Dioxin ist für viele gleich bedeutend mit »Supergift«. Zu der Stoffgruppe der Dioxine gehören die giftigsten von Menschen hergestellten Verbindungen. Es gibt insgesamt 75 Dioxinarten und 135 der mit dem Dioxin eng verwandten Furane. Es handelt sich dabei um eine Spielart der chlorierten Kohlenwasserstoffe, wobei die Menge des Chlors und dessen Sitz im Molekül für die außerordentliche Giftigkeit verantwortlich sind. Das als Seveso-Gift bekannte TCDD (Tetrachlordibenzo-p-dioxin) gilt als gefährlichster Stoff dieser Gruppe.
Die 210 Dioxin- und Furan-Arten entstehen vor allem als unerwünschte Nebenprodukte unter bestimmten Bedingungen bei der Herstellung von Holzschutz-, Unkrautvernichtungs- und Insektenvertilgungsmitteln oder bei der Verbrennung von chlorhaltigen Kunststoffen wie PVC. Dioxinen kann der Mensch in Industrieländern nicht entgehen. Sie werden vor allem über die Nahrung aufgenommen und reichern sich im Fettgewebe des Körpers an. Dioxine werden nicht nur in Stahlwerken, bei der Müllverbrennung oder in Abgasen von Autos freigesetzt. Auch im Alltagsleben ist der Kontakt mit Dioxinen nahezu unvermeidlich, sie finden sich beispielsweise im Rauch einer Zigarette. Dioxine sind sehr dauerhafte chemische Verbindungen, die äußerst hitzebeständig sind.
Giftige Chlorverbindungen können beim Menschen die sogenannte Chlorakne hervorrufen. Dabei handelt es sich um entzündliche Hautveränderungen, die entstehen, wenn eingeatmete Salzsäure aus den Hautporen ausgeschieden wird und diese verätzt. Bei niedriger Dosis und kurzer Einwirkung der Chlorgifte wie bei dem Unfall in Seveso, der 1976 die Öffentlichkeit wachrüttelte, bildet sich die Chlorakne nach kurzer Zeit zurück. Der Heilungsprozess kann jedoch langwierig sein. Langfristig wirken viele Dioxine Krebs erregend. Im Tierversuch hat sich herausgestellt, dass Dioxin, vor allem TCDD, Missbildungen hervorrufen kann.
Überhitzungsreaktion war Auslöser in Seveso
Eine Dioxinwolke aus feinstem Staub war es damals, die am 10. Juli 1976 aus der zum Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-La Roche gehörenden Firma Icmesa entwich. Während des Herstellungsprozesses von Trichlorphenol kam es zu einer Überhitzungsreaktion, die die Scheibe eines Sicherheitsventils durch Überdruck bersten ließ. Die hochgiftige Substanz gelangte über den Schornstein in die Umwelt und verseuchte hunderte Hektar Land auf Jahre.
Die Giftgaswolke verteilte sich über größere Gebiete der zwischen Mailand und Como gelegenen Gemeinden Seveso, Meda, Cesano Maderno und Desio. Das erregte zunächst kein größeres Aufsehen. Doch als einige Tage später Haustiere starben, Pflanzen verdorrten und Menschen an Hautverätzungen und Chlorakne litten, alarmierte dies Bewohner und Behörden.
Erst mit tagelanger Verspätung klärte die Leitung der Chemiefabrik den Vorfall auf. Insgesamt wurden 736 Menschen zum Schutz vor dem Gift aus einer 115 Hektar großen Gefahrenzone evakuiert. Nach dem Verenden von 3.300 Tieren wurden im verseuchten Gebiet bis 1978 insgesamt 77.000 Tiere notgeschlachtet, um das Eindringen von TCDD in die Nahrungskette zu verhindern. Ärzte rieten Frauen zur Einnahme empfängnisverhütender Mittel, da Dioxine Missbildungen von Föten verursachen können. Einige Schwangere entschlossen sich zum Schwangerschaftsabbruch.
Die Katastrophe von Seveso beschäftigte Hoffmann-La Roche lange Zeit. Der Konzern wandte nach eigenen Angaben mehr als 300 Millionen Franken (385 Millionen Mark/200 Millionen Euro) unter anderem für Entschädigungszahlungen, Prozesskosten und das Abtragen verseuchter Erde auf. Zwei Manager wurden von einem italienischen Gericht zu zwei beziehungsweise eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Mehr als 7.000 zivilrechtliche Klagen konnten außergerichtlich beigelegt werden. Rund 200.000 Kubikmeter dioxinverseuchte Erde wurden auf einer 46 Hektar großen Fläche abgeräumt und in einem Sonderlager deponiert.