Vieles in der Europäischen Union fällt ein paar Nummern opulenter aus, als man das nach kleinstaatlichen Maßstäben gewohnt ist. So sind auch die Erwartungen an ein Projekt des deutschen Industriekommissars Günter Verheugen gewaltig: 150 Milliarden Euro an Kosten will die Kommission den Unternehmen einsparen. Funktionieren soll das durch die schlichte Reduzierung von Buchhaltungs- und Verwaltungszwängen, die den Firmen aus Brüssel bislang auferlegt werden. Zwei Studien zum Bürokratieabbau hat die EU bereits in Auftrag gegeben; Verheugen brüstet sich mit ersten Erfolgen.
Johannes Röhrig
Johannes Röhrig ist stern-Korrespondent in Brüssel. In seiner Kolumne "Brüssel en bloc" schreibt er regelmäßig über Figuren, Hintergründe und Skurrilitäten im EU-Zirkus.
Seit kurzem hat sich auch der in Bayern marginalisierte Ministerpräsident a.D. Edmund Stoiber als Leiter einer EU-Expertengruppe dem Kampf gegen die Paragrafen verschrieben. Bislang wurde er in dieser Rolle wenig ernst genommen, und auch als der CSU-Mann diese Woche wieder in der Stadt war, nahm die Öffentlichkeit davon nur wenig Notiz. Allerdings hinterließ Stoiber eine schriftliche "Stellungnahme" seiner so genannten "Hochrangigen Gruppe". Das Papier, das im Wesentlichen von Co-Berater Roland Berger verfasst wurde, ist - mal abgesehen von ein paar Girlanden aus Höflichkeit - vor allem eine Mängelliste geworden. Das wiederum macht es interessant.
Kritik an Verheugens Plänen
In einem ersten Schritt hatte Kommissar Verheugen eine Reihe von Maßnahmen identifiziert, die er sofort umgesetzt sehen will. Meist geht es dabei um das Kappen von Dokumentations- und Statistikpflichten, die Unternehmen auferlegt sind. Trockener Stoff. Bevor sich im März die Regierungschefs damit befassen, mochte vorher Beraterguru Roland Berger aus der Stoiber-Gruppe draufgucken. Doch die Zahlenlage, die sich darbietet, ist offenbar jämmerlich: Für nur vier der geplanten 16 Streichaktionen habe die Kommission den Nutzen berechnen können, kritisiert das Stoiber-Berger-Papier. Wo es Zahlen gab, beschränkten sie sich auf die Stichprobenländer Großbritannien und Dänemark.
Die Resultate fallen zudem in vielen Fällen erschreckend mager aus: Die Fischereiwirtschaft Dänemarks etwa darf sich über jährliche Kosteneinsparungen von 200.000 Euro freuen, sollten die Pläne greifen. In anderen Fällen geht es mal um Bürokratiekosten von gut 150.000 Euro, mal um rund 3,5 Millionen. Manch ein Gesetzesverzicht bringt den Unternehmen "nach dem Standartkostenmodell" gar nichts, befand Berger.
Freilich will Berater Berger positive Ansätze nicht verhehlen. Auf Nachfrage beziffert er die Kostenersparnis der aktuellen Sofort-Streichliste auf rund 500 Millionen Euro. Es bleibt auch bei ihm eine vage Schätzung.
Nur zur Erinnerung: Die Zielmarke der gesamten Aktion liegt bei 150.000.000.000 Euro. Der Weg zu wahrer Größe ist also noch sooooooooooo weit.
Ein Mal im Monat zieht das gesamte 785-köpfige Parlament plus Gefolge für eine Sitzungswoche von Brüssel in das schöne Elsass um. Dann gibt es in und um Straßburg kein freies Zimmer mehr, die Restaurants sind voll, und selbst 30 Kilometer jenseits des Rheins herrscht Hochsaison.
Die EU lässt sich die Subventionierung französisch-deutscher Gastronomie einiges kosten: Rund 200 Millionen Euro im Jahr verschlingt der Reisezirkus.
Kritik an der Verteilung der EU-Institutionen auf mehrere Länder gibt es, seit sie besteht. Doch noch nie haben so viele Menschen ihren Unmut darüber zum Ausbruch gebracht: Rund 1,2 Millionen Unterschriften sammelte die ehemalige EU-Abgeordnete und heutige schwedische Ministerin Cecilia Malmström, um gegen die finanziell irre und zudem umweltschädliche Rotation zu protestieren.
Diese Woche legte Frau Malmström, unterstützt von Abgeordneten wie Cem Özdemir (Grüne) und Alexander Alvaro (FDP), ihre Unterschriftenliste pro Brüssel vor. Sie dürfte allerdings kaum Wirkung zeigen: Über Straßburg als Parlamentssitz lassen die Franzosen kaum mit sich reden. Die Stadt sei ein "Symbol für Frieden", ein Sinnbild für französisch-deutsche Verständigung, erinnern sich selbst wirtschaftsliberale Abgeordnete, die Rationalisierungen ansonsten weniger problematisch finden. Die Kneipiers der Region können also aufatmen. Prost und à votre santé! fgüs