Ingrid Betancourt "Heute weine ich vor Freude"

Frankreich drückt Ingrid Betancourt an sein Herz: Nach sechs Jahren Gefangenschaft im kolumbianischen Dschungel und zwei Tage nach ihrer Befreiung aus den Händen der Farc-Rebellen traf die Politikerin in Paris ein. Die Geiselhaft sei eine lange Folge von "Folter, Demütigung und Erniedrigung" gewesen, sagte die 46-Jährige.

Die franko-kolumbianische Ex-Geisel Ingrid Betancourt ist in Frankreich eingetroffen. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und seine Frau Carla nahmen Betancourt auf einem Militärflughafen bei Paris in Empfang. "Ich habe fast sieben Jahre lang auf diesen Moment gewartet", sagte Betancourt mit belegter Stimme kurz nach ihrer Ankunft. "Ich habe so viel aus Schmerz und Erniedrigung geweint. Heute weine ich aus Freude." Betancourt bedankte sich bei der französischen Regierung, die einen gewaltsamen Militäreinsatz verhindert habe. "Sie haben mein Leben gerettet", sagte sie.

Sarkozy nahm Betancourt herzlich in den Arm. "Ganz Frankreich freut sich, dass Sie da sind. Wir sind beeindruckt von Ihrem Lächeln, Ihrer Kraft", sagte er. Dass sie nach über sechs Jahren in Geiselhaft wieder in Freiheit sei, sei auch eine Botschaft an all ihre Leidensgenossen in der Welt. "Am Ende des Tunnels ist Licht", sagte Sarkozy.

Die 46-Jährige wurde von ihren beiden Kindern Melanie und Lorenzo sowie vom französischen Außenminister Bernard Kouchner begleitet. Anschließend ist ein Empfang im Élysée-Palast geplant. Vor dem Élysée versammelten sich am Nachmittag bereits mehrere hundert Unterstützer. Am Samstag soll die Ex-Geisel im französischen Militärkrankenhaus von Spezialisten untersucht werden. Vor wenigen Wochen hatte es geheißen, Betancourt sei sterbenskrank. Kurz nach ihrer Befreiung wirkte sie abgemagert, aber überraschend stabil.

Betancourt will einige Tage in Frankreich bleiben und wird in der kommenden Woche auch von Papst Benedikt XVI. empfangen.

In ihren ersten Interviews berichtete Betancourt von grausigen Details aus ihrer Geiselhaft. Sie sei etwa drei Jahre lang rund um die Uhr angekettet gewesen, so Betancourt in einem ausgestrahlten Interview des Senders Europe 1. Die Geiselhaft sei eine lange Folge von "Folter, Demütigung und Erniedrigung" gewesen, sagte die 46-Jährige. "Es ist schwierig, schön zu sein, wenn man am Hals angekettet ist. Man muss den Kopf senken und sein Schicksal ertragen, ohne dass die Erniedrigung soweit geht, dass man vergisst, wer man ist", fügte sie hinzu.

Zuerst habe sie nicht über ihre Erfahrungen im kolumbianischen Dschungel reden wollen. "Ich habe mir gesagt, dass diese schlimmen Details der Öffentlichkeit erspart bleiben sollten", sagte sie. Ihr Glaube habe ihr geholfen, sagte die Katholikin.

Unterdessen erklärte das französische Außenministerium, dass Frankreich für die Befreiung der Geisel Ingrid Betancourt kein Lösegeld gezahlt habe. "Die Antwort lautet: Nein", sagte Eric Chevallier, Sprecher des Außenministeriums. Frankreich sei über die Militäraktion ohnehin nicht informiert gewesen. "Das ist auch völlig normal", betonte der Sprecher. "Je weniger bei so einer Aktion eingeweiht sind, desto besser." Nach einem Bericht des Schweizer Senders Radio Suisse Romande sollen für die Freilassung Betancourts bis zu 20 Millionen Dollar Lösegeld gezahlt worden sein.

Die französische Regierung habe in den vergangenen Monaten engen Kontakt mit der kolumbianischen Regierung gehalten und die verschiedenen Möglichkeiten einer Befreiung erörtert, sagte Chevallier. "Wir hatten Sorge, dass eine Militäraktion den Geiseln schaden könnte", fügte er hinzu. "Wir sind überhaupt nicht verärgert (dass wir nicht informiert waren), sondern sehr zufrieden, dass Betancourt frei ist."

AP · DPA · Reuters
DPA/AP/Reuters