Drei Gruppen von Geiseln hat die Hamas während der Feuerpause im Krieg mit Israel bis Montagmorgen gegen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen ausgetauscht. Insgesamt wurden damit seit vergangenen Freitag 58 von den Terroristen am 7. Oktober verschleppte Personen freigelassen. Die Heimgekehrten werden weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmt, viele von ihnen befinden sich noch in Krankenhäusern. Auch Informationen darüber, wo und wie sie festgehalten wurden, werden geheim gehalten. Dennoch sickern immer mehr Einzelheiten über die wochenlange Geiselhaft der Opfer durch.
Vor allem Familienmitglieder der Freigelassenen haben von den Erlebnissen ihrer Angehörigen berichtet. Demnach scheinen die meisten der Geiseln die rund fünfzig Tage in der Gewalt der Hamas zumindest körperlich in stabiler Verfassung überstanden zu haben. Die Schilderungen ihrer Verwandten lassen aber darauf schließen, dass sie alle während ihrer Gefangenschaft Gewicht verloren haben und teilweise von der Außenwelt völlig abgeschnitten waren, wie mehrere Medien berichten.
Hamas hielt Geiseln offenbar im Untergrund fest
"Sie haben gegessen, aber nicht regelmäßig und nicht die ganze Zeit", zitieren die israelische Zeitung "Yedioth Achronot" und die "New York Times" "Merav Raviv, eine Cousine von Keren Munder (54), die am Freitag zusammen mit ihrem neunjährigen Sohn Ohad Munder-Zichri und ihrer 78 Jahre alten Mutter Ruth Munder freigelassen wurde. "Sie haben viel Reis und Brot gegessen." An einigen Tagen habe es nur Pita-Brot (Fladenbrot) gegeben, und wenn es auch das nicht mehr gab, dann hätten die Festgehaltenen nur eine kleine Portion Reis erhalten.
Die Menschen hätten sich die Mahlzeiten selbst zubereitet, berichtete die Cousine. "Es gab aber auch Tage, an denen es nichts zu essen gab." Keren habe ihr erzählt, dass sowohl sie als auch ihre Mutter etwa sechs bis acht Kilogramm abgenommen hätten. Die Munders hätten in einer Art Empfangsraum auf improvisierten Bänken geschlafen, die sie aus drei zusammengeschobenen Stühlen gebaut hatten. "Und manchmal mussten die Verschleppten eineinhalb Stunden warten, bis sie zur Toilette durften."
Einige der Geiseln wurden offenbar permanent im Untergrund festgehalten. Die 72-jährige Adina Moshe musste sich laut ihrem Neffen Eyal Nouri nach ihrer Freilassung erst "an das Sonnenlicht gewöhnen", da sie es wochenlang nicht gesehen hatte. "Sie war in völliger Dunkelheit", sagte Nouri nach Angaben der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). "Sie ging mit geschlossenen Augen, weil sie sich in einem Tunnel befand. Sie war nicht an das Tageslicht gewöhnt. Und während ihrer Gefangenschaft war sie [...] von der Außenwelt abgeschnitten."
Seine Tante habe bis zum letzten Moment nicht gewusst, dass sie freigelassen werden würde, erzählt Nouri. "Bis sie das Rote Kreuz sah. Das war der Moment, in dem sie merkte: 'Okay, diese schrecklichen sieben Wochen sind vorbei'."
"Sie wusste nicht, dass Papa ermordet worden war"
Auch andere Geiseln bekamen von den Ereignissen in der Außenwelt nichts mit. Hannah Katzir, deren Ehemann Rami ermordet wurde und deren Sohn Elad ebenfalls von der Hamas verschleppt wurde, erfuhr erst nach ihrer Befreiung vom Schicksal ihrer Angehörigen. "Sobald sie ankam, fragte sie: 'Wo ist Papa?'", erzählte Katzirs Tochter Carmit Palti-Katzir der Zeitung "Yedioth Achronot". "Sie wusste nicht, dass Papa ermordet worden war. Wir haben es ihr gesagt." Dann habe sie wissen wollen: "Wo ist Elad? Warum ist er nicht hier?". "Wir sagten ihr, dass er entführt wurde."
Zwischen Bangen und Erleichterung: So wurden die Geiseln bei ihrer Rückkehr empfangen

Auch der 17 Jahre alten Noam Or und seine 13-jährige Schwester Alma, die am späten Samstag freigelassen wurden, wussten laut ihrem Onkel bis zu ihrer Freilassung nicht, dass ihre Mutter, Yonat Or, bei den Terroranschlägen ermordet wurde. "Sie haben einige schwierige Geschichten darüber zu erzählen, wie sie gefangen genommen und behandelt wurden", sagte ihr Onkel Ahal Besorai am Sonntag dem britischen Sender BBC. Die Geschwister seien zusammen mit ihrem Vater Dror, von dem man annimmt, dass er immer noch im Gazastreifen festgehalten wird, als Geiseln genommen, aber getrennt von im festgehalten worden. Sie seien derzeit in einem Krankenhaus untergebracht und er habe per Videoanruf mit ihnen gesprochen.
Yair Rotem, Onkel der zwölfjährigen Hila Rotem-Shoshani, sagte, er müsse seine am Sonntag freigelassene Nichte immer wieder daran erinnern, dass sie nicht zu flüstern brauche. "Sie haben ihnen immer gesagt, sie sollen flüstern und leise sein, also habe ich ihr immer wieder gesagt, dass sie jetzt lauter sprechen kann", zitiert AP den Onkel. In ihrer ersten Nacht zurück in Israel habe Hila gut geschlafen und Appetit habe sie auch.
25-Jähriger konnte vorübergehend fliehen
Eine der freigelassenen Geiseln konnte nach Angaben ihrer Familie während der Gefangenschaft zeitweise fliehen, wurde dann aber erneut gefasst. In dem Gebäude, in dem der 25-Jährige festgehalten worden sei, habe es eine Explosion gegeben, und der junge Mann habe entkommen können, erzählte seine Tante am Montag dem israelischen Fernsehsender Kanal B. Er sei dann mehrere Tage im Gazastreifen herumgeirrt und habe versucht, zur Grenze zu kommen. Aber palästinensische Zivilisten hätten ihn gefasst und wieder an die Terroristen übergeben. "Er hat versucht, zur Grenze zu kommen, aber ich glaube, weil er keine Mittel hatte zu verstehen, wo er ist, hat er da draußen Probleme gekriegt."

Das bisher umfassendste Bild von den Zuständen in der Hamas-Gefangenschaft stammt von der 85-jährigen Yocheved Lipschitz, eine Geisel, die bereits vor dem aktuellen Waffenstillstand freigelassen wurde. Sie sei in Tunneln gefangen gehalten worden, die sich unter Gaza "wie ein Spinnennetz" erstreckten, erzählte Lipschitz nach Angaben der Associated Press. Die Entführer "sagten uns, sie seien Menschen, die an den Koran glauben und würden uns nichts tun".
Die Gefangenen seien gut behandelt worden und hätten medizinische Versorgung erhalten, auch Medikamente, erklärte Lipschitz. Die Wachen hätten auch dafür gesorgt, dass sie unter sauberen Bedingungen lebten. Die Geiseln hätten eine Mahlzeit pro Tag erhalten, die aus Käse, Gurken und Fladenbrot bestand. Ihre Entführer hätten dasselbe gegessen.
Quellen: "New York Times", "Yedioth Achronot", Associated Press, Fox News, DPA