Es hätten Tage voller Bilder der Freundschaft werden sollen. Emmanuel Macron beim Staatsbankett bei Frank-Walter Steinmeier, Macron mit Olaf Scholz händeschüttelnd mit Jugendlichen, beim Spaziergang durch die Dresdner Altstadt, immer wieder lächelnde Politiker, gestärkte Tischdecken, adrette, brav fragende Jugendliche – so es wie dem Gedenken an 60 Jahre Elysée-Vertrag, an 60 Jahre institutionalisierte deutsch-französische Freundschaft, entsprochen hätte.
Diese Bilder allerdings, sie hätten in scharfem Kontrast zu ganz anderen Bildern gestanden. Denen von brennenden Barrikaden, zerbrochenen Fensterscheiben, Tränengasschwaden und zerstörten Autos – Bilder, wie sie uns aus Frankreich seit mehreren Nächten erreichen. Viele Städte versinken dort im Chaos, seit am vergangenen Dienstag ein Polizist den 17-Jährigen Nahel M. aus nächster Nähe erschossen hatte.
Es hatte sich schon am Freitag angedeutet, dass Emmanuel Macron seinen Besuch wohl verschieben würde. Macron ist ein Präsident der Bilder. Er weiß wie kaum einer seiner Vorgänger um die Macht der Bilder, er weiß sich zu inszenieren – das zeigte schon seine erste Amtseinführung im nächtlichen Innenhof des Louvre 2017. Und er weiß auch, dass Bilder eines händeschüttelnden Präsidenten in Deutschland politisch nicht zu verantworten gewesen wären angesichts der Aufstände in Frankreich. Mit ziemlicher Sicherheit hätten sie die Lage weiter angeheizt.
Viel Staub hat sich angesammelt
Die deutsch-französische Freundschaft ist ein hohes Gut, der Staatsbesuch, der erste seit über 20 Jahren, hätte ihr gut getan. Staub hat sich angesammelt, Selbstverständlichkeiten, zuletzt auch, gerade zwischen dem umtriebigen Macron und dem kühlen Scholz, durchaus Unverständnis für Lage und Gemüt des anderen. Können all das gestärkte Tischdecken und lächelnde Jugendliche ändern? Mit Sicherheit nicht.
Aber es ist wie in einer Jahrzehnte währenden Ehe. Wer sich nicht dazu aufrafft, Jahrestage zu inszenieren, wer nicht den Mut hat, einander die Verbundenheit auch in aller Öffentlichkeit, ja mit etwas Pathos zu demonstrieren, der versinkt im Alltags-Kleinklein, der entfremdet sich langsam aber merklich voneinander. Und gerade das, eine Entfremdung von Deutschland und Frankreich, kann sich in diesen Zeiten, in denen Russlands Krieg in der Ukraine eine geeinte europäische Stimme verlangt, in denen Länder wie Polen oder Ungarn die Werte Europas in Frage stellen, keiner auf dem Kontinent leisten.
Und dennoch war die vorläufige Absage jetzt richtig. Ein noch weiter im Chaos versinkendes Frankreich schadet Europa, es schadet auch Deutschland, wir sind aufeinander angewiesen. Der Staatsbesuch wird nachgeholt werden, sehr bald wahrscheinlich schon, vielleicht rücken diese Tage der Tumulte und der Absage ja sogar den Wert und die Wichtigkeit der deutsch-französischen Freundschaft etwas mehr in den Mittelpunkt als es allein ein Staatsbankett getan hätte. Vielleicht wird klar, dass zur Freundschaft auch das Verständnis für die Zwänge des anderen gehört – jetzt, aber auch in der Politik generell.
Und vielleicht wird auch klar, dass sich die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich – auf der anderen Seite des Rheins spricht man gerne von "Ehe" – nicht erschöpfen sollte im inszenierten Pomp sondern im Alltag wieder mehr gelebt werden muss: auf kommunaler Ebene, in Betrieben, auch und gerade in Schulen. Der Anteil jener Franzosen, die Deutsch lernen, und der Deutschen, die Französisch lernen, sinkt seit Jahren. Dieser Herausforderung müssen wir uns bewusst werden und sie angehen. Unsere "Ehe", sie hätte es verdient.