Josef Fritzl ist ein uneinsichtiger, schwer gestörter Sadist, der seine eigenen traumatischen Kindheitserfahrungen durch Rücksichtslosigkeit, Brutalität und Dominanz gegenüber Frauen kompensiert. So lässt sich ein psychiatrisches Gutachten über den Inzest-Vater von Amstetten zusammenfassen, aus dem die Zeitung "Österreich" ausführlich zitiert. Der Zeitung liegt angeblich der 130 Seiten lange Befund der Linzer Psychiaterin Adelheid Kastner vor, die den in Untersuchungshaft sitzenden Fritzl aufgrund von sechs Gesprächen im Auftrag des Landgerichts St. Pölten analysiert habe.
Demnach wuchs der heute 73-jährige Josef Fritzl in Amstetten in zerrütteten Verhältnissen ohne Vater auf. Seine Mutter war die einzige Bezugsperson des kleinen Josef. Doch sie habe ihn misshandelt und ständig im Stich gelassen, heißt es laut "Österreich" in dem Bericht. Aus dieser Erniedrigung heraus und der Wut auf die Mutter habe sich ein rücksichtsloser Dominanzanspruch gegenüber Frauen entwickelt, schreibt die Zeitung. Fritzl habe das Bedürfnis einen Menschen "ganz für sich zu besitzen" und eine "unzerstörbare und unlösbare Bindung" einzugehen, wird Gutachterin Kastner zitiert. Das Opfer dieser Sehnsucht des Josef Fritzl wurde seine eigene Tochter.
Fritzl ist voll zurechnungsfähig
Fritzl sitzt seit Ende April in Untersuchungshaft in St. Pölten. Er war festgenommen worden, nachdem bekannt geworden war, dass er seine heute 42-jährige Tochter 24 Jahre in einem Kellerverlies eingesperrt hatte. Fritzl hat gestanden, die Frau in dieser Zeit sexuell missbraucht zu haben. Sie brachte im Kerker unter dem Haus der Familie sieben Kinder zur Welt. Eines starb kurz nach der Geburt, die Leiche wurde von Fritzl verbrannt. Drei der Kinder wuchsen bei ihrer Großmutter, der Ehefrau von Josef Fritzl, auf. Die anderen drei mussten ebenfalls in dem Kellerverlies leben.
Nachdem das Gutachten nun vorliegt, will die Staatsanwaltschaft St. Pölten bis Anfang November die Anklage gegen Fritzl vorlegen, sagte ihr Sprecher Gerhard Sedlacek stern.de. Doch anders als bisher vorgesehen, werde der Prozess wohl erst im Frühjahr beginnen, sagte der Gerichtspräsident Kurt Leitzenberger.
Als sicher gilt, dass Fritzl wegen Entführung, Nötigung, Vergewaltigung und Inzucht angeklagt wird. Offen ist, ob ihm auch Sklaverei und der Mord an dem früh verstorbenen Baby angelastet wird. Die Psychiaterin attestierte ihm trotz seiner gestörten Persönlichkeit die volle Zurechnungsfähigkeit während der gesamten 24 Jahre. Ein für das Gerichtsverfahren entscheidender Punkt, denn damit ist Fritzl für seine Taten selbst verantwortlich und kann zur Rechenschaft gezogen werden. Ihm droht neben einer mehrjährigen Freiheitsstrafe auch die anschließende Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
Das Gutachten beschreibt Fritzl als eine gespaltene Persönlichkeit, die sich aber sehr wohl selber einschätzen kann. Er fühle sich "zerrissen", sagte Fritzl angeblich der Psychiaterin. Auf der einen Seite war Fritzl nach eigener Aussage auf ein gutbürgerliches Äußeres bedacht. So konnte er auch sein zweites Ich verbergen, dass dem Gutachten zu entnehmen ist. Denn Fritzl selber hat dem Befund zufolge von sich gesagt, er sei "wie ein Vulkan" und "habe festgestellt, dass er eine bösartige Ader habe" und eine "kaum mehr einbremsbare Flut an destruktiver Lava".
