Präsidentschaftswahl Tiefe Gräben, große Egos: Wie sich die Linke in Frankreich selbst aus dem Rennen schießt

Ex-Justizministerin Christiane Taubira will bei Wahlen in Frankreich für die Linke antreten
Schwierige Aufgabe: Ex-Justizministerin Christiane Taubira will die Linke vor den kommenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich vereinen
© Thomas Coex / AFP
In Frankreich steigt das Wahlkampffieber. In rund zwei Monaten wird hier ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt. Während sich die Kandidaten auf der rechten Seite belauern, herrscht im linken Lager vor allem eines: Chaos.

In einer perfekten Welt hätten am vergangenen Sonntag drei Präsidentschaftskandidaten der Linken zurücktreten müssen. Sie hätten sich als Zeichen der Einigkeit hinter der Ex-Justizministerin Christiane Taubira versammeln sollen, der Siegerin einer erstmaligen Urwahl.

Unter der Fragestellung "Wer ist am besten platziert, um Frankreich sozial und ökologisch voranzubringen?" hatte eine linke Bürgerinitiative die Vorwahl organisiert. Die Wählerinnen und Wähler waren aufgerufen, per Schulnote einen "Kandidat oder Kandidatin der Herzen" zu küren, hinter dem oder der sich sowohl Wählerschaft als auch Parteien versammeln können. Mit der Note "gut" landete Taubira auf Platz eins, gefolgt von dem Grünen Yannick Jadot und dem radikaleren Linken Jean-Luc Mélenchon, die beide ein "befriedigend" erhielten. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo kam nur auf ein "ausreichend".

Das Projekt fand viel Zuspruch, knapp 400.000 Menschen gaben demnach ihre Stimme ab. Doch anstatt für Klarheit zu sorgen, ist die Lage bei den Linken nach dem Votum nun noch verfahrener.

Eine Vorwahl, bei der es nur Verlierer gibt

So bezeichnete Wahlsiegerin Taubira ihre politischen Konkurrenten als "respektlos gegenüber der Demokratie", da sie das Format von vornherein abgelehnt hatten. Nach Ansicht von Frankreich-Expertin Ronja Kempin von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) gibt es dafür zwei Gründe:  Zum einen monieren Mélenchon, Jadot und Hidolago, dass die Befragung zu spät stattgefunden habe – bis zum ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen sind es noch weniger als 100 Tage.

Zum anderen – und in den Augen der SWP-Expertin noch viel wichtiger – fühlen sich alle drei legitimiert, allein voranzuschreiten: "Mélenchon liegt in den Umfragen weiter vor seinen Konkurrenten; Jadot verweist auf die Wahlerfolge der Grünen bei den Europawahlen 2019 und den Kommunalwahlen 2020, und Hidalgo weiß das Momentum auf ihrer Seite, seit die Sozialisten 2021 bei den Regionalwahlen ein Comeback feierten", so Kempin gegenüber dem stern.

Dennoch gehen die drei beschädigt aus der Vorwahl hervor. Egal ob sie die Abstimmung wollten oder nicht, sie haben nun schwarz auf weiß den Denkzettel der Wählerinnen und Wähler bekommen, die ihnen nicht das Vertrauen aussprechen. Und auch die Wahl-Organisatoren stehen schlecht da, weil sie sich vorwerfen lassen müssen, parteiisch zu sein und nicht für eine sichere Abstimmung gesorgt zu haben. So wurde im Nachhinein bekannt, dass viele der Veranstalter selbst politisch in Taubiras Lager Zuhause sind und man bei der Online-Wahl mehrfach voten konnte.

Christiane Taubira: Die Frau, die die Linken einen will

Selbst Christiane Taubira ist eine Verliererin der Vorwahl. Denn was nützt es, Klassenbeste zu sein, so lange sich das ohnehin schon weite Bewerberfeld der Linken noch vergrößert und ihre Klassenkameraden weiter jede und jeder für sich um die Wählergunst buhlen. Ihr Erfolg hat einen bitteren Beigeschmack. Da klingt es beinahe zynisch, als die Politikerin in ihrer Rede verkündet, dass ihr Sieg "dem französischen Volk wieder Grund zum Glauben geben würde" und dass die "Einheit" der Linken nur eine Frage der Zeit sei. 

