Die italienischen Fahnder haben nach eigenen Angaben 250 Menschen aus der anarchistischen Szene im Visier. Angeblich schon Monate bevor die ersten Briefbomben an EU-Behörden und Europapolitiker aus Bologna abgeschickt wurden, hätten die Anti-Terror-Spezialisten die neue Gefahr geortet. "Euro-Opposition" heiße das neue Schlagwort der Anarchisten. Innenminister Giuseppe Pisanu spricht von einer "schweren und aktuellen Gefahr": Locker aufgebaut seien die Zellen, ohne feste Organisation und mit diffuser ideologischer Ausrichtung - anarchistisch eben, und schwer zu fassen. Und: Auch Verbindungen nach Deutschland soll es geben.
Schwer zu fassen ist auch das Feindbild der mutmaßlichen neuen "Bewegung". In der Vergangenheit haben sich Anarchisten eher am "US- Imperialismus" orientiert oder, wie etwa beim G-8-Gipfel 2001 in Genua, gegen die Globalisierung mobilisiert. Vermutlich, so Fahnder in Rom, habe sie erst die italienische EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2003 auf die "Euro-Schiene" gebracht. Vor allem die EU- Erweiterung beflügele ihren Kampf.
"Kampf gegen die Politik der Ausbeutung der EU"
"Gegen das Europa der Herrschenden" habe sich etwa ein "Komitee der Anti-Imperialisten, Kommunisten und Anarchisten" auf die Fahnen geschrieben, berichtet die Zeitung "La Repubblica" unter Berufung auf Fahnder. "Kampf gegen die Politik der Ausbeutung der EU", heiße es in deren Manifest. In einem anderen sei eine brennende Europafahne zu sehen, darunter, frei nach dem alten Slogan von Karl Marx: "Ein Gespenst kehrt nach Europa zurück. Ihr Herrscher, fürchtet Euch!"
Eher diffus erscheinen allerdings auch die bisherigen Erkenntnisse der Anti-Terror-Experten. Es heißt, seit Monaten seien Telefone abgehört und Verdächtige beschattet worden. Der Sicherheitsapparat laufe auf Hochtouren. Und nach der ersten Briefbombe auf EU- Kommissionspräsident Romano Prodi im heimischen Bologna habe sogar eine Anarcho-Gruppe die Verantwortung übernommen. Nur: Festnahmen gab es bisher offensichtlich keine. Innenminister Pisanu fürchtet gar, nach den Festnahmen von Terroristen der Roten Brigaden in den vergangenen Monaten "könnten die Anarchos von der Krise der Brigaden profitieren".
Vieles liegt im Dunklen: Experten sprechen von Verbindungen der "anarcho-revolutionären Galaxis" zu Gesinnungsgenossen vor allem in Spanien und Griechenland, aber auch nach Frankreich, in die Schweiz und nach Deutschland. Unklar ist auch, warum die bisherigen Briefbomben den Angaben zufolge allesamt im Raum Bologna abgeschickt wurden. Das idyllische Bologna hat zwar eine der größten und renommiertesten Universitäten Italiens, die vorwiegend schöngeistig ausgerichtet ist. Doch die neuen Militanten, die das "Europa des Kapitals" im Visier haben, gebe es etwa auch in Rom, Florenz und Neapel. Selbst von Querverbindungen zu Aufständischen in Sardinien und zu rechtsorientierten Gruppen ist die Rede.
Zweck der Briefbomben weiter unklar
Unklar ist nach bisherigen Erkenntnissen auch, was die Briefbomben konkret bezwecken sollen. Ermittler in Rom gehen davon aus, dass sie nicht das Ziel haben zu töten. Dazu sei wohl auch zu wenig Sprengstoff in den Briefen, meinen italienische Medien. Vermutlich sollten sie nur "Panik verursachen". Ähnlich stehe es auch um die meisten der "handwerklich hergestellten" Bomben, die seit Jahren immer Mal wieder vor Behörden, Unternehmen oder etwa vor dem Büro einer spanischen Fluglinie in Italien in die Luft fliegen. Allerdings geht es nicht immer glimpflich ab: Im November riss eine Paketbombe einem Polizisten in Rom fast die ganze Hand ab; sie konnte wieder angenäht werden.