EU-Verfassung "Die Konstitution ist tot"

Von Albert Eikenaar
Früher waren die Niederlande große EU-Fans. Seit der Ablehnung der Verfassung vor zwei Jahren befinden sich die Holländer jedoch in einer tiefen EU-Krise. Die Auswirkungen könnte Kanzlerin Angela Merkel beim Gipfel zu spüren bekommen.

Die niederländische Königin Beatrix ist ein erklärter Fan von Europa ist - in Den Haag ein offenes Geheimnis. Bei ihrem Volk sieht das jedoch anders aus: Durch den schmerzlichen Schlamassel mit dem Volksbegehren und dem dadurch gescheiterten EU-Grundgesetz befinden sich die Niederländer beim Thema Europa in einer tiefen Krise. Die niederländischen Wähler ließen im Juni 2005 das Konzept einer europäischen Konstitution mit einer Mehrheit von 62 Prozent kurz und knackig durchfallen.

Dies war ein gewaltiger Rückschlag für das Bündnis, mit dem niemand gerechnet hatte. Die Niederländer hatten, wie die Franzosen, die Nase voll von Europa. Nach diesem schwarzen Mittwoch änderte sich jedoch nicht viel. Den Haag reagierte wie betäubt, Europa war plötzlich zu einer Art Tabu-Thema geworden, und keiner glaubte noch so recht an die Verfassung. Der damalige Außenminister Theo Bot brachte die penible Situation auf den Punkt: "Die Konstitution ist tot".

Niederlande entwickelten sich zu Euroskeptikern

Dabei galten die Niederlande traditionell- immerhin eines der Gründungsmitglieder der damaligen EEG - als treueste Bündnispartner. Nun gehörten sie mit einem Schlag zum Lager der Euroskeptiker. Aber zwei politische Morde, Fortuyn und Van Gogh, sorgten 2002 und 2004 für einen Umbruch in der politischen Landschaft.

Mehr als früher trauten sich die Menschen radikale Meinungen zu verkünden. Gerade war der teure Euro eingeführt worden und in Brüssel entwickelte sich eine Debatte über den in vielen Augen unerwünschten Beitritt der Türkei. Die Wähler reagierten wütend und rigoros: Weg mit der EU-Verfassung. Dass diese Themen im Referendum überhaupt nicht vorkamen, kümmerte die Wenigsten.

Brüssel soll "unsinnige" Vorschriften stoppen

Deswegen war nun jeder gespannt, wie und ob am 22. März die niederländische Regierung nach zwei Jahren Funkstille endlich reagieren würde. Premier Jan Peter Balkenende konnte natürlich nicht ausgerechnet am 50. Geburtstag der Union länger über die vernichtende Sachlage schweigen. Was er zu sagen hatte, klang jedoch nicht gerade überzeugend.

Eines ist klar: Die niederländische Regierung will, unterstützt von der negativen Stimmung im Volk, die Macht und Kompetenzen von Brüssel einschränken und beschneiden. Die Rolle der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten soll aufgewertet werden. Die Niederlande wollen mehr auf der nationalen Ebene agieren, statt das brave, machtlose Mitglied eines Superstaates zu sein. Brüssel müsse den uferlosen Strom der "unsinnigen" Vorschriften stoppen.

EU-Grundgesetz bedeutet Identitätsverlust

Regierungschef Balkenende sagte es nicht direkt, aber ließ zwischen den Zeilen durchblicken, dass unter seiner Führung ein erneute Annäherung an die abgelehnte Konstitution absolut unmöglich ist. Die Niederlande lehnen ein nur repariertes Flickwerk grundsätzlich ab. Das Wort "Grundgesetz" sollte komplett gestrichen werden, so fordert Den Haag. Die Niederländer empfinden die Akzeptanz eines EU-Grundgesetzes als Verlust ihrer Souveränität und Identität.

Inzwischen machte die Regierung in einem Schreiben an das Haager Parlament deutlich, welche Position sie bei den Verhandlungen in Berlin einnimmt: "Der neue Vertrag muss inhaltlich, im Umfang und vom Namen her anders sein als die Version, die jetzt vorliegt". Kurzum, die Niederlande legen den von 18 Ländern bereits abgesegneten Text auf Eis - auf Nimmerwiedersehen.

Druck auf Merkel ist hoch

Ob Berlin für den "dringenden" Wunsch einiger Politiker aus Den Haag, sich für die Verfassung etwas neues einfallen zulassen, in die Knie geht, ist nicht vorhersehbar. Angela Merkel steht unter schwerem Druck. Wie werden die Länder reagieren, die schon zugestimmt haben? Kann man eine veränderte Verfassung durchboxen, nur weil die Niederlande und Frankreich das wollen? Andererseits gebe es Mitglieder, die ihr Jawort bedauern und neue Verhandlungen nicht abgeneigt sind, meint man in Den Haag.

Es wird hoch gepokert, wobei die Niederländer fest entschlossen sind, ihren Willen durchzusetzen. Es sei denn, Jan Peter Balkenende akzeptiert am Schluss doch noch ein Machtwort von Angela Merkel. Die Einschätzung eines Brüsseler Beobachters: "Eine neue Verfassung wird es nur in der Form eines Kompetenzkataloges geben, der lediglich die EU-Spielregeln beschreibt. Nicht mehr und nicht weniger."