Großbritanniens Premierminister David Cameron hatte seit seinem Amtsantritt eine Menge Baustellen zu bearbeiten - der Schuldenberg machte ihm zu schaffen und die Murdoch-Affäre, mit plündernden Brandstiftern musste er sich plagen und mit Parteifreunden, die ihm die Gefolgschaft verweigerten. Um ein Haar hätte er bei seinem Überlebenskampf an vielen Fronten ein Problem übersehen: Schottland.
Nach ihrem überraschenden Wahlsieg 2011 mit absoluter Mehrheit im Edinburgher Regionalparlament hat die Schottische Nationalpartei (SNP) die Gelegenheit beim Schopf gepackt und das gemacht, wofür sie einst einmal gegründet worden war: die Unabhängigkeit des seit mehr als 300 Jahren an England angegliederten Schottlands zur Debatte zu stellen. In einem Jahr, am 18. September 2014, stimmen die Schotten darüber ab, ob sie sich vom Staatsgebilde des Vereinigten Königreichs loslösen wollen. Neben dem Streit um die #link;http://www.stern.de/politik/ausland/madrid-erteilt-unabhaengigkeitsreferendum-in-katalonien-absage-2057757.html;Unabhängigkeit der Katalanen von Spanien# ist es die zweite große Separatismusdebatte in der EU.
"Braveheart-Mentalität"
Viele Schotten sind genervt von den Engländern. Von Edinburgh bis in die Highlands mache sich vor allem unter Männern eine "Braveheart-Mentalität" breit, meint die britische Staatssekretärin für Arbeit, Jo Swinson. Die SNP hatte laut Umfragen aus dem Stand rund ein Drittel der Schotten hinter sich gebracht. Danach ging es aber schleppend weiter. Derzeit stehen die Separatisten bei 37 Prozent. Gerade noch rechtzeitig baute Cameron im vergangenen Jahr eine All-Parteien-Front auf.
Die Nationalisten hatten zu diesem Zeitpunkt längst ihre Geschütze durchgeladen. Der Parteivorsitzende der SNP, Alexander Salmond, sieht eine historische Chance, die enge Bindung zum ungeliebten England aufzulösen. Ein Ziel hat er schon erreicht. Premierminister David Cameron muss mit ihm auf Augenhöhe diskutieren. Ganz nebenbei muss London noch ein paar Befugnisse nach Edinburgh abgeben - ganz so, wie Cameron es selbst aus Brüssel einfordert. Neben dem Nationalstolz sind für die Schotten vor allem zwei Argumente wichtig: Ökonomische Unabhängigkeit und Verteidigung.
In der schottischen Verfassung soll beispielsweise festgeschrieben werden, dass in Schottland keine Massenvernichtungswaffen stationiert werden dürfen. Derzeit hat die britische Armee ihr gesamtes atomares Abschreckungspotenzial auf U-Booten in Schottland stationiert. Für London wäre es ein Milliarden Pfund teures Horrorszenario, müssten diese abgezogen werden. London will auch deshalb auf Gedeih und Verderb die Einheit der britischen Union verteidigen.
Ein langer Wahlkampf
Das könnte für Cameron allerdings schwierig werden: Seine Konservative Partei hat in Schottland praktisch keinen Einfluss. Dass mit dem ehemaligen Finanzminister Alistair Darling ein Labour-Mann die Gegenkampagne leitet, ist deshalb kein Zufall. Labour, zweite politische Kraft in Schottland hinter der SNP, hat auch ein fundamentales Eigeninteresse am Erhalt der britischen Einheit. Fielen die Wähler aus der Hochburg Schottland für die Sozialdemokraten weg, wäre ihre Gesamtposition im Parlament in London deutlich geschwächt.
Schon ein Jahr vor der Abstimmung liefern sich beide Seiten einen aufreibenden Wahlkampf. London muss dabei einen Argumentationsspagat vollziehen. Wenn die Schotten im Vier-Nationen-Verbund mit England, Nordirland und Wales besser dran sein sollen - warum lässt man sie dann nicht ziehen und spart sich die nach Schottland fließenden Subventionen? Die britische Handelskammer ermittelte vor kurzem, dass es 90 Prozent der Unternehmen völlig egal ist, ob sie ihre Steuern künftig in Edinburgh oder in London bezahlen.
Die Befürworter der Unabhängigkeit haben aber ebenfalls ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dass das kleine Schottland mit seinen sechs Millionen Einwohnern "besser dran" sein soll, wenn es sich vom Klotz des Königreichs loseist - dafür gibt es bestenfalls halbwegs schlüssige Annahmen, keinesfalls aber Beweise. "Zypern steht vor der Staatspleite, weil das Bankensystem siebenmal so groß ist wie die Wirtschaftsleistung", sagte ein britischer Diplomat in London. "In Schottland wäre es dann zwölfmal so groß."