Es war gerade drei Uhr in der Nacht, als zwei heftige, ohrenbetäubende Explosionen die Rückseite des Amsterdamer Sondergerichtshofes zum Teil in die Luft sprengten. Fensterscheiben zersplitterten. Glas flog klirrend auf die Straße. Die Anrainer zitterten in ihren Betten. Aber niemand kam zu Schaden. Danach blieb alles still. Die Kriminalbeamten, die in wenigen Minuten zur Stelle waren, ermittelten und sicherten später noch einen dritten Sprengkörper. Dieser war nur zum Teil explodiert. Er wurde unschädlich gemacht.
Zwölf Jahre bekam er, nur fünf musste er absitzen
Bislang steht die Justiz vor einem Rätsel. Sicher ist aber wohl, dass das Attentat in direkter Verbindung steht mit einem der größten Strafprozesse der Niederlande. Er sollte sechs Stunden später, heute Morgen um neun Uhr beginnen. Der Hauptangeklagte in diesem sehr komplizierten Mord- und Erpressungsverfahren war in seinem Gefängnis 95 Kilometer entfernt gerade geweckt worden. Willem Holleeder heißt er.
Nachdem er 1983 mit drei Komplizen den Milliardär Freddy Heineken, Inhaber der Heineken Brauerei entführte, gilt er als "schwerster Junge" der Niederlande. Er wurde damals zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verdonnert. Lediglich fünf davon musste er absitzen. Der Rest wurde ihm wegen guter Führung erlassen.
Wer ihm nicht nach der "Nase" tanzt, wird umgebracht
Es gibt ein rauschendes Fest in einem Amsterdamer Nobelhotel, als er den Knast verlässt. Mit dabei ist auch Willem Endstra, ein damals junger Immobilienhändler aus oberster Gesellschaftsschicht. Steinreich. Und Jurist. Der Gangster und der Gentleman werden Freunde. Holleeder beichtet ihm seine Sünden, sagt, dass er sein Leben bessern will und Endstra heuert ihn an für Jobs, die er selber lieber nicht machen will.
Die guten Vorsätze Holleeders dauern jedoch nicht lange. Er sieht bei seinem Chef, wie man Geschäfte machen kann - und versucht selbst, auf dem Immobilienmarkt Kohle zu kassieren. Mit seinem Etikett von Kidnapper kommt er nicht weit. Er gleitet langsam aber sicher wieder in kriminelle Kreise ab. Einschüchterung und Erpressung werden seine Spezialität. Wer nicht macht, was Willem "die Nase" will, lässt er umbringen. Angst und Schrecken verbreitet er.
Zwei Schüsse in die Brust, ein "Gnadenschuss" in den Nacken
Jahrelang herrscht Willem Holleeder in der Amsterdamer Unterwelt. Keiner traut sich gegen ihn auszupacken. Inzwischen sahnt er als Bandenchef zig Millionen ab. Endstra will keine Deals mehr mit ihm machen. Das bedeutet Rache. Am 17. Mai 2004 wird der Geschäftsmann vor seinem vornehmen Büro im feinen Amsterdam-Süd von einem Auftragskiller erschossen. Zwei Schüsse in die Brust, einen "Gnadenschuss" in den Nacken. Der Mord trägt die Handschrift seines Ex-Kumpels Holleeder, der guten Grund hat, Willem Endstra aus dem Weg zu räumen. Er hatte bei einer Geheimabteilung der Amsterdamer Polizei über die Machenschaften Holleeders ausgepackt .
Der Gangster habe 150 Millionen Euro mit Erpressungen bei ihm abgezockt, so erzählt er den Kripospitzeln. Die Hälfte seines Vermögens von 350 Millionen Euro ist verschwunden. Nicht ohne Grund nennt man ihn "Bankier der Unterwelt". Holleeder bekam Wind von Endstras heimlichen Polizeikontakten. Das führt zum gnadenlosen Tod des Immobilienhändlers.
Endstra pflegte auch gute Beziehungen nach Deutschland. Seine Familie hatte ihr Kapital aufgebaut mit dem Verkauf von Kesselwagen und die Gewinne zum Teil investiert in die deutsche Kesselwagen VermietungsGesellschaft (KVG). Als das Verhältnis mit Holleeder noch freundschaftlich war, drängt er seinen "Partner" , viele Millionen locker zu machen zum Kauf des Flughafens Laarbruch am Niederrhein. Der Regionalairport soll für Drogenflüge benutzt werden, so wollen es Holleeder und seine Helfershelfer aus dem XTC-Milieu. Endstra ist seine Visitenkarte. Die Deutsche Kripo wittert Unrat und Endstra kann das Geschäft nicht so abwickeln, wie sein "Freund" es verlangt. Ein anderer Niederländer steigt dafür ein.
"Die Nase" hat die Nase voll vom Knast
In dem "Jahrhundertverfahren" ist Willem Holleeder die Schlüsselfigur. Mit ihm werden neun seiner Mitläufer angeklagt. Die Staatsanwaltschaft glaubt, genug Beweismaterial zu haben, um das ganze Netz zu entwirren. Holleeder und Konsorten weisen alle Anschuldigungen von der Hand - und lassen sich von Spitzenanwälten vertreten.
Nach dem Anschlag nach Mafia-Vorbild von heute Nacht musste der Prozessanfang bis 14.00 Uhr verschoben werden. Es wird noch Monate dauern, bevor die Verhandlung Klarheit bringen kann. Für die Justiz eine schwere Aufgabe. "Denn Holleeder kämpft mit harten Bandagen. Er lässt sich nicht einfach so wieder ins Kittchen stecken. 'Die Nase' hat davon die Nase voll", so das Haarlems Dagblad.
Die Frage ist, wer Interesse daran hat, den Prozessgang zu stören. Holleeders Anwälte verneinen vehement, dass der Topkriminelle selbst die Hand mit im Spiel hat und symbolisch zeigen will, wie weit seine Macht reicht: bis ins Herz des Bunkers, dem sichersten Gerichtshof der Niederlande. "Dies zu zeigen wäre kontraproduktiv", so sein Verteidiger Jan Hein Kuijpers. "Holleeder selbst hat keine blasse Ahnung, wer ihm diesen Streich spielt. Wir tappen alle im Dunkeln".