In China schließen sich einige einfache, aber fähige Zivilisten den sogenannten "Vereinten Verteidigungsteams" an und helfen den Polizisten bei der Jagd nach Taschendieben. Einige von ihnen waren selbst früher Taschendiebe und sind deshalb besonders geschickt, schnell und scharfsichtig. Die Shanghaier Zeitschrift Orientalischer Ausblick hat die Geschichte von Yao Yi, einem von ihnen, erzählt.
Er ist geboren und aufgewachsen in Nanjing, der großen Stadt im Osten Chinas. In den 80er Jahren, im Alter von 16, lernte er in einem bekannten historischen Restaurant Kochen. Als einige Jungen von ihren Diebestouren als "heldenhaften Taten" prahlten, schloß sich Yao Yi aus Neugier ihnen an. Er wurde mehrmals erwischt, aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen - bis ihm das Verbrechen eines Tags im Jahr 1989 nachgewiesen wurde. Die Polizei verhängte eine zehntägige Freiheitsstrafe (bei kleineren Vergehen braucht sie in China keine Gerichtsentscheidung). "Zehn Tage Haft waren zu viel für mich!", erinnert sich Yao Yi. Er entschied sich aufzuhören.
<zwitii>Koch und Diebesjäger
Der junge Mann hielt sein Versprechen und entwickelte sich in den nächsten zwei Jahren zu einem hervorragenden Koch. In der Zwischenzeit entdeckte er ein anderes Talent bei sich: Diebe zu bemerken und zu jagen.
Schon am Beginn seiner Zeit als Taschendieb hatte Yao Yi über einen Mann um die 50 gehört. Er war einer der ersten Miglieder des "Vereinten Verteidigungsteams" in Nanjing und galt als "der natürliche Feind des Taschendiebs". Während seine Kumpels dem älteren Mann auswichen, näherte sich Yao Yi ihm an. Er rauchte Zigaretten mit "dem Meister" und fragte ihn über seine "legendären Geschichten" aus. Als Yao Yi auf den "richtigen Weg" zurückgekehrt war, ging er nachts, während seine Kollegen schliefen, noch einmal raus und folgte voller Begeisterung dem Beispiel des älteren Manns: "Gebe vor du mischst dich zufällig unter die Menge, beobachte die Kleidung der Leute und ihre Gesichtsausdrücke, besonders ihre Augen, um die Information ohne Worte zu fühlen." Nach ein bis zwei Monaten Praxis fanden sowohl der Meister als auch der Lehrling selbst, dass er wirklich ein Talent besaß beim Aufspüren von Taschendieben. Wichtiger: Yao Yi empfand das "Jagen" als hundertmal aufregender als die Tat selbst, und ohne deren Belastung!
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
1991 warb die Fuzimiao-Polizeistation ihn von dem Restaurant ab. Fünf Jahre später wurde er sogar zum Chef des "Vereinten Verteidigungsteams" befördert. Wachtmeister Jiang, der zusammen mit Yao arbeitete, erinnert sich an seine großen Siege: "Er war fabelhaftt! Offen gestanden bewährte er sich bei dieser Aufgabe besser als viele Polizisten."
Einmal stieß er auf drei Taubstumme (zwei Männer und eine Frau), sie kamen ihm verdächtig vor, weil sie seitlich ganz dicht an ihm vorbeigingen. "Ihre Augen wirkten zweifelhaft und gemessen an ihren Lumpen war die Tasche in ihren Händen zu modern." Als er in der Tasche dann auch noch das Foto einer Gruppe von Ausländern fand, brachte er die Taubstummen auf die Polizeistation. Der diensthabende Polizist dort war überrascht, sagte: "Unglaublich schnell!" Denn er war gerade dabei die Anzeige eines Deutschen aufzunehmen, dem die Tasche gestohlen worden war.
Ein "Anti-Taschendieb"
Wenn er sich an diese "guten Zeiten" zurückerinnert, sagt Yao Yi: "Damals war ich glücklich. Warum wechselten die anderen Teammitglieder oft, ich aber blieb so lange Zeit? Weil ich selbst an der Aufgabe interessiert war. Ich liebte sie." Nur wenige in Yaos Familie und unter seinen Freunden wussten über seine Rolle als "Anti-Taschendieb". Vielleicht kann man auch sagen, er hatte nie enge Freunde im gewöhnlichen Sinne des Worts. Seine Freunde sind möglicherweise alle Polizisten oder Taschendiebe.
Yao Yi entwickelte tiefe Gefühle für die Polizisten und für seine Aufgabe. Sein Herz war bei jedem Ruf erregt, selbst wenn es gar nicht um Taschendiebe ging. Zum Beispiel "jagte ich Fahrraddiebe, Drogenabhängige, entflohene Kriminelle... Ich hatte mit fast allen Arten von Verbrechen zu tun und gewöhnte mich an dieses Zeugs. Es war mir nie langweilig."
