"Kriegszimmer" nennt Eti Elmakies den kleinen Raum mit den dicken Betonwänden, den sie und ihr Mann eigens zum Schutz gegen die Raketen aus dem Gazastreifen an ihr Haus angebaut haben. Die 31-jährige Mutter hat ihn mit Fernseher, Computer, Betten und Matratzen ausgestattet. "Wir verbringen hier alle zusammen die Nacht", sagt die schmale Frau mit den dunklen Haaren. Denn sonst müsste sie bei jedem Raketenalarm innerhalb von 15 Sekunden ihre drei Kinder aus den Betten zerren und in den Schutzraum bringen. "Dazu reicht die Zeit schon tagsüber kaum", sagt sie.
Der Himmel ist strahlend blau. Eti Elmakies hat sich auf die Treppenstufen ihres Hauses in die warme Wintersonne gesetzt. Nervös beobachtet sie ihren zehnjährigen Sohn, der ein ferngesteuertes Auto über den Asphalt flitzen lässt. "Nicht zu weit", ruft sie. Und bald darauf kreischt tatsächlich der Alarm los: "Alamstufe Rot", ruft eine Stimme aus dem wenige Meter entfernten Lautsprecher. Alle rennen ins Haus, zwei Minuten später ist alles vorbei: Das Geschoss ist außerhalb von Sderot eingeschlagen.
"Es klingt verrückt", sagt Elmakies. "Aber jetzt, wo die Militäroperation im Gange ist, fühle ich mich sicherer als vorher." Über 200 Geschosse hagelte es innerhalb einer Woche auf Sderot und andere Ortschaften diesseits des Grenzzauns, dann antwortete Israel mit Luftangriffen. Und am Samstag startete Verteidigungsminister Ehud Barak die Bodenoffensive - "endlich", wie Elmakies sagt. Barak ist jetzt ihr Held. Der Ex-General und Mastermind der Militäroffensive "versteht, was wir hier mitgemacht haben", sagt sie. "Ich bewundere ihn." Wie Eti Elmakies denken viele Israelis. In fünf Wochen werden sie ein neues Parlament wählen. Und immer mehr von ihnen wollen nun für Barak stimmen. Die Popularitätswerte des einst so unbeliebten Politikers schnellen in die Höhe. Fünf Parlamentssitze hat er in jüngsten Umfragen für seine Arbeitspartei dazu gewonnen. "Barak ist zurück", kommentiert die Zeitung "Haaretz". Und auch Außenministerin Zipi Livni von der Regierungspartei Kadima hat deutlich in der Wählergunst zugelegt. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vom Likudblock muss plötzlich um seinen sicher geglaubten Sieg fürchten.
Gaza ist eine Entscheidungsschlacht
Der Krieg in Gaza ist nicht nur für die Hamas eine Entscheidungsschlacht. Auch die politische Zukunft der israelischen Spitzenpolitiker hängt vom Ausgang der Militäroperation ab. Dieser Krieg kann Barak und Livni einen triumphalen Wahlsieg bescheren - oder zum Albtraum werden.
Wenn man auf einen der Hügel hinter dem Haus der Familie Elmakies klettert, hört man die Explosionen, sieht dicke Qualmwolken über Gaza aufsteigen. Sderot, ein Kaff mit 20.000 Einwohnern und seit acht Jahren Ziel palästinensischer Kleinraketen, liegt nur einen Kilometer Luftlinie vom Gazastreifen entfernt. 10.000 israelische Soldaten sind dort am Samstagabend im Schutz der Dunkelheit mit Panzern eingedrungen. Sie liefern sich erbitterte Kämpfe mit geschätzten 15.000 Hamas-Milizen. "Barak hatte keine andere Wahl, als loszuschlagen. Die Wähler hätten ihn sonst bestraft", sagt Schmuel Sandler vom Zentrum für Strategische Studien in Ramat Gan. Obwohl viele Israelis wegen der ständigen Hamas-Angriffe schon seit Langem einen Militärschlag forderten, habe Barak nichts unternommen - und sich trotzdem als Garant für Sicherheit gegeben. "Keiner konnte das mehr aushalten", sagt Sandler. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu trieb die Regierung wochenlang vor sich her. Der Chef des Likudblocks, einer der besten Rhetoriker, den Israels politische Rechte je hatte, drosch pausenlos auf Barak und Livni ein, verurteilte ihre Tatenlosigkeit, verdammte den Abzug aus Gaza 2005. Nun ist ihm der Wind aus den Segeln genommen. Er kann nur noch betonen, dass er recht hatte, weil er schon immer für den Militärschlag war. Doch das wirkt kleinlich angesichts der blutigen Schlacht.
Netanjahu verteidigt den Krieg
Netanjahu gibt sich als Patriot. Diese Militäroffensive stehe "jenseits aller politischen Differenzen", sagt er. "Ganz Israel ist jetzt vereint." Netanjahu verteidigt den Krieg sogar in Interviews mit großen internationalen TV-Sendern wie al Dschasira oder CNN. Das kostet ihn gewaltige Überwindung mitten im Wahlkampf.
