Einmal Shanghai, bitte! Transrapid mit Glücksradantrieb

Von Tilman Wörtz
Es muss eine Art Perpetuum mobile sein: Mit einem umgebauten Minivan will ein chinesischer Professor dem Transrapid von Siemens den Rang ablaufen.

Toll, wie der Kanzler bei seiner Reise durch die Golfstaaten für eine Transrapid-Strecke geworben hat. Genau darum geht es in der Politik: Wer bekommt Was und Wann? Das Was ist klar: Transrapid und Aufträge. Bei dem Wer täuscht sich der Kanzler allerdings gewaltig. Denn es wird nicht Siemens-Thyssen/Krupp sein, denen die Zukunft der Magnetschwebebahn gehört, sondern Professor Wei Lehan, 66, Physikprofessor an der Shanghai Normal University.

Er hat eine chinesische Magnetschwebebahn entwickelt, "die erste mit unabhängigen Eigentumsrechten”. Sie ist viel schneller und billiger als das deutsche Modell. "Meine kostet nur den sechsten Teil", sagt Professor Wei Lehan. Theoretisch wird der Zug "sechshundert bis siebenhundert Stundenkilometer fahren”. Praktisch hat Wei Lehan das noch nie ausprobiert. Seine aktuelle Teststrecke ist nur zehn Meter lang. Da wird der Zug nicht so schnell. "Aber sehen sie selbst", sagt er gut gelaunt und trippelt in Filzpantoffeln Richtung Labor auf dem Campus der Shanghai Normal University.

Das Labor sieht aus wie eine größere Garage und gehört zur "Forschungsabteilung" der Universität. Gleich links neben dem Eingang lehnt ein Schild an der Wand, das auf der "6. Internationalen Industriemesse" im vergangenen Jahr in Shanghai Professor Wei Lehans Transrapid vorgestellt hat. Damals hat der Professor der chinesischen Presse erklärt: "Alle Transrapid-Experten werden sich schämen, wenn mein Modell funktioniert." Heute drückt er sich etwas vorsichtiger aus. Er sagt: "China ist nicht so ein reiches Land. Teure Technologien können wir uns eigentlich noch nicht leisten. Ich habe deshalb die Theorie weiterentwickelt." Wenn Professor Wei Lehan spricht, sind seine Augen fest auf einen Punkt gerichtet, der sich drei Meter vor seinen Brillengläsern befindet. Man muss bei jeder Frage um seine Aufmerksamkeit kämpfen.

Er hat zwei Jahre im deutschen Nuklearzentrum Jülich gearbeitet und viele Jahre für die Chinesische Akademie der Wissenschaften über das Problem der Kernfusionen gegrübelt. Mit "Ma-Ge-Net"-Schwebebahnen befasst er sich erst seit zwei Jahren. Den Prototyp hat er aber schon fertig. "Das Prinzip ist so einfach, dass Siemens nicht daran gedacht hat", sagt er und kichert. Dann steigt er ein Treppchen empor und öffnet die Fahrerkabine, einst die Karosserie eines Minivans. Auf Anweisung Professor Wei Lehans wurde sie Silber gespritzt und bekam eine spitze Schnauze angeschweißt.

"Das Magnetfeld

würde auch hundert Personen tragen, aber es hat nur Platz für sechs." Zum Starten verknotet er einen Kupferdraht mit drei Hilfsmotoren eines Fahrrads, je 36 Volt, und legt den einzigen Hebel in dem samtbezogenen Cockpit um. Die 740 Kilogramm schwere "Ma Ge Net"-Schwebebahn poltert davon. "Das Leitsystem ist handgemacht", entschuldigt Professor Wei den Krach und kichert wieder. Nach zehn Metern muss er die Bahn abbremsen. Ende der Teststrecke.

Er ist zufrieden. Mit einer Hand schiebt er die "Ma Ge Net"-Schwebebahn auf die Startposition zurück. Sie gleitet tatsächlich dahin wie ein Puck auf Eis. Er stemmt sich seitlich gegen das Gehäuse, versucht es in die Höhe zu stemmen - es bewegt sich keinen Millimeter. Selbst als vier Personen auf einmal in die Bahn einsteigen, sitzt sie fest im Magnetfeld, ohne merklich abzusinken.

"Der Trick

ist das Design der Schienen", sagt Professor Wei Lehan. Auf jeder Seite bestehen sie aus zwei Magnetbahnen, der Zug selbst hat an der Unterseite auf beiden Seiten drei Magnetbahnen. "Die Kräfte sind so aufeinander abgestimmt, dass der Zug nicht erst durch elektrischen Strom zum Schweben gebracht werden muss." Auch der Antrieb erfolgt magnetisch: Eine Art Glücksrad, mit Magnetscheiben bestückt, schiebt den Zug entlang einer ebenfalls magnetischen Mittelschiene.

Professor Wei Lehan fehlen nur noch Investoren für eine Teststrecke. Zwanzig Firmen haben ihn nach der Industriemesse angesprochen, eine amerikanische darunter. Und der Motor? Wird er es auf siebenhundert Stundenkilometer bringen? Einige Verbesserungen seien noch nötig. "Aber die Theorie ist der deutschen überlegen", sagt Professor Wei Lehan und trippelt in seinen Filzpantoffeln davon. "Schreiben sie das besser nicht", empfiehlt ein Herr von der Verwaltung, der als Aufpasser Professor Wei Lehan begleitet hat. "Gleich gut reicht."

PS:

Übrigens hat sich Thiemo Kloss, derzeit Peking, mit einem wichtigen Hinweis gemeldet: Es gibt Maultaschen mit Hundefleischfüllung. Eine Kollegin aus Nordchina, wo viel Hundefleisch gegessen wird, habe ihm versichert, dass man bei der Bestellung "Gou Rou Xian Jiao Zi" ein eben solches Gericht auf den Tisch bekommen könne. Das erleichtert mich sehr, denn es wertet die Schwäbische Maultasche für mich wieder auf. Ich werde bei Heimaturlauben mein Lieblingsgericht ganz frei von Hintergedanken genießen können - anders als in China. Und Gedankenfreiheit ist ja bekanntlich ein hohes Gut. Sollten Hinweise eingehen, dass es eine "Internationale Liga zur Befreiung von Hunden aus Maultaschen" geben sollte, biete ich hiermit weitere Recherchedienste an.

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