Brad Raffensperger ist allem Anschein nach das, was in den vergangenen Jahren so oft vermisst wurde: ein besonnener, verantwortungsbewusster US-Republikaner. Ob sich der Staatsminister des Bundesstaates Georgia in seiner Partei noch gut aufgehoben fühlt, ist nicht bekannt. Gründe zu zweifeln, könnten ihm in den letzten Tagen aber durchaus gekommen sein. Donald Trump beispielsweise nannte ihn jüngst via Twitter abfällig einen "sogenannten Republikaner".
Der Grund: Raffensperger fühlt sich offensichtlich der Demokratie an sich mehr verpflichtet als dem amtierenden Präsidenten. Der 65-Jährige war in seinem Staat verantwortlich für die ordnungsgemäße Auszählung der Wahlstimmen. Und er ist ebenso verantwortlich für eine korrekte Nachzählung, die in diesen Tagen läuft: fünf Millionen Stimmzettel, per Hand. Raffensperger selbst hat als oberster Wahlaufseher die neue Zählung veranlasst, weil das Ergebnis in Georgia äußerst knapp war - Joe Biden gewann den Südstaat nach vorläufigem Ergebnis hauchdünn mit nur knapp 14.000 Stimmen Vorsprung. Anzeichen für Wahlbetrug gebe es bisher nicht, ließ der Politiker vor einigen Tagen wissen: "Wir glauben, dass die Stimmzettel genau ausgezählt wurden."
Graham forderte, Stimmen unter den Tisch fallen zu lassen
Raffensperger lässt keinen Zweifel daran, dass ihm daran gelegen ist, die Wahl in Georgia korrekt und ordnungsgemäß über die Bühne zu bringen - und sei es, dass zum Schluss der politische Gegner als Sieger daraus hervorgeht. Für ein derartiges Demokratieverständnis sind einige der Obersten in seiner Partei derzeit allerdings nicht zu haben. Ausgerechnet die, die am lautesten einen angeblichen, aber bisher nirgendwo belegten Wahlbetrug durch die Demokraten beklagen, versuchen nun, auf die Stimmauszählung in Georgia Einfluss zu nehmen - wohl in der Hoffnung, das knappe Ergebnis noch zugunsten Trumps kippen zu können.
So klagte Raffensperger im Gespräch mit der "Washington Post", er sei aufgefordert worden, legal abgegebene Stimmen unter den Tisch fallen zu lassen - und zwar von Trump-Gefolgsmann Lindsey Graham, seines Zeichens wiedergewählter Senator von South Carolina. Dieser habe in einem Telefonat, Donald Trumps unbelegte Wahlbetrugsvorwürfe wiederholt, um dann zu fragen, ob es nicht in Raffenspergers Macht stehe, alle Briefwahlzettel in jenen Stimmbezirken zu verwerfen, in denen es besonders viele nicht eindeutig zugeordnete Unterschriften gebe. Graham zielte darauf ab, dass Briefwähler in Georgia auf einem Umschlag zur Stimmabgabe ihre Unterschrift hinterlassen, die mit einer bei den Behörden hinterlegten Signatur abgeglichen wird. Stimmen die Unterschriften nicht überein, haben die Wählerinnen und Wähler nochmals Gelegenheit, ihre Identität zu belegen. Auf diese Weise soll eine doppelte Stimmabgabe ausgeschlossen werden.

"Du solltest diese Nachzählung besser nicht versauen"
Die Vorwürfe seines Parteifreundes aus Georgia wies Graham als "lächerlich" zurück. Raffensperger aber bleibt dabei - und führt jede Menge anderer Gründe an, sich von Seiten der Republikaner unter Druck gesetzt zu fühlen. Das gehe bis hin zu unverhohlenen Drohungen, die direkt aus den Reihen seiner Partei kämen, so der 65-Jährige. "Du solltest diese Nachzählung besser nicht versauen. Dein Leben hängt davon ab", habe in einer Nachricht gestanden.
Seine sonst übliche Seriösität völlig ab legt der grau melierte Staatsminister, wenn die Sprache auf Doug Collins kommt. Der von Trump als Wachhund nach Georgia geschickte republikanische Kongressabgeordnete beschimpft Raffensperger als "inkompetent" und wirft ihm vor, "vor den Demokraten kapituliert zu haben". Raffensperger wiederum hält Collins für nichts weniger als einen "Lügner" und "Scharlatan". Er will sich von außen die Integrität der Wahl in Georgia nicht absprechen lassen, kündigte zudem über seinen Facebook-Account an, sich gegen jede "Bundesübernahme" des Wahlverfahrens wehren zu wollen.
