Koschei der Unsterbliche – so heißt der größte Bösewicht der russischen Folklore und Märchen. Er hütet ein großes Geheimnis: Seine Seele steckt in einer Nadel. Diese ist in einem Ei versteckt. Das Ei ist wiederum in einer Ente versteckt. Die Ente in einem Hasen. Der Hase sitzt in einer eisernen Kiste. Die Kiste liegt unter einer Eiche auf einer Insel weit draußen im Meer vergraben. Warum der Aufwand? Zerbricht die Nadel, stirbt Koschei.
Wladimir Putin scheint sich an der Sagengestalt in mehr als nur einer Hinsicht ein Vorbild genommen zu haben. Der Kreml-Chef hütet unzählige Geheimnisse. Sein Privatleben gehört zu seinen größten. Ähnlich geheim ist wohl nur der Verbleib seines Vermögens.
Alina Kabajewa ist das Zentrum dieses geheimen Universums. Seit 20 Jahren ist sie die Frau an der Seite des russischen Machthabers. Vier Kinder soll das Paar inzwischen haben, unter anderem Zwillinge, die in der Schweiz zur Welt gekommen sein sollen. Auch wenn Putin seine Beziehung zu Kabajewa nie öffentlich gemacht hat, weiß inzwischen die ganze Welt, wer die Rolle der russischen First Lady einnimmt. Nicht umsonst wurden im Mai dieses Jahres Sanktionen gegen die ehemalige Sportgymnastin verhängt. In den Sanktionslisten wird sie offiziell als Vertraute Putins geführt. (Welche Beweise es noch für die Beziehung zwischen dem Präsidenten und der "Amazone" gibt, lesen Sie hier.)
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Alina Kabajewa kehrt nach Russland zurück
Zu Beginn des Kriegs hielt sich Kabajewa in der Schweiz auf. Doch im März kehrte sie eiligst in ihre Heimat zurück. Die Villen, die Kabajewa für ihre Aufenthalte in der Alpenrepublik nutzte, werden wohl nicht mehr gebraucht. Eins der Domizile, sollte nun verkauft werden, wie Recherchen das investigativen russische Netzwerks "Dossier" zeigen.
75 Millionen Schweizer Franken (ca. 76,9 Millionen Euro) verlangte demnach der Besitzer des Anwesens. Auf dem Papier gehört die Villa in der Gemeinde Cologny am linken Ufer des Genfersees dem Finanzier Pierre Alain Folier und seiner Frau Wang Lin. Sie betreiben ein Unternehmen, das Finanzberatung anbietet und Immobilien verwaltet. Im Frühling dieses Jahres wurde eines ihrer Objekte zum Verkauf angeboten.
Doch die dazugehörige Anzeige fiel durch ihre Kargheit auf. Auf der Website des Immobilienbüros wurde neben einer kurzen Beschreibung, die einen Hubschrauberlandeplatz und eine ungefähre Fläche von 20.000 Quadratmetern erwähnt, nur ein einziges Foto veröffentlicht, konstatieren die Journalisten von "Dossier". Die Aufnahme habe eine Wiese mit Blick auf den See gezeigt, als ob die Besitzer das Haus selbst nicht zeigen wollten.

Details führen zum Anwesen
Inzwischen ist die Anzeige gelöscht worden. Doch die genannten und gezeigten Details reichten aus, um das Anwesen zu identifizieren. So sei die Form der Wege auf dem Grundstück sehr speziell und leicht wiederzukennen, schreibt "Dossier" und stellt Screenshots der Anzeige zur Verfügung. Außerdem zeigt ein Blick in die den Schweizer Kataster, dass es in Cologny nicht viele Grundstücke dieser Größe gibt. In dem Register sind alle Grundstücke und die Geoinformationen amtlicher Vermessungen verzeichnet. Laut diesem Verzeichnis misst das Grundstück des Anwesens fast 25.000 Quadratmeter.
Doch es war vor allem der erwähnte Hubschrauberlandeplatz, der zur Identifikation des Objekt geführt hat. In Cologny gibt es nämlich nur einen – in der Straße mit dem Namen Rampe de Cologny, zwischen den Häusern des russischen Oligarchen Gennadi Timtschenko und seinem schwedischen Geschäftspartner Torbjörn Törnqvist.
