Die militant-islamistischen Taliban setzen ihren Vormarsch in Afghanistan fort und rücken dabei immer näher an die Hauptstadt Kabul heran. Am Samstagmorgen habe es Gefechte um Maidan Schar gegeben, Hauptstadt der rund 35 Kilometer von Kabul gelegenen Provinz Maidan Wardak, sagte die Abgeordnete Hamida Akbari der Deutschen Presse-Agentur. Die Taliban beherrschten bereits einen Großteil der Bezirke in der Provinz.
Landesweit setzten sich die Kämpfe zwischen den Taliban und Regierungstruppen in mindestens fünf Provinzen fort. Auch Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr noch bis Juni ihr Hauptquartier hatte, ist ein klares Ziel der Islamisten.
Die Taliban versuchten am Samstagmorgen in die Stadt im Norden einzudringen, konnten aber nach Angaben örtlicher Politiker zurückgedrängt werden. Der Ex-Provinzgouverneur Mohammad Atta Nur und der ehemalige Kriegsfürst Abdul Raschid Dostum haben in der Provinz Balch, in der Masar-i-Scharif liegt, eine Verteidigungslinie aufgebaut. Die Taliban haben umliegende Provinzen bereits eingenommen.
Afghanistan: zweit- und drittgrößte Stadt in den Händen der Taliban
Am Samstag konnten die Islamisten zudem die mittlerweile 19 der 34 Provinzhauptstädte des Landes übernehmen. Scharana mit seinen geschätzt 66.000 Einwohnern in der Provinz Paktika im Südosten des Landes sei nach Vermittlung Ältester kampflos an die Taliban gegangen, bestätigten drei lokale Behördenvertreter. Im Osten wurden Kämpfe um die Provinzhauptstädte von Paktia und Kunar gemeldet. Diese Woche fielen mit Herat und Kandahar bereits die dritt- und die zweitgrößte Stadt des Landes an die Islamisten.

Der afghanische Präsident Aschraf Ghani sagte in einer kurzen TV-Ansprache am Samstag, er wolle nicht, dass weiter das Blut unschuldiger Menschen in Afghanistan vergossen werde. Er habe Konsultationen mit politischen Führern des Landes und internationalen Partnern abgehalten und wolle die Ergebnisse seinen Landsleuten "bald" mitteilen.
Norbert Röttgen fordert Einschreiten des Westens
Unterdessen hat der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), ein Einschreiten des Westens und der Bundeswehr gegen die Taliban gefordert. "Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren", sagte Röttgen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Tatenlosigkeit angesichts des Taliban-Vormarschs "wäre eine massive Selbstbeschädigung unserer Glaubwürdigkeit", warnte Röttgen. "Nach 20 Jahren Einsatz zu sagen, das sei eine afghanische Angelegenheit, ist wirklich absurd und beschämend", fügte der CDU-Politiker hinzu. Es gehe nicht darum, aus Afghanistan eine moderne Demokratie zu machen.
Röttgen betonte, dass er nicht dafür sei, den Truppenabzug aus Afghanistan rückgängig zu machen. "Trotzdem muss man der Offensive der Taliban jetzt etwas entgegensetzen, aus der Verantwortung nach 20 Jahren Einsatz heraus und aufgrund unserer eigenen Sicherheitsinteressen", sagte er dem RND. "Es reicht nicht, dass wir immer nur amerikanische Entscheidungen abnicken."