Ein schwarzes Buch liegt offen in der Kärntner Landesregierung. Menschen kommen vorbei, kondolieren, schreiben etwas hinein. Überall Kränze und Blumensträuße. Rote Kerzen werden angezündet. Die kleinen Flammen flackern durch die Düsternis des Tages. "Die Sonne ist vom Himmel gefallen", sagt Gerhard Dörfler, stellvertretender Landeshauptmann, "und die Uhren sind stehen geblieben heute Nacht".
Jörg Haider ist tot. Stefan Petzner, stellvertretender Obmann des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) kann die Tränen nicht zurückhalten, will es gar nicht. Bei der Pressekonferenz erklärt er mit brüchiger Stimme, dass er seinen Lebensmenschen, seinen besten Freund verloren hat. "Wir müssen jetzt dankbar sein für das, was gewesen ist und was er geleistet hat. Jörg Haider war ein Mensch, der jedem Kärntner mindestens einmal die Hand geschüttelt hat." Einer, der alles liegen und stehen gelassen habe, wenn ein alter Mensch oder ein Kind Hilfe brauchte. "Der größte Kärntner aller Zeiten."
Das südlichste Bundesland ist erschüttert, ganz Österreich betroffen. Alle reden von ihm in tiefer Trauer. Für die einen Lichtgestalt, für die anderen hat er sich vom Beelzebuben der Politik zum Demagogen und in den vergangenen Jahren zum Menschenfreund entwickelt, zum Landesvater, zum Staatsmann. Es gibt niemanden, dem Haider nicht zu denken gegeben hätte, so oder so. Haider, Populist, Rhetorikmeister und Aushängeschild Kärntens.
Jörg Haider wurde am 26. Jänner 1950 im oberösterreichischen Bad Goisern geboren. In seiner Kindheit geprägt vom Nationalsozialismus. Seine Eltern waren vom braunen Gedankengut überzeugt. Robert Haider, sein Vater, war ein Schuhmacher und schon vor dem Anschluss illegales Mitglied der NSDAP.
Nach dem Abitur am Gymnasium in Bad Ischl studierte Haider Rechts- und Staatswissenschaften in Wien. 1973 machte er seinen Abschluss und war bis 1976 Universitätsassistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht. Während seiner Studienzeit war er Mitglied der schlagenden Burschenschaft Silvania Wien.
14 Jahre Parteichef der FPÖ
Mit 20 ging Dr. Jörg Haider in die Politik. 1970 wurde er Bundesobmann des RFJ (Ring freiheitlicher Jugend), 1976 kam er nach Kärnten. Drei Jahre später zog er als Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) in den Nationalrat ein. 1983 übernahm er die Führung der Kärntner Freiheitlichen. Drei Jahre später stürzte seinen Bundesparteiobmann Norbert Steger. Unterstützt vom deutschnationalen Flügel der FPÖ. Der damalige Bundeskanzler, Franz Vranitzky von der SPÖ, löste die bestehende rot-blaue Koalition auf.
1989 schaffte Haider in Kärnten die absolute Mehrheit. Bis dahin war die SPÖ tonangebend, mit Hilfe der ÖVP wurde er Landeshauptmann. 1991 wurde er von SPÖ und ÖVP abgewählt. Der Grund: ein Misstrauensantrag, Haider hatte die "ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" gelobt.
Zehn Jahre später, 1999, wurde Jörg Haider erneut zum Landeshauptmann gewählt. Die FPÖ war wieder stimmenstärkste Partei in Kärnten, die ÖVP half wieder mit. Im selben Jahr, bei den Nationalratswahlen, schaffte die FPÖ unter seiner Führung einen historischen Erfolg: 26,9 Prozent. Damit war Haiders Partei die zweitstärkste Kraft im Land, noch vor der ÖVP.
Proteste und Sanktionen
Jörg Haider und Wolfgang Schüssel bastelten an einer schwarz-blauen Koalition. Ein Aufschrei ging durch ganz Österreich. Die Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten fortan Woche für Woche gegen den Rechtsruck. International verhängte die EU Sanktionen. Zur Vereidigung musste man die neue Regierung unterirdisch an der aufgebrachten Menge und den Journalistenhorden vorbei eskortieren. Bundespräsident Thomas Klestil machte beim Festakt kein Hehl daraus, dass das so ziemlich die letzte politische Konstellation gewesen sei, der er den Regierungsauftrag erteilen hätte wollen.
Haider blieb in Kärnten. Wolfgang Schüssel wurde Bundeskanzler, Haider-Vertraute Susanne Riess-Passer Vizekanzlerin. Die Medien hatten schnell einen Spitznamen für sie: Königskobra. Auch sonst wurde innerhalb der FPÖ immer mehr Gift versprüht. Nicht nur Riess-Passer, auch Karl Heinz Grasser und Peter Westenthaler, zwei seiner engsten Weggefährten, entfernten sich zusehends von Jörg Haider, der mit Kritik an der eigenen Partei um sich warf, insbesondere was die verschobene Steuerreform anging.
Der Eklat zeichnete sich mehr als deutlich ab, 2002 war es soweit. Im steirischen Knittelfeld kam zum Bruch. Riess-Passer, Grasser und Westenthaler traten zurück. Haider wollte den Parteivorsitz wieder übernehmen, entschied sich aber dann anders, angeblich wegen Attentatsdrohungen gegen ihn und seine Familie.
Es kam zu Neuwahlen
Spitzenkandidat für die FPÖ war ein gewisser Herbert Haupt. Was große Auswirkungen auf die folgende Nationalratswahl hatte: nur noch zehn Prozent für die FPÖ. Haider, der dafür verantwortlich gemacht wurde, kündigte seinen Rücktritt als Landeshauptmann an. Doch die Menschen standen hinter ihm. 42 Prozent der Kärntner gaben ihm bei der Landtagswahl 2004 ihre Stimme. Haider wurde noch einmal Landeshauptmann.
Und dann wurde es ruhiger um den einstigen Polit-Rambo. In seinem Bundesland zeigte er sein strahlendstes Lächeln, aber in der Bundespolitik nur noch selten seine Zähne. Im April 2005 gründete Haider dann das BZÖ, und die Dinge wurden wieder komplizierter. Ständige Streitereien mit dem jetzigen FPÖ-Chef H.C. Strache hatten zur Abspaltung geführt. Nur mit Peter Westenthaler versöhnte sich Haider und inthronierte ihn an der BZÖ-Parteispitze.
In Kärnten war das BZÖ eine Macht. Bundesweit nicht. Bei den Wahlen 2006 schaffte die neue Partei mit 4,11 Prozent den Einzug ins Parlament nur sehr knapp. Bei den eben geschlagenen Nationalratswahlen im September trat Haider überraschenderweise selbst als Spitzenkandidat an. Ergebnis: Platz vier, ein Triumph.
Auf einmal war Haider nicht nur in Kärnten ein Held, sondern in ganz Österreich salonfähig. Seine Wandlung vom Rechtspopulisten zum Philantropen fiel auf. Er polterte nicht mehr, er sprach ruhig, er haute nicht mehr mit der Faust auf den Tisch, er zeigte so was wie Fingerspitzengefühl. Die Menschen mochten den charismatischen Populisten. Sie trauten ihm zu, das Projekt Kärnten auf Österreich umzulegen. Er war auf dem besten Weg. Und wurde plötzlich gestoppt. Um 1.18 Uhr auf der Rosentalerstraße am Stadtrand vom Klagenfurt. Er war auf dem Heimweg. Ein paar Stunden später hätte er mit seiner Mutter ihren 90. Geburtstag feiern sollen.