Interview Asma Jahangir "Bhutto muss für Ordnung ohne Musharraf kämpfen"

Von Nils Rosemann, Islamabad
Seit Jahrzehnten kämpft Asma Jahangir in Pakistan gegen Menschenrechtsverletzungen; mit Ausrufung des Notstands setzte Pervez Musharraf sie für 90 Tage unter Hausarrest. Im stern.de-Interview fordert die Anwältin einen politischen Aufbruch ohne den Präsidenten.

Asman Jilani Jahangir wurde 1952 in Lahore (Pakistan) als Tochter des Oberst Malik Jilani geboren. Ihr Vater wurde im Ruhestand zum politischen Aktivisten und kämpfte gegen die verschiedenen Militärdiktaturen. Einen Groβteil seines Lebens verbrachte er so in Gefängnissen und Hausarrest. Mit 18 Jahren reichte Asma Jahangir ihre erste Petition zur Freilassung politischer Gefangener ein. 1976, dann 26jährig schloss sie ihr Jurasstudium ab und gründete 1980 mit ihrer ein Jahr jüngeren Schwester Hina Jilani und weiteren Kolleginnen die erste weibliche Anwaltskanzlei Pakistans.

In ihrer Arbeit setzte sich Asma für vergewaltigte Frauen, diskriminierte Minderheiten und gegen Menschenrechtsverletzungen ein. Ihr Engagement führt in steter Regelmäβigkeit zu Morddrohungen. Eine Mandantin, die sich von ihrem Mann scheiden lassen wollte, wurde zur Herstellung der so genannten Familienehre von deren leiblicher Mutter vor Asma's Augen niedergeschossen. Als sie 2005 in Lahore an einem Marathon für Freiheit und Menschenrechte teilnahm, der von der Regierung verboten wurde, weil an ihm Frauen und Männer gemeinsam teilnehmen sollten, wurde sie bis auf die Unterwäsche entkleidet und öffentlich geschlagen.

Asma Jahangir ist Gründungsmitglied des Frauen Aktionsforums und der unabhängigen Menschenrechtskommission Pakistans. Sie war bereits Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zu außergerichtlichen Hinrichtungen und ist derzeit Sonderberichterstatterin für Religionsfreiheit. Mit der Ausrufung des Notstandes durch Präsident General Pervez Musharraf am 3. November 2007 wurde Asma Jahangir unter einen 90tägigen Hausarrest gestellt. Ihr wird vorgeworfen, sie habe Treffen organisiert, die die Beteiligten zum Aufruhr gegen die von der Regierung gewährleistete Ordnung und Sicherheit aufrufe. "Ihre Aktivitäten werden als Vorurteile gegen die öffentliche Sicherheit und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gewertet", heißt es in dem von der Provinzregierung des Punjabs unterzeichneten Arrestbefehls.

Frau Jahangir, seit einer Woche stehen sie unter Hausarrest. Wie geht es ihnen und den mit ihnen arrestierten Vorstandskollegen der Menschenrechtskommission Pakistans?

Meine Kollegen sind wieder frei. Auch 55 Mitglieder und Aktivisten der Menschenrechtskommission sind wieder auf freiem Fuβ. Lediglich ich bin noch im eigenen Haus inhaftiert. Eine Gnade, wenn man meine Situation mit den über 1.000 festgenommenen Anwälten vergleicht.

Warum hat General Musharraf sein Regime soviel Angst vor ihnen?

Das kann ich ja nur vermuten, aber ich glaube der Grund ist, dass ich sowohl Anwältin und Menschenrechtsaktivistin bin. Sie haben Angst, mich zu entlassen, weil sie mir die Fähigkeit zuschreiben, dass ich Unterstützer mobilisiere und sie erneut verärgere.

Musharraf sprach in seiner Fernsehansprache Störenfrieden, die das Land destabilisieren sie sagen selbst, sie verärgern den Machtapparat weil sie für eine freie Presse, unabhängige Justiz und Achtung der Menschenrechte einstehen. Wie kommt es, dass diese Grundpfeiler einer Demokratie in Pakistan als deren Gefahr angesehen werden?