Das US-amerikanische Wall Street Journal hatte unter Berufung auf europäische und amerikanische Sicherheitsbeamte im April dieses Jahres berichtet, Kabajewa halte sich in der Schweiz vornehmlich in einem Haus in Lugano und in einer Villa mit Hubschrauberlandeplatz in Cologny auf.
Das Anwesen am Ufer des Genfersees
Anhand der bekannten Details und der Aufnahme, die das Immobilienbüro zu der Anzeige schaltete, identifizierte das Verifikationsteam des stern das Haus mit der roten Markierung, als die Villa, die Kabajewa in der Schweiz als Unterkunft nutzte.

Vielsagend sind auch die Namen der Männer, denen die Nachbarstücke gehören: der Oligarch Gennadi Timtschenko und sein schwedischer Geschäftspartner Torbjörn Törnqvist. 2000 gründeten die beiden die Ölhandelsfirma Gunvor. Nach Angaben von Gunvor war Timtschenko zu gleichen Teilen Miteigentümer der Firma, bevor er 2014 seine Anteile an Törnqvist verkaufte hat.
Vertrauter Putins als direkter Nachbar
Timtschenko gehört zu den treuesten Weggefährten Putins und ist nach eigenen Angaben seit 1994 mit ihm bekannt. Westliche Geheimdienste gehen davon aus, dass Timtschenko seine Beteiligungen an Gunvor und anderen Unternehmen nutzt, um Milliarden ins Ausland fließen zu lassen – mit und für Wladimir Putin. Gunvor streitet diese Anschuldigung ab. "Wir halten fest, dass Präsident Putin über keine wirtschaftlichen oder sonstigen Eigentumsrechte an Gunvor verfügt und auch in der Vergangenheit niemals verfügte", teilte die verantwortliche PR-Agentur dem stern mit.
Allerdings entkräftet dieser Umstand keineswegs den Verdacht. Dass Putin nicht selbst an etwas beteiligt sein muss, um der Nutznießer zu sein, zeigte beispielsweise das komplizierte Konstrukt, mit dem die Besitzverhältnisse an dem Palast am Schwarzen Meer verschleiert werden sollten. (Mehr dazu lesen Sie hier.) Erbaut wurde der Protzbau für Putin, auf den Papieren taucht sein Name allerdings kein einziges Mal auf – dafür aber unter anderem der Name Timtschenkos.
Timtschenko gilt als einer der reichsten Männer Russlands und einer der reichsten Männer der Schweiz. Sein Vermögen wird auf etwa 20 Milliarden Dollar geschätzt. Er besitzt mehr unter anderem mehr als 20 Prozent des Gas-Giganten Novatek sowie Anteile am größten Petrochemie-Konzern Russlands Sibur. Ein gebührender Nachbar für die russische First Lady also.
Journalisten geben sich als Kaufinteressenten aus
Die Journalisten von "Dossier" kontaktierten den Makler, der die Unterkunft Kabajewas verkaufen sollte, und gaben sich als Interessenten aus. Er habe ihnen gegenüber den Preis von 75 Millionen Schweizer Franken genannt und bestätigt, dass es auf dem Gelände einen Hubschrauberlandeplatz gibt. Der Immobilienmakler gab solange Informationen über die Villa preis, bis die vermeintlichen kaufinteressaenten die Frage stellten, ob es sich um jenes Haus handele, das im "Wall Street Journal" erwähnt worden sei. Man wolle schließlich nicht unter Sanktionen fallen, sollte es sich tatsächlich um eine Villa der Freundin des russischen Präsidenten handeln, schrieben die Journalisten als Begründung zu dieser Frage.
Doch es kam keine Antwort. Kurz darauf, behauptete der Makler, dass das Objekt vom Verkauf zurückgezogen werde, da sich die Eigentümer scheiden lassen und vom Verkauf bis zum Ende des Scheidungsverfahrens absehen. Die Anzeige verschwand.
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