Dieser "Vulkan" brach wohl schon vor der Gefangennahme seiner Tochter im Jahr 1984 aus. Mit 32 Jahren soll Fritzl in die Wohnung einer Frau eingestiegen sein und sie vergewaltigt haben. Beinahe entschuldigend soll Fritzl zu der Psychiaterin gesagt haben: "Ich bin zur Vergewaltigung geboren – dafür habe ich doch relativ lange ausgehalten." Er habe, so zitiert "Österreich" den Inzest-Vater, auch "Ärgeres" machen können. "Aber vielleicht habe ich mich deswegen so in die Arbeit gestürzt. Vielleicht hat mich aber auch ein guter Kern abgehalten."
"Beim Sex nie ins Gesicht gesehen "
Die Art von Fritzl, seine Taten herunterzuspielen oder durch absurde Begründungen in einem anderen Licht darzustellen, zeigt sich auch, wenn er über die 24 Jahre spricht, in denen er seine Tochter in seinem Keller gefangen hielt. Der Psychiaterin Kastner soll Fritzl gesagt haben, die Gefangennahme von seiner Tochter diente der Absicht, endlich einen Menschen ganz für sich zu haben. Er habe sie jedoch auch eingesperrt, weil er sie vom Drogenkonsum habe abhalten wollen. Dabei habe er sich sogar fürsorglich gegenüber seinen Gefangenen verhalten, so Fritzl. Denn er habe seiner Tochter und ihren drei Kindern, die in den Kellerverliesen hausen mussten, "ein unter den gegebenen Umständen möglichst gutes Leben geboten". Schließlich, so Fritzl, habe er ihnen Schulsachen, Spielzeug und sogar Haustiere gebracht.
Selbst die Vergewaltigungen seiner Tochter haben für Fritzl durchaus positive Auswirkungen. "Österreich" zufolge sagte er der Psychiaterin: "Ich habe ihr ja nur so viele Kinder gemacht, damit sie immer bei mir bleibt, weil sie ja als sechsfache Mutter für andere Männer nicht mehr attraktiv ist." Fritzl wollte seiner Gutachterin anscheinend auch weismachen, dass er sich für die Vergewaltigung seiner Tochter geschämt habe. "Ich habe ihr beim Sex nie ins Gesicht gesehen."
Pychiaterin Kastner, die auch bei dem Prozess aussagen wird, wollte den Inhalt des Gutachtens nicht kommentieren. Die Veröffentlichung ihres Befundes könnte nun zusätzliche Brisanz in das ohnehin schon spektakuläre Verfahren gegen Fritzl bringen. Denn die österreichische Justiz kennt, ähnlich wie die USA, ein Jury-System. Acht Normalbürger, die zu Prozessbeginn ausgewählt werden, werden als Geschworene über das Schicksal von Fritzl entscheiden. Diese Personen könnten sich nun schon vor dem Prozess ein umfangreiches Bild von Fritzl machen. Deshalb zeigten sich sowohl Kastner als auch das Landgericht St. Pölten im Gespräch mit stern.de verärgert, dass der Befund an die Öffentlichkeit gedrungen ist. "Das ist uns unerklärlich und ist der Sache nicht zuträglich", sagte der Gerichtspräsident Leitzenberger. Zwar gibt Leitzenberger zu, dass es wohl kaum einen Bürger in Österreich gebe, der noch nichts von dem Fall Fritzl gehört habe. "Trotzdem befürchte ich nicht, dass die Veröffentlichung des Gutachtens Einfluss auf das Zustandekommen des Prozesses oder die Geschworenen haben wird."
Fritzl scheint trotz der drohenden Haftstrafe noch Hoffnungen auf ein Leben in Freiheit zu haben. Österreich zitiert Gutachterin Kastner: "Er ist guter Hoffnung, seinen Lebensabend mit seiner Frau verbringen zu können und argumentiert die Sinnhaftigkeit einer möglichst kurzen Haftstrafe mit dem Wunsch, durch seine Immobiliengeschäfte noch finanzielle Ressourcen für das künftige Auskommen seiner Familie einzufahren."