugen fallen den Berechnungen zufolge 44,5 Millionen Tonnen CO2 an. Ein Großteil davon stammt von russischer Seite (32,5 Millionen Tonnen CO2), der Rest wird von den ukrainischen Streitkräften emittiert (9,4 Millionen Tonnen CO2). Insgesamt dürfte der Ausstoß der Kriegshandlungen laut Report bei knapp 52 Millionen Tonnen CO2 liegen.

Allerdings sei der Kraftstoffbedarf im zweiten Kriegsjahr zurückgegangen, heißt es im Report. Dafür sei die Munitionsproduktion in Russland und der Ukraine, aber auch in den Unterstützerstaaten stark gestiegen. Für die Sprengstoffe wird vor allem Stahl benötigt, wodurch der Treibhausgasausstoß vor allem in der Produktion selbst steigt. Das betrifft aber nicht nur die beiden Kriegsparteien, sondern auch die Verbündeten, die vermehrt Munition liefern und seit dem russischen Überfall ihrerseits aufrüsten, Truppen verlegen und militärische Übungen durchführen. Der dabei verursachte Treibhausgasausstoß lässt sich allerdings nicht berechnen.

An dritter Stelle nennt das ukrainische Umweltministerium den zivilen Luftverkehr. Durch Krieg und Sanktionen wurden die Lufträume über der Ukraine, Belarus und Russland geschlossen. Für Reisende bedeutet das teils massive Umwege. Den Schätzungen zufolge sind so 24 Millionen zusätzliche Tonnen CO2 freigesetzt worden.

Daneben werden auch Flüchtlingsströme, Landbrände und die Zerstörung der Energieinfrastruktur als Ursache für erhöhte Treibhausgasemissionen gelistet.

Klima-Schadensbilanz für weitere Konflikte?

Noch nie hat ein Land mitten im Krieg versucht, seinen Kohlenstoffausstoß zu beziffern. Seit Kriegsbeginn hat die Initiative GHG Accounting of War im Auftrag des ukrainischen Umweltministeriums mehrere Berichte herausgegeben, um den Klimaschaden abzubilden. Für die Regierung in Kiew sind die Daten wertvoll, um andere Länder zur Unterstützung zu bewegen. Der aktuell vierte Bericht ist eine Fortschreibung der früheren Berechnungen. Die Initiative wird von der deutschen sowie schwedischen Regierung und mehreren internationalen Klimaschutz-Institutionen gefördert. Der Bericht basiert auf Daten der ukrainischen Regierung, der ukrainischen Zivilschutzbehörde und wissenschaftlicher Einrichtungen. Auch europäische und US-amerikanische Militärdaten flossen in die Berechnungen mit ein. Weil die Daten aufgrund der Geheimhaltung militärischer Informationen unvollständig sind, hat der Report keinen wissenschaftlichen Anspruch.

Der Bericht könnte allerdings wegweisend für die Klima-Schadensbilanz militärischer Konflikte sein. Die UN-Vollversammlung und mehrere europäische Initiativen haben entschieden, dass Klimaschäden durch den russischen Angriffskrieg in den Kriegskosten einbezogen werden sollen. Eine US-amerikanische Forschergruppe hat für die sozialen Kosten der Klimazerstörung in einer Studie 185 US-Dollar pro Tonne CO2 veranschlagt. Laut dem ukrainischen Report müsste Russland allein wegen der zusätzlichen Emissionen schon jetzt 32 Milliarden Dollar an Reparaturzahlungen aufbringen.

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