Supreme-Court-Entscheidung Enttäuschte Hoffnungen an US-Grenze: Umstrittene Abschieberegel aus Trump-Ära bleibt vorerst in Kraft

Eine Gruppe geflüchteter Menschen wird in El Paso von der Grenzschutzpolizei eingesammelt.
Eine Gruppe geflüchteter Menschen wird in El Paso von der Grenzschutzpolizei eingesammelt. Für viele heißt es nun wieder zurück über die Grenze
© Herika Martinez / AFP
Als die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs die US-Grenze erreicht, ist die Enttäuschung groß. Die umstrittene Abschieberegelung "Title 42" bleibt vorerst bestehen. Nun schlagen Menschenrechtsorganisationen Alarm.

Wie so viele auf der mexikanischen Seite der US-Grenze, hat auch Daisy Rezino aus Guatemala auf bessere Nachrichten gehofft. Für die junge Mutter, die mit ihren zwei kleinen Töchtern darauf wartet, in die USA zu gelangen, gibt es kein Zurück mehr. "Wir haben viel durchgemacht, um hierher zu kommen", berichtet die 26-jährige der "New York Times". Zusammen mit Hunderten anderen hatte sie in provisorischen Zeltstädten nahe des Rio Grande auf eine baldige Aufhebung der umstrittenen Abschieberegelung gewartet.

Doch der Supreme Court will die als Title 42 bekannte Regel aus der Zeit von Ex-Präsident Donald Trump vorerst aufrechthalten. Mit der Mehrheit der konservativen Richter gab das Gericht am Dienstag einem Antrag von 19 Bundesstaaten statt, die erklärt hatten, ihnen würde im Fall einer Aufhebung ein Ansturm von Migranten bevorstehen. Ein endgültiges Urteil könnte nun erst im Juni gefällt werden.

Menschenrechtler kritisieren umstrittene Abschieberegelung der USA

Das Weiße Haus reagierte enttäuscht auf die Gerichtsentscheidung. Ein Ende von Title 42 sei überfällig, sagte US-Präsident Joe Biden vor Reportern. Seine Regierung werde die Entscheidung des Supreme Courts jedoch befolgen, bis ein endgültiges Urteil gefällt sei. Auf Grundlage der Regelung waren während der Corona-Pandemie Hunderttausende Menschen an der Südgrenze der USA abgeschoben worden. Um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern, wurden an der Grenze aufgegriffene Migranten umgehend zurückgeschickt.

Auch Regierungssprecherin Karine Jean-Pierre betonte, die Regierung bereite sich bereits auf den Moment vor, wenn die Abschieberegelung außer Kraft trete. Title 42 sei "eine Gesundheitsmaßnahme und keine Einwanderungsmaßnahme und sollte nicht unendlich verlängert werden", forderte sie. Notwendig sei stattdessen eine umfassende Reform der Einwanderungsgesetze.

Scharfe Kritik kam unterdessen von Menschenrechtsorganisationen. Sie weisen darauf hin, dass den Menschen an der Grenze unter einem Vorwand das Recht genommen werde, einen Asylantrag zu stellen. "Wir alle wissen, dass Title 42 nichts mit der Pandemie zu tun hat", kritisiert Ruben Garcia, der mehrere Flüchtlingsunterkünfte in El Paso beaufsichtigt, im Gespräch mit der "NY Times". "Es ist ein Instrument zur Durchsetzung der Einwanderungspolitik, das verwendet wird, um Menschen den Zugang zu Asyl zu verweigern."

Mehrere Flüchtlingsanwälte kündigten an, den Kampf gegen Title 42 vor Gericht fortzusetzen. "Wir sind zutiefst enttäuscht über die verzweifelten Asylbewerber, denen weiterhin die Möglichkeit verweigert wird, zu zeigen, dass sie in Gefahr sind", berichtet Lee Gelernt, ein Jurist der "American Civil Liberties Union" dem Sender "CNN".

Republikaner wehren sich gegen Aufhebung von "Title 42"

Im Dezember hatte sich die Lage an der Südgrenze der Vereinigten Staaten extrem zugespitzt. Innerhalb von zehn Tagen wurden dreimal mehr als 9000 Migranten täglich festgenommen – ein neuer Rekordwert. Allein am 11. Dezember überquerten rund 1500 Menschen den Rio Grande von der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez nach El Paso in Texas. Der Bürgermeister von El Paso rief aufgrund des enormen Ansturms den Notstand aus. Die meisten Unterkünfte seien am Limit und können niemanden mehr aufnehmen, berichten lokale Zeitungen.

Vielen Geflüchteten wie Daisy Rezino, bleibt daher nichts anderes übrig, als die Nächte bei den derzeitigen Minustemperaturen auf der Straße zu verbringen. "Ich verstehe nicht, warum sie uns so behandeln", sagt die junge Mutter. "Wenn sie nur sehen könnten, wie wir hier schlafen müssen, ohne etwas zu essen und ohne Dach über dem Kopf."

Die Biden-Regierung selbst hatte lange Zeit an der umstrittenen Title 42 Regel festgehalten. Erst im April diesen Jahres kündigte die Administration an, die Regelung im Mai aufheben zu wollen. Das wurde von einem Bundesrichter im Südstaat Louisiana nach einer Klage von republikanisch regierten Bundesstaaten blockiert – Title 42 blieb also in Kraft. Im November urteilte dann ein Bundesrichter in Washington, die Regelung müsse aufgehoben werden. Gegen diesen Beschluss zogen jedoch erneut konservativ geführte Staaten vor den Supreme Court.

Für viele, wie den 28-jährigen Roodline Pierre aus Haiti, ist die Hoffnung bald die Grenze zu überqueren mit der Gerichtsentscheidung in weite Ferne gerückt. "Wir können nicht zurück", beschreibt Pierre der "NY Times" die katastrophalen Zustände in seiner Heimat, denen er mit Frau und Kleinkind entflohen ist. "Wir haben alles zurückgelassen, um hier zu sein."

Quellen: "NY Times", "CNN", "NPR", mit AFP-Material