Der Notstandsbefehl Musharrafs von vor einer Woche ist identisch mit dem von 1999 als er sich an die Macht putschte. Heute wie damals handelt er nicht als Präsident, sondern als Oberbefehlshaber der Armee. Die acht Jahre seiner "gelenkten Demokratie" dazwischen sind doch nur ein Deckmantel für seine tatsächliche Agenda gewesen: Machterhalt und Ausdehnung des Einflusses der Armee und Beseitigung demokratischer Strukturen. Musharraf zeigt sein wahres, brutales Gesicht.

Ein Gesicht, das international nicht immer so wahrgenommen wurde und vor allem von seinen Verbündeten im internationalen Antiterrorkampf anders gesehen wird.

Heute kann niemand mehr behaupten, Musharraf sei ein demokratischer Partner. Er zeigt, dass er die Macht hat und bereit ist, sie für seine Ziele zu nutzen. Er glaubt, nun kann er die Macht für immer behalten. Das glaubt jeder Diktator, aber die Geschichte gibt Hoffnung: Kein Diktator konnte seine Macht ein Leben lang behalten.

Musharraf behauptet von sich und seinen Zielen, sie seien im Interesse Pakistans und der Weltgemeinschaft.

Musharraf rechtfertigt seine Handlungen mit seinem eigenen Versagen. Pakistan hat in seiner gesamten Geschichte noch keine so unfähige Regierung gesehen. Der heutige Machtapparat ist inkompetent und unzuverlässig. Weder konnten internationale Verpflichtungen eingehalten, noch nationale Ziele erfüllt werden. Sehen sie die Armut, Gewalt und den Extremismus im Land an. Es ist doch unglaubwürdig, mit den Symptomen des eigenen Versagens heute seinen Machtanspruch zu begründen.

Und wer hat ihrer Meinung nach einen Anspruch auf die Macht?

Die Institutionen und Bewegungen, die bereit sind, die jetzige Situation zu beenden, die Verfassung wieder herzustellen, Pressefreiheit zu gewährleisten und eine unabhängige Justiz respektieren.

Sie sprechen von den Anwälten?

Ja, es begann am Montag mit den Anwälten, am Dienstag kamen die Journalisten, Donnerstag versammelten sich die Studenten und seit Freitag sind auch die Parteien auf den Strassen. Es beginnt langsam zu kochen. Die Gefängnisse sind bereits überfüllt. Natürlich ist das die Intelligenzija, aber nur die kann sich die Konfrontation mit den Sicherheitskräften leisten, kann auf ein Netzwerk von Unterstützern zurückgreifen und gerät nicht in Vergessenheit, wenn sie inhaftiert ist.

Aber ohne das Mobilisationspotential der Parteien bleiben die Strassen weiterhin leer?

Die Zivilgesellschaft formiert sich, ist aber zu schwach. Die Parteien, allen voran die von Benazir Bhutto geführte Volkspartei, müssen für eine neue Ordnung ohne Musharraf kämpfen. Andere Parteien, wie die von Nawaz Sharif geführte Fraktion der Muslimliga, haben schon ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert.

Das würde einen Neubeginn mit bekannten Personen bedeuten, Personen die vor dem Notstand bereits zur Machtteilung mit Musharraf bereit waren.

Auch wenn die Menschenrechtssituation vor und nach dem Notstand die gleiche ist, sollten die Parteien jetzt Musharraf's wahre Ziele des uneingeschränkten Machterhalts erkannt haben. Selbst sein neues Versprechen den Notstand bald aufzuheben und Wahlen abzuhalten, dürfen nicht dazu führen, dass er einfach davon kommt. Der Neubeginn muss ein gesunder Neuanfang werden. Mit tatsächlich freien Medien und unabhängigen Richtern.

Neben den innenpolitischen Verhandlungen über Wahlen signalisiert Musharraf international, dass er nur er garantieren könne, dass die pakistanische Atombombe nicht in die Hände von Militanten und Taliban gerät.

Das Gegenteil ist der Fall. Weil Musharraf mit den Extremisten verhandelt und gemeinsame Sache macht hat er diese unter Kontrolle. Nicht weil er sei bekämpft. Im Gegenzug für Teilautonomie und ein Kalifat im Paschtunengürtel lassen die lokalen Taliban die Armee an der Grenze zu Afghanistan gewähren.