Die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete ist nach Auffassung des höchsten UN-Gerichts unrechtmäßig. Auch die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten verstoße gegen internationales Recht. Israel mache sich faktisch der Annektierung schuldig, stellt der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem Rechtsgutachten fest. Das Land müsse die Besatzung "so schnell wie möglich beenden", sagte Richter Nawaf Salam. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat das Urteil als "Lügen-Entscheidung" kritisiert.
"Historisches Urteil" für Palästina
Die palästinensische Seite begrüßte die Entscheidung des UN-Gerichts. Es sei ein "großartiger Tag für Palästina", erklärte am Freitag die Staatsministerin der Palästinenserbehörde für Auswärtige Angelegenheiten, Warsen Aghabekian Schahin.
Das höchste UN-Gericht habe "eine sehr detaillierte Analyse dessen vorgelegt, was durch Israels anhaltende Besatzung und Besiedlung des palästinensischen Territoriums unter Verletzung des Völkerrechts geschieht", sagte Aghabekian der Nachrichtenagentur AFP. Die palästinensische Präsidentschaft sprach von einer "historischen" Entscheidung und forderte, "dass Israel gezwungen wird, sie umzusetzen".
Netanjahu sagte nach der Gerichtsentscheidung, das jüdische Volk sei "kein Besatzer in seinem eigenen Land" – weder in "unserer ewigen Hauptstadt Jerusalem" noch im "Erbe unserer Vorfahren", womit er sich auf das Westjordanland und den Gazastreifen bezog. "Keine Lügenentscheidung in Den Haag wird diese historische Wahrheit verzerren und ebensowenig kann die Rechtmäßigkeit der israelischen Siedlungen in allen Teilen unseres Heimatlandes bestritten werden", betonte der israelische Regierungschef.
Gericht sollte Besatzungfrage im Westjordanland klären
Das Gutachten ist rechtlich zwar nicht bindend. Doch es wird erwartet, dass es den internationalen politischen Druck auf Israel weiter erhöhen wird. Der ist zuletzt wegen des Vorgehens Israels im Gazastreifen erheblich gestiegen. Dort bekämpft Israel nach dem Terrorangriff von Anfang Oktober mit Hunderten Toten die islamistische Hamas. Der Krieg hat schwerwiegende Folgen für die Zivilbevölkerung.
Die UN-Vollversammlung hatte das Gericht beauftragt zu klären, welche rechtlichen Folgen die fast seit 60 Jahren andauernde Besatzungspolitik Israels hat. Das war zwar lange vor Beginn des Gaza-Krieges. Doch auch westliche Kritiker Israels können sich nun gestärkt sehen, Israel zu einem Rückzug zu bewegen und der Gründung eines palästinensischen Staates zuzustimmen.
Israel ignoriert Rechtsgutachten seit 20 Jahren
Israel hatte das Westjordanland, den Gazastreifen und Ost-Jerusalem im Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete aber für einen eigenen Staat. 2005 hatte Israel Gaza wieder verlassen, aber kontrolliert weiter Grenzen zu Land, Wasser und in der Luft.
Es ist das zweite Rechtsgutachten des Gerichtshofes zur Besatzungspolitik Israels. Vor 20 Jahren, im Juli 2004, hatten die Richter bereits erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer gegen internationales Recht verstoße und daher abgerissen werden müsse. Israel hielt sich aber nicht daran.
Das heute vorgestellte Gutachten ist unabhängig von dem anderen Verfahren vor dem UN-Gericht. Südafrika hatte 2023 Israel vor den Gerichtshof gebracht und dem Land wegen der Angriffe auf den Gazastreifen Völkermord vorgehalten. Israel bestreitet diese Vorwürfe.
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