Arkadij Rotenberg oder Juri Kowaltschuk. Schon wenige Tage nachdem Alexej Nawalny sein Enthüllungsvideo über einen grandiosen Palast an der Küste des Schwarzen Meeres veröffentlicht hat, waren diese beiden Namen im Gespräch. Wer von den beiden Oligarchen würde sich zum Besitzer des prunkvollen Baus erklären, das da auf der steilen Klippe thront, spekulierte man in Russland. Denn der Mann, dem das Anwesen tatsächlich gehört, wird sich wohl nie dazu bekennen: Wladimir Putin.
Die Existenz dieses Palasts ist bereits seit mehr als zehn Jahren bekannt. Doch mit einer sensationellen Rekonstruktion des komplizierten Netzes aus Scheinfirmen und Strohmännern, das die wahre Besitzerschaft verschleiern sollte, hob Nawalny das Thema wieder auf die Agenda und führte den Russen nur zu deutlich vor Augen, dass der Mythos des "demütigen Dieners" – wie sich Putin gern selbst bezeichnet – nicht der Wahrheit entspricht.
Die Kreml-Propaganda suchte lange nach einer Antwort auf das Enthüllungsvideo. Es begann das übliche Taktieren: Mal wurde die Information gestreut, eine Gruppe ominöser Geschäftsmänner habe das Anwesen für Putin als Geschenk gebaut. Mal griff man auf sture Dementi zurück. Nun wurden offenbar Streichhölzer gezogen – und den kürzeren zog Arkadij Rotenberg, witzeln die Russen.
Der hat sich nämlich zum Besitzer des Palasts erklärt. "Jetzt wird es kein Geheimnis mehr sein – ich bin der Begünstigte (dieses Hauses)", sagte Rotenberg in einem Videointerview mit dem kremlhörigen Onlineportal "Mash" am vergangenen Samstag. "Es war ein ziemlich schwieriges Objekt, es gab viele Gläubiger, und ich habe es geschafft, Begünstigter zu werden. Es ist ein Geschenk des Himmels, der Ort ist wunderschön", schwärmte der Oligarch.
Rotenberg will das Anwesen bereits vor einigen Jahren erworben haben. Er plane jetzt, aus dem Palastes ein "Apart-Hotel" zu machen, erzählte er. "Ich mag dieses Geschäft wirklich, die Hotellerie", sagte Rotenberg.
Zweifelhaftes Lippenbekenntnis eines noch zweifelhafteren Mannes
Viele Worte, die aber wenig erklären. Warum ist Rotenberg nicht in den offiziellen Dokumenten als Besitzer aufgeführt? Warum wird ein zukünftiges Apart-Hotel vom FSB überwacht? Warum wurde darüber eine Flugverbotszone errichtet? Warum müssen Schiffe die entsprechende Küstenlinie in einem Abstand von mindestens einer Seemeile umfahren? Warum baute der FSO Grenzposten und Funkanlagen auf dem Gelände? Der Dienst also, dessen Hauptaufgabe die Sicherheit des russischen Präsidenten ist. Warum ist das Gebiet für die Öffentlichkeit nicht zugänglich? Und schließlich: Warum befindet es Rotenberg nicht für notwendig, seine angeblichen Besitztümer in seiner Steuererklärung zu deklarieren?
Doch diese Fragen stellten die Kreml-Propagandisten nicht. Ein zweifelhaftes Lippenbekenntnis eines noch zweifelhafteren Mannes sollte den Furor, den das Enthüllungsvideo von Nawalny ausgelöst hat, wieder zum Erliegen bringen. Der Zeitpunkt des Geständnisses kam nicht von ungefähr: Einen Tag vor den angekündigten Protesten am vergangenen Sonntag. Geholfen hat es wenig. Die Demonstrationen entwickelten sich zur größten Protestaktion der Putin-Ära.
"Dass das Los ausgerechnet auf den Mann gefallen ist, der persönliche Geldbörse Putins genannt wird, ist wirklich lustig. Was anderes ist ihnen nicht eingefallen", kommentierte der Vorsitzende des Anti-Korruptions-Stiftung von Nawalny, Iwan Schdanow, das Auftauchen des vermeintlichen Palast-Besitzers.
Freundschaft mit Wladimir Putin seit 1964
Als "persönliche Geldbörse Putins" hat Arkadij Rotenberg in Russland tatsächlich zu einem gewissen Grad an Bekanntheit gebracht. Er ist einer der ältesten Freunde des Kreml-Chefs und einer der führenden Köpfe des sogenannten "Politbüros 2.0" – der Führungsriege um den Präsidenten, die sich aus politischen Amtsträgern und Unternehmern aus dem Ölgeschäft, der Technologie, dem Bank- und Bauwesen zusammensetzt.
Seine Freundschaft mit dem Präsidenten bezeichnete Rotenberg einmal als "erprobt". Kennengelernt haben sich die beiden noch in ihrer Kindheit. Es war der Kampfsport, der sie zusammenbrachte. 1964 trainierten sie zusammen im damaligen Leningrad in einer Gruppe des Judo-Trainers Anatolij Rakhlin.
