Vor zehn Jahren nahm ein bis dato Unbekannter die Macht in Nordkorea an sich: Kim Jong Un. Er ergriff die Zügel der Diktatur von seinem verstorbenen Vater Kim Jong Il – der diese ebenfalls von seinem Vater Kim Il Sung übernommen hatte. Nordkorea, ein von einer Dynastie gelenktes Land.
Nach Innen gibt sich Kim Jong Un volksnah und modern. Doch für Beobachter:innen im Ausland ist er ein eiskalter Despot. Repressalien und Kontrolle bestimmen den Alltag der Nordkoreaner:innen, ebenso wie Hunger und Armut. Hinrichtungen und Arbeitslager sind die Mittel des Machtapparates, um der Bevölkerung Angst und Respekt vor dem Regime einzubläuen. Heftige internationale Sanktionen bremsen die wirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas. Dennoch hält Kim eisern an dem Atomwaffenprogramm fest, das schon sein Vater aufbaute.
Kim Jong Un steht vor kritischer Phase seiner Macht
Kim Jong Un war nicht einmal 30 Jahre alt, als er die Macht übernahm. Das besorgte Nachbarländer. Würde das Land instabil werden? Immerhin war der junge Diktator unbekannt, niemand wusste, was er wollte und ob er erfahren genug war. Diese Sorgen sollten sich schnell auflösen, denn Kim säuberte sein Umfeld und festigte seine Macht. Zahlreiche hochrangige politische und militärische Funktionäre ließ er hinrichten, auch seinen Onkel Jang Song Thaek. Zudem soll er seinen Halbbruder Kim Jong Nam mit einem Giftanschlag in Malaysia aus dem Weg geräumt haben.
Es folgten Raketentests, der Ausbau des Atomprogramms und Gipfel mit dem verfeindeten Nachbarn Südkorea. Sogar mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump traf sich Kim Jong Un. Es wirkt so als sei Kims Macht gefestigt und nicht zu zerstören.
Doch der totalitäre Herrscher sieht sich einer kritischen Zeit gegenüber, die ihm und seiner Macht zusetzen könnte. Denn es sind nicht nur internationale Sanktionen, die das abgeschottete Land treffen. Auch die Corona-Pandemie verschärft die ohnehin schon schlechte Situation. Nordkorea schloss schon früh seine Grenzen aus Angst vor dem Virus. Offiziell gilt Nordkorea als corona-frei. Doch Medienberichte legen nahe, dass das Virus das Land längst erreicht hat. Auch Corona-Impfstoffe gibt es dort bislang nicht – und das bei einem mangelhaften Gesundheitssystem. Ein riesiger Corona-Ausbruch hätte also fatale Folgen.
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Corona-Pandemie setzt Nordkorea wirtschaftlich zu
Viel stärker jedoch treffen die Pandemie und die damit geschlossenen Grenzen momentan die Wirtschaft. Beobachter:innen denken deswegen, dass Kim seine wirtschaftlichen Ziele nicht einhalten kann, wodurch seine Autorität beeinträchtigt werden könnte. So hat die Regierung aggressive Schritte unternommen, um inmitten der Grenzschließung des Landes eine stärkere staatliche Kontrolle über die Wirtschaft wiederherzustellen. Ein Rückschlag für Kims frühere Reformen, die private Investitionen umfassten und staatlichen Unternehmen und Fabriken mehr Autonomie und Marktanreize ermöglichten, um die inländische Produktion und den Handel zu erleichtern.
Der aus Nordkorea geflüchtete südkoreanische Abgeordnete Ji Seong Ho berichtete der Deutschen-Presse-Agentur, dass die Preise im einheimischen Markt gestiegen seien. "Die Hauptlast muss die Bevölkerung tragen." Ohnehin sei heute unter jungen Nordkoreanern die "Opposition" gegen Kim größer als zu Kim Jong Ils Zeiten, glaubt Ji.

Dabei hatte der junge Potentat in seiner ersten öffentlichen Rede als Führer Anfang 2012 versprochen, dass die Nordkoreaner:innen "nie wieder den Gürtel enger schnallen müssen". Expert:innen sind der Ansicht, dass, wenn er es nicht schafft die nordkoreanische Wirtschaft anzukurbeln, Kim Probleme bekommen könnte.