Donald Trump nennt Neuauszählung "fake"
Donald Trump hat die Rechtmäßigkeit der Neuauszählung wiederholt in Zweifel gezogen. Er bezeichnet sie gar als "fake" - und das, obwohl ihm doch die Überprüfung des knappen Ergebnisses recht sein müsste. Auch in diesem Fall gibt es für die Behauptung des Präsidenten keinen Beleg. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Zuge der Nachzählung im Floyd County tatsächlich 2600 Stimmen entdeckt wurden, die bisher nicht gezählt wurden, wie die Zeitung "Atlanta Journal-Constitution" berichtete.
Eine Überprüfung ergab, dass ein Wahlhelfer die eingescannten Stimmzettel irrtümlich nicht von einer Speicherkarte ins System hochgeladen hatte. Ein menschlicher Fehler, der nun korrigiert werden konnte. Die Stimmen seien nun berücksichtigt worden, hieß es. Trump konnte demnach seinen Rückstand auf Joe Biden um rund 800 Stimmen verkürzen. Selbst der Chef der Republikaner im Floyd County gab zu Protokoll, dass es zwar ein besorgniserregender Fehler sei, er aber froh sei, dass sich herausgestellt habe, dass es "kein weit verbreitetes Problem" sei.
Giuliani spinnt Verschwörungstheorie um Zählsoftware
Doch auch das will Trump von einem Republikaner offensichtlich nicht hören. Der Präsident nahm die 2600 irrtümlich nicht eingespeisten Stimmen vielmehr als Beweis für die grundlegende Fehlfunktion der Zählsoftware. Außer in Georgia war das System des kanadischen Unternehmens Dominion während der Präsidentenwahl in 27 weiteren Bundesstaaten im Einsatz. Nur ein weiterer Fehler war bekannt geworden. Danach soll in Michigan ein verantwortlicher Wahlhelfer in einem einzelnen Bezirk versäumt haben, ein Software-Update aufzuspielen.
Trump persönlicher Anwalt Rudy Giuliani, der damit beauftragt wurde, die Klagewelle gegen die Wahlergebnisse in den umkämpften Bundesstaaten zu koordinieren, zimmerte aus den beiden Versäumnissen dennoch eine handfeste Verschwörung. Dominion, so Giuliani am vergangenen Sonntag laut "Washington Post", werde von "radikalen Linken" geführt. Es gebe enge Verbindungen zur Antifa, nach Venezuela und nach China. Das Unternehmen wies das alles umgehend zurück.
Raffensperger warnt davor, Zählsoftware zu verteufeln
Da die Stimmen in Georgia ohnehin per Hand neu ausgezählt werden, bleibt der Sinn einer so vehementen Attacke auf die Zählsoftware ohnehin zunächst unklar. Brad Raffensperger ließ bereits durchblicken, dass nach bisherigen Erkenntnissen die Neuauszählungen die ursprünglichen Zahlen in den einzelnen Countys alles in allem bestätigen werden.
Der Mann aus Georgia bewies zudem Loyalität zur seiner Partei, die ihm in diesen Wochen so übel mitspielt. Er warnte nämlich davor, das Zählsystem allzu schwer anzugreifen. Dies werde nämlich auch am 5. Januar im Einsatz sein, wenn just in Georgia bei Stichwahlen die beiden letzten noch offenen Senatssitze vergeben werden. Sollte es den demokratischen Kandidaten gelingen, beide Sitze zu holen, wäre die gerade bei einem Wechsel im Weißen Haus für die Republikaner so wichtige Mehrheit im Senat dahin. Raffensperger fürchtet, dass sich viele Wahlberechtigte durch das vehemente Verteufeln des Zahlsystems fragen könnten: "Warum wählen gehen?" Sollte es so kommen, wäre das sicher ein Vorteil für die Demokraten. Es wäre ein Eigentor mit Anlauf.
Quellen: Nachrichtenagentur Reuters; "Washington Post" (1); "Washington Post" (2); "The Atlanta Journal-Constitution"; "The Hill"; Facebook-Account Brad Raffensperger; Twitter-Account Donald Trump