Die Arbeit ist gefährlich
Seine Teamkollegen mochten ihn auch, da er immer die Nummer eins war beim Aufspüren der Verdächtigen und dem Jagen nach ihnen. So brachte es den anderen Vorteile mit ihm zusammen zu sein, denn die Prämien wurden gleichmäßig unter ihnen aufgeteilt. Yao Yi hat sich darüber nie beklagt: "Die Arbeit ist gefährlich, da müssen wir eine gute Beziehung untereinander entwickeln, wie könnten wir sonst zusammenarbeiten?" Er verschwieg nicht, dass er gern ein richtiger Polizist geworden wäre, aber das war nur ein Traum: "Einige Polizisten haben uns gut behandelt, aber andere mochten uns nicht."
Auf der anderen Seite hatte Yao Yi seine eigene Einstellung zu den Taschendieben. Für ihn verletzten sie die Gesetze, aber moralisch verurteilte er sie nicht und konnte sie deshalb auch nicht hassen. Er kannte etwa Piqiu, einen alten "professionellen" Dieb, der an hohem Blutdruck leidet, an Diabetes und Nierenkrankheit. Sein Vater hat Krebs und seine Frau ist arbeitslos. Yao Yi und Piqiu spielten zusammen Majiang. Yao Yi erklärt, warum er Piqiu nie gefasst hat: "Er ist arbeitslos und krank. Taschendiebstahl ist eindeutig illegal, aber in der großen Gemeinschaft der Taschendiebe findet man verschiedene Arten von Menschen."
"Ich müsste berühmter sein"
Im Jahr 2000 gewann Yao Yi als einziger in seinem Distrikt die "Jian-Yi-Yong-Wei-Auszeichnung" ("bereit anderen zu helfen und für Gerechtigkeit einzutreten"). Aber nun dachte er, er hätte eigentlich mehr verdient: "Ich müsste berühmter sein, den Provinzorden bekommen. Ich bin der Beste auf diesem Gebiet." Während seine Polizeikollegen zu Vizechefs befördert wurden, hatte er nicht einmal Anspruch auf eine Rente. Gleichzeitig kleideten sich die Diebe, die er einst gefasst hatte, in immer teureren Markenklamotten.
Seine Stimmung trübte sich auch, weil sich die Arbeitsbedingungen verschlechterten: "Früher überführte ich monatlich 50 bis 60 Taschendiebe. Jetzt ist es viel härter, ich kriege gerade noch einen oder zwei. Mehr und mehr Diebe erkennen mein Gesicht. Außerdem wissen sie besser über ihre Rechte Bescheid. Sie streiten einfach alles ab und dir bleibt nichts übrig als sie freizulassen. Ich bin dessen müde."
Zurück zu den Wurzeln
2003 wechselte die gesamte Leitung der Polizeistation. "Die neuen Chefs brachten ihr eigenes Team. Uns alten Mitgliedern trauten sie nicht mehr. Schließlich kündigten wir." In dieser Zeit stellte schlechter Einfluss Yao Yis Leben auf den Kopf. Ein Mann bekannt als "Großer Bruder Chen" kehrte vom "Vereinten Verteidigungsteam" "zurück zu seinen Wurzeln" als Taschendieb. Er riet Yao Yi, "im Wirtschaftsleben eine andere Richtung einzuschlagen".
Im letzten Dezember erklärte Yao Yi sich schließlich bereit, zu seiner "früheren Arbeit" zurückzukehren Aber die Bande scheiterte bald, alle ihre Mitglieder wurden am 26. Januar festgenommen. Für seine Beteiligung, überwiegend Schmiere stehen, erhielt Yao Yi für die zwei Monate seinen Anteil von umgerechnet knapp 200 Euro. Er gab zu, dass er mittlerweile Schwierigkeiten mit dem Klauen hatte, er empfand es als unwürdig. So führte er in seiner neuen Diebeszeit ein Doppelleben, half gleichzeitig der Polizei vier Taschendiebe zu fassen. Trotzdem ist Yao Yi weiterhin in Haft.
Lektion kommt an
Im Hollywood-Film "The Departed" sagt Jack Nicholson dem jungen Leonardo DiCaprio: "Als ich in deinem Alter war sagten sie, du wirst ein Bulle oder ein Krimineller. Was ich meine ist: Wenn du einer geladenen Kanone gegenüberstehst, was ist der Unterschied?" Die Geschichte des Chinesen Yao Yi ist vielleicht nicht so extrem, aber die Ähnlichkeiten sind offensichtlich. Er hat sie jetzt als Lektion für uns alle erzählt. Das Neueste: Die Nanjinger Polizei wählt die Mitglieder des "Vereinten Verteidigungsteams" jetzt sorgfältiger und nach strengen Kriterien aus. Und die meisten Polizeistationen wollen nun für die Teammitglieder in die Rentenkasse einzahlen.