Bis zum Start der Luftschläge lag Netanjahu in den Umfragen klar vorn. Die Finanzkrise rief den Wählern in Erinnerung, dass er Israels "Mr. Economy" war und bis heute ist. Netanjahus Reformen als Finanzminister und Premier machten die Wirtschaft des Landes zu dem, was sie heute ist: modern, erfolgreich, relativ krisenfest.
Seine Gegenspieler konnten da nicht mithalten. Außenministerin Livni baute ihr gesamtes Image auf dem Friedensprozess auf. Sie, die Tochter eines berühmten rechten Likud-Politikers, wendet sich geläutert der Mitte zu, verhandelt mit den Palästinensern und führt Israel in den lang ersehnten Frieden - so lautete ihre ursprüngliche Wahlkampfstory. Aber dann musste die 50-jährige Quereinsteigerin mit ansehen, wie ihr Traum in weite Ferne rückte, als zweite Frau nach Golda Meir Regierungschefin zu werden. Zu wirtschaftlichen Fragen fiel Livni nie etwas Substanzielles ein. Und auf Hilfe von Ministerpräsident Ehud Olmert, einem Mann der Wirtschaft, konnte sie nicht hoffen. Schließlich hatte sie Olmert nach Korruptionsvorwürfen gegen ihn vom Thron der Kadima-Partei gestoßen.
Verantwortung für den Krieg tragen Livni und Barak
Die Provokationen der Hamas vor Weihnachten kamen Livni da wie gerufen. "Genug ist genug!", donnert sie seither immer wieder in die diplomatische Welt hinaus. Plötzlich ist sie nicht mehr die Friedenstaube, sondern ein Falke wie ihr Vater. Unnachgiebig tritt sie dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy entgegen, der eine Waffenruhe fordert. Mit einer hochprofessionellen PR-Schlacht hält sie die internationalen Kritiker in Schach. "Ihr Auftritt ist beeindruckend", sagt der Politologe Ely Karmon vom Interdisziplinären Zentrum Herzlija. "Sie ist sehr klar und gradlinig."
In Friedenszeiten sind Livni und Barak keine politischen Freunde. Doch zurzeit ergänzen sie sich ausgezeichnet: Livni beherrscht das diplomatische Parkett, Barak das Schlachtfeld. Einträchtig saßen die Rivalen am Abend nach dem Beginn der Offensive mit Olmert vor den TV-Kameras. Beide ließen den Premier reden und machten ernste Gesichter. Doch Olmert ist ein Mann der Vergangenheit: Er führt nur noch die Geschäfte bis zur Neuwahl. Die Verantwortung für den Krieg tragen Livni und Barak. Und die beiden hoffen nun, gemeinsam die Wahlen doch noch für das Mitte-links-Lager zu entscheiden.
Barak will "neue Realität" in Gaza
Die Fehler des Libanonkriegs hat die Regierung diesmal vermieden. Barak, der am höchsten dekorierte Soldat Israels, will nun alles richtig machen, was im Libanonkrieg 2006 schieflief: entschlossen und strategisch durchdacht zuschlagen und sich maßvolle Ziele setzen. Erreicht werden soll eine "neue Realität" in Gaza. Barak will die Hamas nicht stürzen oder gar "vernichten", wie sein Vorgänger Amir Peretz einst der libanesischen Hisbollah androhte. Ihm reicht es, die Hamas zu schwächen, von weiteren Angriffen abzuschrecken.
"Ich halte Barak nicht für einen brillanten Strategen", sagt Sicherheitsexperte Karmon. "Er hat in der Vergangenheit als Ministerpräsident Fehler gemacht." Vieles hätten ihm die Wähler bis heute nicht verziehen, darunter auch die gescheiterten Friedensverhandlungen 2000 in Camp David. Aber auch Livni hat ein Problem: Ihr fehlt Erfahrung; sie ist erst seit zehn Jahren in der Politik. In Sicherheitsfragen hat sie nicht mehr als ein paar Jahre beim Auslandsgeheimdienst Mossad vorzuweisen. Barak und Livni sind nur gemeinsam stark. Und beide brauchen nun einen positiven Ausgang in Gaza. "Jeder Erfolg dieses Krieges - was immer das heißt - wird Kadima und die Arbeitspartei stärken", sagt Schlomo Avineri, Politikwissenschaftler an der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Und beide werden dafür sorgen, dass sie dafür die Lorbeeren einheimsen."
"An Frieden glaube ich nicht mehr"
Doch die Bodenoffensive kann auch blutig enden. Je mehr tote Soldaten Israel zu beklagen hat, je ungünstiger eine Waffenruhe ausfällt, desto schlechter stehen die Chancen für Livni und Barak, wiedergewählt zu werden. Die Hamas hat den einrückenden Truppen gedroht, Gaza werde "die Hölle" für sie werden. Diese Hölle will sich Barak künftig aus der Nähe ansehen. Er hat seinen Umzug nach Südisrael angekündigt. In Sderot erzählt man sich, der Minister habe bereits ein Haus in einem Kibbuz nahe der Grenze angemietet. Eti Elmakies freut sich über den künftigen Nachbarn. Sie will Barak auf jeden Fall wählen: Einen klaren Sieg über die Hamas braucht es dazu nicht. "An Frieden glaube ich nicht mehr", sagt Elmakies. "Es soll Ruhe herrschen. Das reicht mir."