Bei seiner Wahl zum US-Präsidenten im Jahr 2008 gewann Barack Obama am Ende mit deutlichem Vorsprung gegen seinen republikanischen Herausforderer John McCain. Woran sich heute deshalb kein Mensch mehr erinnert: an die einzige Schwäche des Demokraten, mit der McCain ihn im Wahlkampf immer wieder konfrontierte – seine Unerfahrenheit, sein "Greenhorn"-Image.
Obama war erst 47 Jahre alt, als er gewählt wurde, galt als unerfahren und als außenpolitischer Weichling. Der 72-jährige McCain positionierte sich dagegen als Veteran mit ungeheurer Routine, der als Staatsmann in der Welt sofort ernstgenommen werden würde, und kokettierte zudem mit seiner Erfahrung als Soldat in Vietnam.

Joe Biden: Warum Obama ihn zu seinem Vize machte
Obama konterte die Attacken schließlich mit der Ernennung eines außenpolitisch versierten Vizes, entschied sich dabei gegen Kandidaten wie Al Gore oder John Kerry und stattdessen für – Joe Biden. Der hatte im Jahr zuvor noch für Aufregung gesorgt, als er im Rahmen seiner eigenen Kandidatur als potenzieller Präsidentschaftskandidat der Demokraten über Obama sagte: "Ich meine, du hast den ersten Mainstream-Afroamerikaner, der sich zu artikulieren weiß, der klug und sauber und ein gut aussehender Typ ist – ich meine, das klingt wie aus dem Märchenbuch, Mann."
Für Obama spielte diese mehr als unglückliche Einschätzung, mit der Biden sich viel Kritik einhandelte, aber offenbar keine größere Rolle, an seiner Entscheidung änderte sie zumindest nichts. Es sollte der Beginn einer besonderen Freundschaft werden, von der beide einerseits profitierten – Obama aus den oben genannten Gründen, und der ohnehin populäre Biden wurde an seiner Seite endgültig zur liberalen Ikone. Andererseits entwickelten beide über die Jahre ihrer Zusammenarbeit nicht nur Respekt, sondern auch eine mit großem Vergnügen öffentlich zur Schau gestellte Zuneigung.
Nicht nur in der Hauptstadtpresse war diese "Bromance" ein Lieblingsthema, auch durchs Netz geistern bis heute unzählige Memes, GIFs und Clips von Obama und Biden – beim Lunch, beim Drink, beim Schäkern. Biden sei seine erste Personalentscheidung gewesen, sagte Obama später einmal, und seine beste: "Ich habe einen Bruder gewonnen."
Im Januar 2017 krönte der scheidende Präsident Obama die Zusammenarbeit mit seinem Buddy Biden, indem er diesem die präsidiale Freiheitsmedaille – eine der höchsten zivilen Ehrungen in den USA – überreichte. "Dies ist die letzte Chance für das Internet, um über unsere Bromance zu reden", leitete Obama damals seine Lobeshymne auf den Weggefährten ein – kurz darauf vergoss ein überwältigter Vizepräsident ein paar Freudentränen, und das Internet nutzte seine letzte Chance bis zum Exzess. Aber auch in den Jahren zuvor war das Duo ein ständiger Quell der Freude in den sozialen Medien:
Die Auszeichnung mit der Freiheitsmedaille war der Höhepunkt der "O'Bidens", wie die "Washington Post" die Männerfreundschaft einst in Anspielung an Bidens irische Vorfahren nannte, aber nicht der Endpunkt: Gegen Ende des Wahlkampfs 2020 hielt Obama gleich mehrere Reden in umkämpften Swing States wie Florida oder Georgia, um für seinen Kumpel zu trommeln. Inzwischen steht fest: Es hat sich gelohnt. Und auch deshalb dürfte sich für viele Liberale die neue Ära ab Ende Januar auch ein bisschen wie eine dritte Amtszeit von Obama anfühlen.
Es ist zumindest davon auszugehen, dass Biden sich von seinem Freund und Vorvorgänger einiges abgeschaut hat. Denn wie sagte er in der emotionalen Dankesrede nach Erhalt der Freiheitsmedaille über seinen Buddy Barack – es sei leicht gewesen, acht Jahre lang im Namen Obamas zu sprechen, und zwar nicht nur, weil beide dieselbe politische Philosophie und Ideologie teilen würden: "Ich kenne keinen Präsidenten – und nur wenige Menschen in meinem Leben, ich kann sie an weniger als einer Hand abzählen –, die über deine Integrität, deinen Anstand und deinen Sinn für die Bedürfnisse anderer Menschen verfügen."
Im weiteren Verlauf seiner Rede sprach Biden noch ein paar Komplimente an Obama aus, die im aktuellen Kontext beinahe pikant wirken. Er sei als Vizepräsident immer die letzte Person im Raum gewesen, die dem Präsidenten ein paar Tipps gegeben habe, bevor dieser anschließend Entscheidungen über Leben und Tod treffen musste: "Aber dann konnte ich rausgehen", so Biden zu Obama, "und du musstest es alleine machen." Nicht einmal, betonte Biden seinerzeit, habe er anschließend an Obamas Urteilen gezweifelt: "Nicht ein einziges Mal!"
Keine Frage: Biden würde sich freuen, wenn Kamala Harris in vier bis acht Jahren ein ähnliches Urteil über ihn fällen könnte. Denn bald ist er die letzte Person im Raum. Aber im Ernstfall kann Joe dann ganz sicher immer bei Barack durchklingeln.