"Monsieur Chirac? Monsieur Chirac?" Der Richter rief in den Gerichtssaal, als sei er nicht sicher, ob der französische Ex-Präsident Jacques Chirac nicht doch zum Auftakt des Prozesses gegen ihn erschienen war. Doch Chirac ließ sich am Montag wie angekündigt von seinem Anwalt vertreten. Dies ersparte ihm peinliche Fragen nach seiner Beschäftigung und seinem Einkommen, die jeder Angeklagte beantworten muss.
Der erste Prozess gegen einen Ex-Präsidenten gilt in Frankreich als ein historisches Ereignis - aber das Verfahren könnte noch zum Rohrkrepierer werden. Der Anwalt eines der neun Mitangeklagten machte eine Verfassungsfrage geltend, ein juristisches Mittel, das erst seit vergangenem Jahr existiert. Sollte der Richter sie annehmen, dürfte Chirac erstmal wieder für einige Monate Ruhe vor der Justiz haben.
Ein Dutzend Richter hatte sich an ihm schon die Zähne ausgebissen. Chirac war mit zahlreichen Affären in Verbindung gebracht, aber nie verurteilt worden. Die Fälle, für die er sich nun verantworten muss, gehen auf seine Zeit als Bürgermeister von Paris zurück.
Wie er in seinen Memoiren beschreibt, nutzte er das Amt in erster Linie, um sich auf die Präsidentschaftswahl von 1995 vorzubereiten, indem er beispielsweise Kontakte zu durchreisenden Staatsgästen knüpfte. Dass er nebenher auch Jobs an politische Freunde verteilt haben soll, die entweder für seine konservative RPR-Partei arbeiteten oder auch gar nichts für ihr Geld taten, bestreitet er allerdings.
Am ersten Prozesstag prallten im Gerichtssaal zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite der Anwalt, der in theatralischem Stil und geschliffener Rhetorik die Verfassungsfrage stellte - und auf der anderen Seite ein wütender Bürger im karierten Flanellhemd, der sich als Nebenkläger so sehr aufregte und verzettelte, dass der Richter ihn am Ende von den Gendarmen herausbringen ließ.
Viele Franzosen finden es überflüssig, dem 78 Jahre alten Ex-Präsidenten jetzt noch für lange zurückliegende Vorgänge aus den 90er Jahren den Prozess zu machen. Chirac ist seit seinem Ausscheiden aus dem höchsten Staatsamt 2007 zu einer der beliebtesten Persönlichkeiten in Frankreich geworden - wohl auch im Kontrast zu seinem Nachfolger Nicolas Sarkozy, der von Woche zu Woche unbeliebter wird.
Chirac hat mehrfach betont, dass er sich dem Prozess stellen wolle. Schließlich habe er nichts zu befürchten. Der Ex-Präsident scheint seine Richter wie früher seine politische Gegner zu betrachten: Kuschen kommt nicht infrage. Seine Frau Bernadette klagte kürzlich, dass ihr Mann öfter an Gedächtnisschwund leide, sich schnell aufrege und immer schlechter höre - aber sie betonte auch, dass er keineswegs Alzheimer habe.
Am Mittwoch will Chirac erstmals persönlich in dem historischen Gerichtssaal mit seinen brokatbespannten Wänden und Goldstuck erscheinen. Die französische Königin Marie-Antoinette wurde dort einst von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt. Chirac drohen im eher unwahrscheinlichen Fall einer Verurteilung zehn Jahre Haft und 150 000 Euro Geldstrafe.