Die meisten Soldaten, die am Freitagabend am bislang heftigsten Gefecht der Bundeswehr in Afghanistan beteiligt waren, kennt Brigadegeneral Frank Leidenberger persönlich. Eine nüchterne Analyse des Taliban-Angriffs bei Kundus fiel dem ISAF-Kommandeur für Nordafghanistan deshalb alles andere als leicht. Drei Tote, vier Schwerletzte und vier Leichtverletzte hatte er nach stundenlangen Kämpfen zu beklagen. Rund hundert Taliban, mehrere hundert Bundeswehrsoldaten sowie afghanische Soldaten waren daran beteiligt.
Es ist sicher eine schwierige Phase, aber wir sind hier, um diesen Auftrag zu einem erfolgreichen Ende zu führen
Eine neue Dimension der Kampfhandlungen in Nordafghanistan wollte Leidenberger trotzdem nicht ausmachen. "Die Lage ist unverändert", sagte er vor Journalisten im Hauptquartier des von Deutschland geführten Regionalkommandos Nord in Masar-i-Scharif. Gefechte habe es im vergangenen Jahr immer wieder gegeben. "Es ist sicher eine schwierige Phase, aber wir sind hier, um diesen Auftrag zu einem erfolgreichen Ende zu führen."
In der Nacht wurde vom Einsatzführungskommando in Potsdam bekannt gegeben, dass deutsche Soldaten bei den Kämpfen versehentlich auch mehrere Verbündete erschossen haben. Das hat es in der Geschichte der Bundeswehr noch nicht gegeben und wird der Diskussion über das Gefecht möglicherweise eine neue Dynamik geben. Der Vorfall ereignete sich beim Nachrücken von Bundeswehrkräften in das sechs Kilometer vom Feldlager in Kundus entfernte Kampfgebiet.
Zwei zivile Fahrzeuge näherten sich dem deutschen Verband und reagierten nach Angaben der Bundeswehr nicht auf Warnungen. Ein Schützenpanzer vom Typ Marder eröffnete schließlich das Feuer. Erst später stellte sich heraus, dass die Fahrzeuge zur afghanischen Nationalarmee gehören. Fünf afghanische Soldaten starben nach Bundeswehr-Angaben.
Wieviele Taliban in den Kämpfen getötet wurden, blieb unklar. Berichte, nach denen ein hochrangiger Taliban-Führer dabei war, wollte Leidenberger nicht bestätigen. Die Kämpfe ereigneten sich in dem Unruhedistrikt Char Darah, der gefährlichsten Gegend in der Umgebung von Kundus. Die Taliban haben Teile des Distrikts unter ihrer Kontrolle, mehrere Bundeswehrsoldaten verloren dort schon ihr Leben. Außerdem wurde das Lager in Kundus immer wieder von Char Darah aus mit Raketen beschossen.
Die hügelige Landschaft in dem Distrikt eignet sich für Hinterhalte. Die Bundeswehrpatrouille wurde überfallen, als sie dabei war, eine Straße von Minen zu befreien. Der Angriff fand nicht weit von der Sandbank im Kundus-Fluss statt, auf der auf Befehl eines Bundeswehroberst vor sieben Monaten zwei Tanklaster bombardiert wurden. Der Entscheidung lag die Vermutung zugrunde, die Tanker könnten den Taliban als fahrende Bomben dienen. Damals kamen bis zu 142 Menschen ums Leben, wieviele Zivilisten darunter waren ist bis heute unklar. Auch bei dem Gefecht am Freitag forderte die Bundeswehr Luftunterstützung an. Bomben wurden allerdings nicht abgeworfen.
Über einen verspäteten Racheakt für das Bombardement von Kundus wurde nach dem Gefecht ebenso spekuliert, wie über den Zeitpunkt zu Beginn der Osterfeiertage. Es ist kein Geheimnis, dass die Taliban auf eine möglichst weitreichende Verbreitung ihrer Anschläge in den Medien aus sind, um die deutsche Bevölkerung - die den Bundeswehreinsatz ohnehin skeptisch sieht - weiter zu verunsichern.
Einen Strategiewechsel der Bundeswehr werden sie damit nach Einschätzung der deutschen Soldaten wohl nicht erreichen. "Es ist auch ganz klar, dass die Opfer, die gebracht werden, nicht umsonst sein dürfen", sagte Brigadegeneral Leidenberger. Die Bundeswehr werde ihren Auftrag, die Bevölkerung vor den Taliban zu schützen, weiter durchführen: "Wir werden das zwingend wegstecken. Und wir werden weiter machen und unseren Auftrag ausführen. Dafür hat uns die Bundeswehr hierher geschickt."
Die vier schwer verletzten Deutschen sollten im Tagesverlauf nach Deutschland geflogen werden. Die Trauerfeier in Kundus wird voraussichtlich Anfang der Woche stattfinden.