Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Flüchtlinge? Aber nicht bei uns!

Von Andrea Votrubová
Nur wenige Staaten lehnen die gerechte Verteilung von Flüchtlingen in der EU ab. Ausgerechnet Tschechien, meine Heimat, gehört dazu. Das macht mich wütend.

Ich bin eine Tschechin. In meinem Land lebe ich schon seit 35 Jahren und in vielerlei Hinsicht bin ich froh, dass ich gerade dort geboren wurde. Wir haben ein erstaunliches Kulturerbe, das wir übrigens auch der deutschen Minderheit verdanken, die hunderte Jahre bei uns lebte.

Und ich liebe Prag, eine herrliche Stadt. Doch damit endet jetzt auch meine Ode an die Heimat. Im Fall der Flüchtlingsaufnahme verhält sich Tschechien wie ein kleines, trotziges Kind, das gegen seine bösen Eltern, die EU, kämpft. Und die tschechischen Politiker tun so, als wären sie der gute Onkel, der das Kind in Schutz nimmt.

Für einen deutschen Leser ist das sicherlich unverständlich. Die politische Spitze Deutschlands stellt sich dem Flüchtlingsproblem und versucht es zu lösen - obwohl auch Rechtsextreme und Ängstliche dagegen protestieren. Aber diese Gegner sind in der Minderheit. Die größere Zahl der Deutschen akzeptiert Flüchtlinge mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Es scheint so, als würde dies zu ihrer „Job-Beschreibung“ gehören, zu ihrer Auffassung, wie man Demokratie, Freiheit, Offenheit und Interesse an der Welt lebt.

Eine Atmosphäre der Angst

Nicht so Tschechien, das gemeinsam mit Großbritannien, der Slowakei und den baltischen Staaten den EU-Vorschlag ablehnt, Flüchtlinge für jedes einzelne Land zu quotieren. "Wir sind dazu nicht bereit. Für Tschechien würde es einen Zustrom vom mehreren tausenden Menschen bedeuten. Die aktuelle Kapazität der Flüchtlingswohnheime liegt bei 700 Menschen“, sagte der Innenminister Milan Chovanec. Dasselbe sagen auch der Premier und der Präsident. Aber sie tun noch mehr: Systematisch wiederholen sie populistische Aussagen, Ausländer seien eine riesengroße Bedrohung der Sicherheit. Sie schaffen eine Atmosphäre der Angst.

Diese Angst vereint sich mit der kleinbürgerlichen tschechischen Mentalität und den historisch gewachsenen Minderwertigkeitskomplexen gegenüber den großen Nachbarländern. Um zu zeigen, was dabei heraus kommt, übersetze ich ein paar typische Online-Kommentare von Tschechen:

"Wir leben doch in einer Demokratie, oder? Und neunzig Prozent der Menschen in unserem Land will keine Flüchtlinge. Also, was gibt es hier zu verhandeln?“

"Natürlich: Wie haben so wenige Probleme, dass wir einige hierher bringen müssen. Nein, danke."

"Das ist der Anfang vom Ende unseres schönen Europa."

"Raus aus der Union. Weg, weg, weg. Warum sollten wir eine Menge von Leuten heranziehen, die nur von Sozialleistungen leben, stehlen, weil sie nichts anderes können, und noch weitere ihrer Art gebären werden. Das ist ein Mord an Europa und der ganzen Welt. Warum? Wer will es?“

Tschechen werden immer fremdenfeindlicher

Meine Güte! Als ob Tschechien, ein Land mit 10 Millionen Einwohnern, nicht in der Lage wäre, sich um ein paar Tausend Flüchtlinge zu kümmern! Wir haben dazu die moralische Pflicht, denn es ist noch gar nicht lange her, da flohen Tausende aus Tschechien, weil sie die kommunistische Diktatur nicht ertrugen. Sie wurden in den westlichen Nachbarländern herzlich aufgenommen. Nun geht es um ein paar Tausend Menschen aus Afrika oder dem Nahen Osten, die das Pech hatten, in einem von Krieg und Gewalt zerrissenen Staat geboren worden zu sein.

Aber die Tschechen wollen nicht. Laut Meinungsumfragen werden sie immer fremdenfeindlicher. Sie betrachten rechtspopulistische Politiker als ihre Verbündeten. Gemeinsam weigern sie sich - mit Zynismus und Ausreden - die Verpflichtungen eines EU-Mitglieds zu erfüllen. Man kann das auch als Unreife eines Kleinstaates verstehen.

Der Präsident sucht den Pakt mit Putin

Leider haben unsere Politiker auch in der Vergangenheit immer wieder gegen die vermeintliche "EU-Diktatur" polemisiert. Auch die Rhetorik des ehemalige Präsident Vaclav Klaus hat dazu beigetragen. Sein aktueller Nachfolger, Milos Zeman, pflegt ein großes Ego. Sein politisches Heil scheint er eher in einem Pakt mit Putin zu suchen als in der EU. Zeman polarisiert unsere Gesellschaft.

Leider vergisst unsere Regierung, dass ihre Verschlossenheit und die mangelnde Bereitschaft, an der Lösung vom Problemen Europas mitzuarbeiten, ihnen auf die Füße fallen wird. Wer wird die Tschechen noch als "Partner" in der EU ernst nehmen, wenn sie sich so verhalten? Und wer wird ihnen solidarisch zur Seite stehen, wenn sie selbst einmal Hilfe brauchen?

Im Rahmen des von der Bosch-Stiftung geförderten Programms "Medienmittler" hospitiert Andrea Votrubová, 35, derzeit im Berliner stern-Büro. In Tschechien arbeitet sie als Freelancerin.