Ausland Lizenz zum Foltern

Internationales Recht werde gewahrt, betonen die USA im Streit um die Gefängnisse der CIA. Tatsächlich erlauben interne Richtlinien schwere Qualen.

Die Zahl wächst beinahe täglich. Mehr als 300 Flüge der CIA quer über Europa sind mittlerweile bestätigt, allein 94-mal sollen Maschinen in Deutschland gelandet sein. Um Gefangene zu transportieren? In geheime Lager? Um sie dort zu foltern?

Beweise gibt es nicht. Doch erst vergangene Woche ließ US-Außenministerin Condoleezza Rice wieder durchblicken, wie Washington den Begriff der Rechtsstaatlichkeit dehnt. "Man kann nicht zulassen, dass jemand erst ein Verbrechen verübt, bevor er festgenommen wird, denn wenn diese Leute Verbrechen verüben, müssen Tausende unschuldige Menschen sterben." Und fügte hinzu, man habe sich immer an internationales Recht gehalten. Aber die amerikanische Auslegung dieses Rechts erlaubt vieles. Auch Folter.

Schon im Dezember 2002 billigte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einem Memorandum offiziell den Einsatz außergewöhnlicher Verhörpraktiken. Auch seine Ablehnung einzelner Methoden ein paar Monate später ließ eine Hintertür offen: Wenn Beamte die umstrittenen Zwangsmaßnahmen anwenden wollen, müssen sie nur um Erlaubnis bitten. Und diese, erfuhr der US-Sender ABC aus CIA-Quellen, sei kaum jemals verweigert worden.

So können sich CIA-Agenten heute bei "unkooperativen" Häftlingen 16 "innovativer" Befragungstechniken bedienen - ganz offiziell. Dazu zählen verhältnismäßig harmlose wie das Rollenspiel "guter Polizist - böser Polizist". Aber auch solche, die den Verdächtigen ernsthaft verletzen.

Beispiel stundenlanges Stehen. Der Befragte wird mit Handschellen gefesselt und darf sich weder setzen noch legen, oft mehr als 40 Stunden lang. "Ich selbst stehe ja auch acht bis zehn Stunden am Tag", notierte Rumsfeld an den Rand des Memorandums. Agenten beschreiben diese Methode als sehr wirksam. Erschöpfung und Übermüdung führten häufig zu Geständnissen - doch, zumindest bei einem Verhörten im Gefängnis von Baghram bei Kabul, auch zum Tod.

Beispiel "Kalte Zelle".

Der Gefangene muss nackt für viele Stunden in einer kalten Zelle ausharren und wird immer wieder mit eiskaltem Wasser übergossen. Geheimagenten vertrauten einem amerikanischen Fernsehsender an, auch bei dieser Methode sei schon ein Häftling umgekommen. Ein offenbar zu eifriger Agent habe einen Verdächtigen in einer bitterkalten afghanischen Nacht so oft mit kalten Güssen gequält, dass er an Unterkühlung starb.

Beispiel "Waterboarding". Zunächst wird der Kopf des Gefangenen mit Zellophan umwickelt. Dann wird er mit dem Kopf nach unten auf ein Brett geschnallt und schließlich mit Unmengen von Wasser übergossen. Unweigerlich gerät der so Gefolterte in Panik, weil er Angst hat zu ertrinken. Selbst CIA-Agenten, die mit der Technik vertraut sind, widerstehen dem "Waterboarding" im Selbstversuch kaum mehr als zehn Sekunden. Der Al-Qaeda-Gefangene Khalid Scheich Mohammed, so sickerte durch, habe den Respekt seiner Marterer gewonnen, als er erst nach zweieinhalb Minuten bettelte, man möge aufhören. Mindestens ein Dutzend Häftlinge in CIA-Camps weltweit ist nach Angaben aus Geheimdienstkreisen dem vorgetäuschten Ertrinken ausgesetzt worden.