Während Putin nach seinem Schulabschluss beim KGB eine Beschäftigung fand, macht Rotenberg einen Abschluss an der Fakultät für Körperkultur, Sport und Gesundheit der Leningrader Universität und schlug sich anschließend als Kleinunternehmer durch. Das Blatt wendete such für ihn, als Putin 2000 an die Spitze der Macht gelangte.
Vom Sportwissenschaftler zum Magnaten
Zunächst ernannte der frisch gebackene Präsident seinen alten Freund zum Chef von Rosspirtprom, einem von Putin geschaffenen Staatsunternehmen, das damals 30 Prozent des russischen Wodka-Marktes kontrollierte und wo sich dementsprechend viel Geld einnehmen ließ.
2001 stieg Rotenberg ins Bankgeschäft ein und kaufte mit seinem Geschäftspartner Konstantin Goloschapow eine Bank namens Northern Sea Route Bank (SMP Bank). Rotenbergs Bruder Boris übernahm später die Anteile von Goloschapow.
Je länger Putin an der Macht blieb, desto reicher wurde Rotenberg, vor allem dank Geschäfte mit dem staatlichen Erdgasförderunternehmen Gazprom. Er nutzte seine SMP Bank, um Bau-, Gas- und Rohrunternehmen zu erwerben, die Gazprom belieferten – und zwar zu überteuerten Preisen.
Etwa 2007. Damals brauchte Gazprom eine neue Pipeline oberhalb des Polarkreises. Erstaunlicherweise verwarf man die seit langer Zeit bestehenden Pläne für den Bau einer kurzen Verbindung, die Teil eines bereits bestehenden Netzwerks gewesen wäre. Stattdessen baute man eine brandneue Pipeline mit einer Gesamtlänge von mehr als 2400 Kilometern zu einem Endpreis von 44 Milliarden Dollar. Eine Pipeline dieser Größenordnung kostet normalerweise nur ein Drittel dieser Summe. "Die einzige Erklärung für diese Entscheidung ist, dass dieser Bau eine gute Chance für Auftragnehmer war, viel Geld zu verdienen", erklärte einst Michail Krutichin, Partner bei RusEnergy, einem Beratungsunternehmen in Moskau den Vorgang.
So wurde Arkadij Rotenberg reich
Und dieser Auftragnehmer war Rotenberg – mit dem Segen Putins. Gazprom habe schon damals als "persönliches Unternehmen des Präsidenten" fungiert, erläuterte Krutichin in einem Gespräch mit dem "New Yorker". "Alle Entscheidungen in Bezug auf Gazprom, ob große Investitionsprojekte oder die Besetzung hochrangiger Posten, werden vom Büro des Präsidenten getroffen".
Und so konnte sich Rotenberg auch weiter über überbezahlte Staatsaufträge freuen. Wann immer Gazprom in den nächsten Jahren Pipelines in Russland baute, waren diese stets zwei- bis dreimal so teuer wie vergleichbare Projekte in Europa, selbst wenn sie sich in gemäßigten, leicht zugänglichen Gebieten in Südrussland befanden. Das vielleicht auffälligste Beispiel ist eine Pipeline in der Region um Krasnodar. 2013 verkündete Gazprom, dass die Kosten für diesen Bau um 45 Prozent gestiegen seien, ohne jegliche plausible Erklärung. Auch in diesem Fall floss das Geld an Rotenberg.
Gazprom sei "von einem Prinzip der Maximierung der Aktionärsgewinne zu einem Prinzip der Maximierung der Gewinne der Auftragnehmer gewechselt", erklärte Michail Korchemkin, der Gründer und Geschäftsführer des US-Beratungsunternehmens East European Gas Analysis, die Strategie hinter diesem Vorgehen. Die Projekte von Gazprom stellten eine Möglichkeit dar, neue Milliardäre zu erschaffen. "Sie wurden reich durch Überbezahlung". Das Geld kam dabei vom Steuerzahler.
Das Ölgeschäft reichte Rotenberg jedoch nicht. Nach demselben Prinzip stieg er auch im Bausektor zum König des Staatsauftrags auf. Der russische Präsident unterstützt seinen alten Freund immer wieder, wenn es um die Vergabe von staatlichen Großprojekten geht, egal ob es sich um eine Autobahn in Sotschi zur Vorbereitung der Olympischen Spiele oder die Krim-Brücke zur annektierten Halbinsel handelt.
2014 setzten sowohl die USA als auch die EU Rotenberg auf die Sanktionsliste. In Italien wurden beispielsweise Villen und ein Luxushotel im Wert von 30 Millionen Euro beschlagnahmt. Dessen ungeachtet vermehrt der Oligarch seinen Reichtum weiter. "Forbes“ schätzt das Vermögen des 69-Jährigen auf 2,8 Milliarden Dollar. Nach den Sanktionen erhalten Rotenbergs Firmen in Russland sogar noch mehr Staatsaufträge.
Solche Gefälligkeiten haben ihren Preis. Wie in jeder Mafia-Clique teilt man natürlich seine Gewinne mit dem Chef. Und auch das Geständnis, der Besitzer eines Palasts zu sein, um den Chef aus dem Schlamassel zu ziehen, gehört wohl zu den Gegenleistungen für all die Milliarden.