John Kerry Der mit dem Fahrrad durch Berlins Trümmer fuhr

Auf seiner ersten offiziellen Reise als US-Außenminister macht John Kerry in Berlin Halt. In der Bundeshauptstadt verbrachte er seine Jugend als Diplomatensohn - zwischen Trümmern und Führerbunker.

Seine ersten Ausflüge in die Weltpolitik unternahm John Kerry als kleiner Junge mit seinem Fahrrad im Nachkriegs-Berlin. Auf eigene Faust erkundete er Mitte der 50er Jahre die geteilte Stadt, in der seine Eltern Richard und Rosemary zwei Jahre als US-Diplomaten lebten. Die Erfahrungen an der Verwerfungslinie zwischen Ost und West im Kalten Krieg waren prägend für den Mann, der als neuer Außenminister der USA nun erstmals wieder Berlin besucht. "Was ich dort gelernt habe, hat mich ein Leben lang begleitet", sagte er einmal.

Kerry war elf Jahre alt, als sein Vater 1954 nach Berlin versetzt wurde. Die Stadt lag nach dem Weltkrieg in Trümmern, seit der Blockade durch die Sowjetunion 1948 bis 1949 herrschte eine bleierne Atmosphäre. "Ich habe unvergessliche Erinnerungen, wie ich als Kind fasziniert war von den britischen, französischen und amerikanischen Soldaten, die alle ihren Teil der Stadt bewachten. Und wie die Russen an dem kahlen Streifen Wache schoben, der Ost und West trennte", sagte Kerry, als seine Demokraten ihn auf dem Parteitag 2004 zum Herausforderer von Präsident George W. Bush nominierten.

Den Kalten Krieg kennt Kerry nicht aus dem Schulbuch, sondern erlebte ihn als Junge im Alltag. Der "Washington Post" erzählte der Politiker einmal, wie seine Familie bei einem Segelausflug auf einem Berliner See in Panik geriet, als ihr Boot auf das von der Sowjetunion kontrollierte Ufer zudriftete. "Es war eine einschneidende Zeit in meinem Leben", sagte Kerry. "Ich habe damals ein großes Interesse für globale Konfrontationen entwickelt."

Mit dem Fahrrad durch die Trümmer Ostberlins

Mit seinem Fahrrad ging der Diplomatensohn auf Entdeckungstour, noch hatte die DDR die Teilung Berlins nicht mit dem Mauerbau zementiert. Der junge Kerry radelte durch das Brandenburger Tor und besichtigte die Ruinen des Führerbunkers. "Es hat Spaß gemacht, es war ein Abenteuer", wird Kerry in einer Biographie zitiert. "Mit meinem Fahrrad konnte ich meinen Eltern, den Regeln und all diesen Dingen entkommen." Als Kerrys Vater von den Streifzügen im Ostsektor erfuhr, war er alles andere als begeistert und soll dem Sohn Hausarrest aufgebrummt haben.

Vater Richard Kerry arbeitete als Rechtsberater am US-Hochkommissariat am Rande des Grunewalds. Heute beherbergt das Gebäude mit dem mächtigen Säulenportal im Berliner Stadtteil Dahlem das US-Generalkonsulat. Durch seinen Vater habe er die Arbeit der US-Diplomatie schätzen gelernt, sagte Kerry, als er kurz vor Weihnachten eine Anhörung im Außenausschuss des Senats zur tödlichen Attacke auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi vom vergangenen September leitete.

Flüge im Dunkeln

"Als mein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin diente, hat meine Mutter an manchen Abenden nervös auf die Uhr geschaut, wenn er sich zum Abendessen verspätete", erzählte er. Die Narben des Krieges seien in der Stadt noch frisch gewesen. "Aber mein Vater wusste, dass seine Tätigkeit die möglichen Risiken wert war. Genau wie es die Mitarbeiter des diplomatischen Dienstes wissen, die wir heute überall in die Welt schicken."

Kerrys Eltern entschieden, dass ihr Sohn in einem Internat in der Schweiz am besten aufgehoben sei. Kerry ging am Institut Montana Zugerberg in der Nähe von Zürich zur Schule, ab und zu unternahm er die aufregende Reise nach Berlin. In Frankfurt am Main musste er in einen Militärzug umsteigen, der die DDR nur mit verdunkelten Fenstern durchqueren durfte. "Man musste im Ostsektor immer Sichtblenden runterlassen", erinnerte er sich in einem Interview mit dem "New Yorker". "Ich habe gerne mal die Jalousien angehoben und rausgespäht. Soldaten haben dann mit ihren Gewehrläufen herumgefuchtelt."

AFP
Gregor Waschinski/AFP/ono