Die Leichen liegen in Moscheen, auf der Straße, auf den Feldern. Sie sind stumme Zeugen des Kampfes in der Kleinstadt Darija - ein Kampf, in dem es keine Gnade gab, weder für unbeteiligte Zivilisten noch für Gefangene. Aus den Videoaufnahmen und Berichten, die am Tag nach dem Ende der Militäroffensive in dem Vorort von Damaskus an die Öffentlichkeit dringen, lässt sich ungefähr rekonstruieren, was hier geschehen ist.
Nachdem die Zahl der bewaffneten Aufständischen in dem südlichen Vorort zugenommen hatte, beschoss die Armee den Ort mit Artillerie. Darija liegt auf der Nachschublinie der in der Hauptstadt kämpfenden Rebellen. Hubschrauber stiegen auf, um die Regimegegner anzugreifen. Als die schlechter bewaffneten Revolutionäre aufgeben mussten, drangen die Truppen von Präsident Baschar al-Assad in die Stadt ein und erschossen Dutzende Menschen, hauptsächlich junge Männer.
Dass es sich bei einigen der Toten um mutmaßliche Sympathisanten des Regimes handelt, die von den Revolutionsbrigaden getötet wurden, lässt sich jedoch nicht ausschließen. Denn der seit 17 Monaten andauernde Konflikt hat aufseiten der Aufständischen eine Kultur der Rache entstehen lassen.
Syrische Allianz fordert Durchsetzung einer Flugverbotszone
Und im Gegensatz zu den Deserteuren, die sich der Freien Syrischen Armee angeschlossen haben, kämpfen viele der bewaffneten Freiwilligen unter dem Banner des sunnitischen Islam. Als ihre Feinde sehen sie die vorwiegend aus Angehörigen der alawitischen Minderheit bestehende Führungsclique und deren Miliz. Sie entführen und töten zwar auch Sunniten, wenn diese in ihren Augen Handlanger des Regimes sind. Doch deutet vieles darauf hin, dass sich einige der Anti-Assad-Kämpfer mit der Frage nach der individuellen Schuld ihres Gegenüber noch weniger aufhalten, wenn ihnen ein Alawit in die Hände fällt.
"Wir fordern ein sofortiges Eingreifen der internationalen Gemeinschaft zum Schutz des syrischen Volkes", heißt es in einer aktuellen Erklärung der "Säkularen Demokratischen Syrischen Allianz". Unter "Eingreifen" verstehen sie die Durchsetzung einer Flugverbotszone mit Luftangriffen, so wie es die Nato in Libyen vorgemacht hat. Die nicht-religiösen Regimegegner glauben: "Schweigen und Stillhalten werden zu noch mehr Chaos und Gewalt zwischen den verschiedenen Konfessionen führen."
Auch christliche Minderheit bald Teil des blutigen Konflikts?
Unter den Oberhäuptern der christlichen Kirchen in Syrien wächst die Angst, dass auch die Angehörigen der christlichen Minderheit demnächst in den blutigen Konflikt hineingezogen werden - als Kämpfer oder als Opfer militanter Islamisten. "Wir lehnen jede Form von religiösem Extremismus ab und jede Art von Drohung, die sich gegen eine der verschiedenen Gruppen in unserer Gesellschaft richtet", erklären die Kirchenoberen der umkämpften Provinz Aleppo. Sie hatten sich nach Angaben von Aktivisten am vergangenen Freitag zu einer Krisensitzung versammelt.
Doch die Stimmen der Unbewaffneten, die nach einem Ende der Gewalt rufen, dringen angesichts der Gräueltaten des Regimes und der Radikalisierung der Revolutionsbewegung kaum noch zu den Menschen durch, die seit Monaten kämpfen oder voller Angst in ihren Häusern ausharren. "Wir haben genug geopfert, irgendwann muss auch Schluss sein", ruft eine Syrerin verbittert und stapft durch ihr zur Hälfte zerstörtes Haus. Die junge Mutter aus der Provinz Aleppo sympathisiert mit den Zielen des Aufstands gegen Assad. Doch nachdem sie ihren Großonkel und ihre achtjährige Großnichte Hanan verloren hat, will sie nur noch, dass der Krieg aufhört.
Sie weiß, dass ihre Worte bei den lokalen Kommandeuren der Revolutionsbrigaden nicht gut ankommen. Doch sie sieht nur ihre Tante Halima, die weinend im Innenhof der Ruine steht, die einmal ihr Heim war.