Fakt ist, Taubira steht nun vor einer Mammutaufgabe – mit schwindender Aussicht auf Erfolg. Dabei war sie als erste schwarze Ministerin einst eine Ikone in der linken Bewegung. Als Justizministerin unter dem ehemaligen Präsidenten François Hollande machte sie sich durch ihre flammenden Reden schnell einen Namen. So kämpfte sie beispielsweise erfolgreich für die Einführung der Ehe von Homosexuellen.

Und trotzdem stehen ihre Chancen die Stichwahl zu erreichen schlecht – in Umfragen erreicht sie aktuell nicht einmal zehn Prozent Zustimmung. Aus der Sicht von Frankreich-Expertin Kempin liegt das einerseits am schlechten Timing – Taubira hat ihre Ambitionen erst im vergangenen Dezember öffentlich gemacht hat, deutlich später als andere Kandidatinnen und Kandidaten. Andererseits hat die umstrittene Urwahl deutlich gezeigt, dass die Kontrahenten ihr Angebot, sich hinter ihr zu versammeln, ausschlagen werden. 

Wahlkampf bei rechten Kandidaten in vollem Gange

Unterdessen kommt im rechten Kandidatenfeld immer mehr Bewegung auf. Noch liegt die Rechtspopulistin Marine Le Pen nach einer aktuellen Ipsos-Umfrage mit 15,5 Prozent klar vor dem noch rechteren Kandidaten Eric Zemmour mit rund 13 Prozent. Doch es gibt immer mehr Abtrünnige in den eigenen Reihen von Le Pens "Rassemblement National", die zum extremeren Zemmour überlaufen.

Besonders pikant für Le Pen: Ausgerechnet ihre populäre Nichte Marion Maréchal – die tiefe Einblicke in die Kampagne der Rechtspopulisten hat – liebäugelt mit einem Lagerwechsel. Sollte sie sich öffentlich für Zemmour entscheiden, "dann nicht nur, um mal kurz 'Hallo' zu sagen", kündigte sie zum Schrecken ihrer Tante an. Le Pen, die sich lange nicht dazu geäußert hatte, änderte vergangenes Wochenende ihren Kurs und rief dazu auf, dass alle, die gehen wollen, das bitte sofort tun sollten.

Auch wenn Zemmour und Le Pen derzeit die Schlagzeilen beherrschen, könnten beide aus Sicht von SWP-Expertin Kempin die Stichwahl gegen die Konservative Valérie Pécresse verlieren. Die Kandidatin der Republikaner konnte bisher viele Stimmen zurückgewinnen, die die Partei 2017 an die extreme Rechte verloren hat. Es bleibt abzuwarten, wie viele Unterstützerinnen und Unterstützer sie in den kommenden Wochen an sich ziehen wird.

Macron hält sich bislang bedeckt

Während sowohl im linken als auch im rechten politischen Lager die Konflikte offen ausgetragen werden, hält sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bisher bedeckt. Noch hat er seine Kandidatur nicht offiziell angekündigt, doch seine Anhängerinnen und Anhänger rühren schon eifrig die Wahlkampf-Trommel für ihn. 

Einerseits ist Macron in einer bequemen Position: Je länger er seine Kandidatur hinauszögert, desto mehr erhöhen sich die Chancen, dass sich das Bewerberfeld lichtet und sich die Konkurrenz selbst zerfleischt. Andererseits kann es für ihn schnell ungemütlich werden, je nachdem, wer es in die Stichwahl schafft.

Vor den Französinnen und Franzosen liegt in diesem Jahr ein spannender Wahlkampf. Vieles scheint möglich in dem offenen Rennen – selbst für die gespaltene Linke, bilanziert Frankreich-Expertin Kempin. "Für einen 'Scholz-Moment' müssten die Egos der politischen Linken aber alsbald über ihren Schatten springen."

Quellen: "Le Monde", "Arte", "DLF", mit AFP-Material