Neben körperlichen Torturen greifen die Ermittler auch auf psychische Qualen zurück. Hat ein mutmaßlicher Terrorist etwa Angst vor Hunden, kommen zähnefletschende Bestien zum Einsatz, die bis auf wenige Zentimeter an den verängstigten Häftling herangelassen werden.

Bei der seelischen Quälerei

scheinen Befrager gern über die ohnehin weit gesteckten Grenzen hinauszugehen. Interne Dokumente des amerikanischen Verteidigungsministeriums berichten nicht nur über Schändungen des Korans. In einem Fall habe eine weibliche Agentin einen Häftling mit angeblichem Menstruationsblut beschmiert - kaum etwas gilt einem Muslim als unreiner.

Beim Entwickeln ihrer "innovativen" Praktiken hat die CIA offenbar auch auf das Know-how des Militärs zurückgegriffen, insbesondere auf das Programm SERE. Es steht für "Survival, Evasion, Resistance and Escape" (Überleben, Ausweichen, Widerstand und Flucht) und wurde gegen Ende des Koreakriegs entwickelt, um Piloten zu schulen, damit sie nach einem Abschuss der Folter besser widerstehen könnten. In bestimmten Trainingseinheiten wird dabei unter wüsten Beschimpfungen eine Bibel zerrissen. Gläubige Probanden zeigen sich dabei häufig total verstört - ähnlich wie die Muslime in Guantánamo, vor deren Augen der Koran geschändet wurde.

Ein Mitarbeiter des Programms berichtete außerdem dem Magazin "New Yorker", dass auch beim SERE-Training Piloten unter ärztlicher Überwachung dem "Waterboarding" ausgesetzt worden seien. Colonel Louie Banks, ein hochrangiger SERE-Psychologe, gab in einem Interview zu, regelmäßig nach Guantánamo zu fliegen, um Ermittler zu beraten.

Dabei sind die Folterverbote des internationalen Rechts unmissverständlich: "Zur Erlangung irgendwelcher Auskünfte dürfen die Kriegsgefangenen weder körperlichen noch seelischen Folterungen ausgesetzt werden", heißt es in Artikel 17 der dritten Genfer Konvention, die auch von den Vereinigten Staaten ratifiziert worden ist. Artikel zwei der UN-Konvention gegen die Folter besagt: "Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden." Diese Erklärung wurde 1994 von den USA ratifiziert.

Al-Qaeda-Gefangenen

stehe eben kein Kriegsgefangenenstatus zu, begründete Donald Rumsfeld im Januar 2002 die neue Haltung seines Landes zur Folter. Ein internes Memo des Justizministeriums vom August 2002 beschränkt die amerikanische Lesart von Folter zudem auf die Zufügung von Schmerzen, "die die gleiche Intensität haben, wie sie mit ernsthaften physischen Schäden - etwa dem Versagen eines Organs, der Behinderung von Körperfunktionen oder sogar dem Tod - einhergehen". Eine Auffassung, von der die USA, zumindest im Westen, so recht keinen überzeugen können. "Waterboarding ist Folter", sagt etwa Kenneth Roth, Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, "auch wenn die Regierung sich sträubt, es so zu nennen."

Der Erfolg der "innovativen" Befragungstechniken ist zweifelhaft. So rechnete der amerikanische Historiker Alfred M. McCoy jüngst vor, die USA hätten in den 30 Monaten nach dem 11. September 5000 Terrorverdächtige verhaftet - bei den Verhören aber gerade mal genügend Beweise gefunden, um drei von ihnen anklagen und einen verurteilen zu können. Und Ministerin Condoleezza Rice blieb bis heute den Beweis schuldig, dass durch die Torturen auch nur ein Menschenleben gerettet wurde.

Für die US-Behörden bislang kein Grund, vom Glauben an Wahrheit durch Schmerz abzurücken. "Die Folter muss nur schwer genug sein, dann bekommst du von jedermann jedes Geständnis", prahlte der frühere CIA-Mitarbeiter Bob Bear gegenüber dem Fernsehsender ABC. Ob ihm später klar wurde, dass er damit das beste Argument gegen Folter geliefert hat?

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Marc Goergen