Als Ministerpräsident Viktor Janukowitsch zum offiziellen Sieger der umstrittenen Präsidentenwahl vom 21. November erklärt wurde, schien für die ukrainischen Fernsehzuschauer alles wie immer. Der Favorit des Regierungslagers hatte gewonnen, wie in den guten alten Sowjetzeiten verkündete das Fernsehen genau das Ergebnis, das dem System genehm war.
Und doch war diesmal alles anders. Wer die Übersetzung der Nachricht in Gebärdensprache verstehen konnte, rieb sich die Augen: "Die von der zentralen Wahlkommission veröffentlichten Ergebnisse sind gefälscht, glauben Sie ihnen nicht", gestikulierte Natalia Dimitruk in Gehörlosensprache im Fernsehsender UT-1. Dann signalisierte sie ihren Zuschauern, dass Juschtschenko der wahre Gewinner sei. Außerdem entschuldigte sie sich dafür, dass sie zuvor klaglos offiziöse Verlautbarungen übersetzt hatte: "Es tut mir Leid, ich war gezwungen zu lügen ... ich werde es nicht mehr tun."
Geste des Widerstands
Mit dieser Geste des Widerstandes griff die orangefarbene Revolution der Straße endgültig auf die staatlichen Medien über. Zusammen mit 200 anderen Journalisten von UT-1 forderte die Simultandolmetscherin Dimitruk von ihrem Sender eine objektive Berichterstattung über die aktuelle Krise. UT-1 ist die einzige ukrainische Fernsehstation, die ihre Nachrichten in die Zeichensprache übersetzen lässt. Als hunderttausende Demonstranten die Straßen füllten, legten dutzende Redakteure von UT-1 und anderen staatlichen oder regierungstreuen Sendern die Arbeit nieder und reihten sich bei den Demonstranten ein.
Wie mutig diese Akte der Zivilcourage sind, beweist ein Blick in die aktuelle Medienlandschaft der Ukraine. Die Opposition hat seit langem die Bevorzugung der staatlichen Politiker und die schönfärberische Berichterstattung über die Regierung beklagt. Miklos Haraszti, der Beauftragte für die Pressefreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), forderte am Dienstag von den ukrainischen Behörden, die Schikane gegen oppositionelle Medien zu unterlassen.
Zensur der Apparatschiks
Haraszti sagte, regionale Politiker hätten die Ausstrahlung des oppositionstreuen Fernsehsenders TV5 in den Städten Donezk und Lugansk sowie in den Regionen Charkow und Uschhorod unterbunden. Auch der Fernsehsender TV Era berichtete der OSZE, die Behörden in Lugansk und Donezk hätten die Ausstrahlung blockiert. Die Masche ist immer die gleiche: Regierungstreue Politiker setzen die Kabelbetreiber unter Druck, unerwünschte Sender werden dann einfach vom Netz genommen. Die Polizei in Lugansk konfiszierte jüngst rund 35.000 Ausgaben eines prowestlichen Newsletters.
Gewalt gegen Reporter
Doch nicht nur die Zensur der Apparatschiks setzt den Journalisten zu - mitunter lassen die Anhänger der Regierung die Muskeln spielen: Reporter, die über eine Veranstaltung in Lugansk berichteten, wurden angegriffen, wie die OSZE erklärte. Erst kürzlich verlangte die Organisation Reporter ohne Grenzen die umgehende Aufklärung eines Angriffes auf den Journalisten Henadi Ribtschenkow. Der Redakteur des oppositionellen Wochenmagazins "Ukraina Zentr" wurde im Osten des Landes von Unbekannten zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die Angreifer in der Hochburg der Regierungstreuen gaben dem Reporter eine unzweideutige Warnung mit auf den Weg: Ribtschenkow solle künftig positiv über Ministerpräsident Janukowitsch schreiben.