Herr Bundeskanzler, Sie galten als große Hoffnung, als Sie vor einem Jahr als Quereinsteiger das Amt übernommen haben. Wann wurde Ihnen klar, dass etwas schief läuft?
Ich bin sehr geprägt durch meine beruflichen und persönlichen Erfahrungen: Ich halte Verlässlichkeit und Verantwortung für wichtige Prinzipien. Das war der Grund, weshalb wir die Zusammenarbeit in der Koalition aufrechterhalten wollten, auch nachdem Neuwahlen feststanden. Es ging uns darum, sinnvolle Dinge umzusetzen. Das hört sich nach einer Ausrede an, aber das ist sehr schwierig, wenn Du einen Partner hast, der 15 Monate Obstruktion betreibt, und kein Interesse am Regierungserfolg hat. Ich kam mir vor, als wären wir im eigenen Ethos gefangen. Ich würde es dennoch wieder so machen, auch wenn es nicht zu unserem Vorteil gereicht.
Sie mussten in den vergangenen Wochen gegen einen Skandal ihres Wahlkampfmanagers und eine beispiellose Schlammschlacht ankämpfen. Haben Sie zwischenzeitlich die Hoffnung verloren?
Nein. Egal wo ich hinkomme, herrscht großer Zuspruch, die Menschen wollen Selfies machen, klopfen mir auf die Schulter. Ich bekomme enorm viel zurück. Der Wahlkampf findet leider sehr stark in den Medien statt, da zählt die schnelle Pointe. Da kriegt man viele Dinge nicht vermittelt. Unsere Geschichte spielt sich nicht in schwarz-weiß ab, sondern in bunteren Farben.
Eine dieser Geschichten handelt vom "österreichischen Traum", der besagt, dass jeder die Chancen zum Aufstieg haben soll. Sie haben es aus einer Arbeiterfamilie in Wien-Simmering zum erfolgreichen Manager und Bundeskanzler geschafft. Funktioniert diese Erzählung nicht mehr bei den Österreichern?
Ich glaube und hoffe sehr, dass diese Idee Bestand hat. Aber wenn Sie den österreichischen Wahlkampf analysieren, werden Sie feststellen, dass es neben uns programmatisch fast nichts gibt. Die Grünen und die liberale Partei NEOs nehme ich davon aus. Aber FPÖ und ÖVP vermeiden jegliche politische Auseinandersetzung.
Es gab 41 Duelle im Fernsehen, da wurden doch auch Inhalte diskutiert.
Die beiden Parteien haben versucht, ein Thema in den Mittelpunkt zu stellen, das wie kein anderes in der Lage ist, Emotionen zu schüren: das sind die Flüchtlinge. Sie müssen sich vorstellen, als müssten sie in Deutschland das Flüchtlingsthema ausschließlich mit gleich mehreren Seehofers und Gaulands diskutieren. Dazu haben sie eine Medienszene, die das ganze befeuert und zu einem Topthema macht. Obwohl seit ich Kanzler bin die Zahl der Migranten ständig zurückgeht, der Grenzschutz besser geworden ist, die Zusammenarbeit mit Italien funktioniert. Was vernünftige Politik lösen kann, haben wir getan und dennoch gibt es diese Zuspitzung und Angstmache. Das ist etwas, das am meisten bei den Leuten zieht.
Den größten Schaden hat die SPÖ durch den Skandal um den Wahlkampfberater Tal Silberstein erlitten, der verhaftet wurde und für völlig inakzeptable Propagandaseiten gesorgt hat. Sie haben glaubhaft versichert, davon nichts gewusst zu haben, aber geben Sie sich dennoch die Schuld, auf falsche Leute gesetzt zu haben?
In einer Wahlkampagne muss man viel delegieren, als Spitzenkandidat bist du draußen, gibst Interviews, bist ständig auf Achse. Als ich diesen Mann ausgesucht habe, konnte ich nicht ahnen, wohin das führt. Wobei: wir reden über zwei Facebookseiten, während sukzessive unser Wahlkampf zerstört wurde, es massive Leaks gegeben hat, Daten rausgeflossen sind. Das wird die Gerichte noch lange nach dem Wahltag beschäftigen.
Wird diese Erfahrung dazu führen, in Zukunft wieder klassischere Wahlkämpfe zu führen und nicht auf Spindoctors zu setzen, die offenbar keine Moral kennen?
Ich bin davon überzeugt: Wenn wir eine ganz normale Kampagne mit unseren Leuten gemacht hätten, so fade wie nur möglich, würden wir sogar ein noch besseres Ergebnis machen.
Daraus ist zu entnehmen, dass Sie sich keine Chancen mehr für das Kanzleramt machen.
Nein! Es war von Anfang an klar, dass es ein sehr knappes Rennen wird. Aber ich bin gerade auf Grund der letzten Tage zuversichtlich, dass wir gewinnen.
Werden Sie auch in der Oppositionsrolle in der Politik bleiben?
Da drüben steht meine Frau, die können sie fragen: Ich habe ihr versprochen, zehn Jahre in der Politik zu bleiben. Und das wird auch so sein.