Südkoreas Nachrichtendienste teilten kürzlich mit, dass der jährliche Handel Nordkoreas mit dem wichtigsten Handelspartner China bis September 2021 um zwei Drittel auf 185 Millionen US-Dollar zurückgegangen sei. Nordkoreanische Beamte seien alarmiert über Nahrungsmittelknappheit, steigende Warenpreise und einen Mangel an Medikamenten und anderen lebensnotwendigen Vorräten. Zudem würden Krankheiten wie Typhus grassieren. Selbst Kim Jong Un stellte sein Volk auf schwere Zeiten ein: Im Frühjahr sprach er von " zahlreichen Herausforderungen" und der "schlimmsten Situation aller Zeiten". Kim fürchtete eine Hungersnot, wie sie in dem Land schon in den 1990er-Jahren herrschte. Im Oktober 2020 entschuldigte sich Kim sogar bei der Bevölkerung Nordkoreas und räumte unter Tränen ein, dass er es nicht geschafft habe, das Land durch schwierige Zeiten zu führen.

Atomwaffen sind für Kim wichtige Machtmittel
Wie Kim in den kommenden Jahren mit der Wirtschaft umgeht, könnte die langfristige Stabilität seiner Herrschaft und möglicherweise die Zukunft der Dynastie seiner Familie bestimmen, sagte Park Won Gon, Professor für Nordkorea-Studien an der Ewha Womans University in Seoul, der Nachrichtenagentur AP. "Das Atomwaffenprogramm, die Wirtschaft und die Stabilität des Regimes sind alle miteinander verbunden. Wenn das Atomproblem nicht gelöst wird, wird die Wirtschaft nicht besser, und das führt zu Unruhe und Aufruhr in der nordkoreanischen Gesellschaft", so Park.
Die Atom-Verhandlungen mit den USA sind derzeit festgefahren. Dabei spielen die Atomwaffen für Kims Macht eine wichtige Rolle. Der frühere südkoreanische Atomunterhändler Lee Do Hoon erklärte, Kim Jong Un habe schon "unmittelbar nach der Machtübernahme den Kurs auf eine aktive nukleare Entwicklung" gelenkt. Vier der bisher sechs Atomtests durch Nordkorea wurden unter Kim Jong Un durchgeführt, den bisher größten und letzten im September 2017. Zudem trieb er die Entwicklung von ballistischen Raketen, die je nach Bauart auch atomare Sprengköpfe tragen können, voran.
Für Kim sind seine Atomraketen also ein Machtgarant. Warum ist er dann bereit mit den USA und damals mit Donald Trump, der ihn als "Little Rocket Man" verspottete, Abrüstungsgespräche zu führen? Die Sanktionen hätten immer deutlicher werdende Folgen für die Wirtschaft gehabt, sagt Lee. "Er (Kim) benötigte etwas wirtschaftliche Entspannung." Doch solange Kim keine größeren Zugeständnisse bei der atomaren Abrüstung macht, wollte Trump bei den Sanktionen nicht lockerlassen.
"Atomwaffen haben Kim in dieses Schlamassel gebracht"
Doch Kim will seine Atomwaffen nicht aufgeben, meint Andrei Lankov, Professor an der Kookmin University in Seoul. "Das einzige Thema, über das sie (Nordkorea) gerne sprechen, ist nicht der Wunschtraum der Denuklearisierung, sondern Fragen der Rüstungskontrolle", sagte er AP.
Kim könnte jedoch von der Konfrontation zwischen Washington und Peking profitieren, die den strategischen Wert Nordkoreas für China erhöht, so Lankov. China sei bereit, Nordkorea durch Hilfen wie Nahrungsmitteln oder Treibstoff über Wasser zu halten, und das verringere den Druck auf Kim, mit den Vereinigten Staaten zu verhandeln. "Statt Wachstum wird Nordkorea eine Stagnation haben, aber keine akute Krise", sagte Lankov. "Für Kim Jong Un und seine Elite ist das ein akzeptabler Kompromiss."
Anders sieht das Go Myong-hyun, ein leitender Analyst am Asan Institute for Policy Studies in Seoul. "Atomwaffen haben Kim in dieses Schlamassel gebracht, aber er verfolgt die widersprüchliche Politik, die Atomwaffen weiter voranzubringen, um daraus herauszukommen", sagte er AP.
"Das von den USA geführte Sanktionsregime wird bestehen bleiben, und eine Rückkehr zu einer staatlich kontrollierten Wirtschaft war für Nordkorea in der Vergangenheit nie die Antwort und wird auch jetzt nicht die Antwort sein. Irgendwann wird Kim vor der schwierigen Entscheidung stehen, wie lange er seine Atombomben behalten wird, und das könnte relativ bald passieren", fügte Go hinzu.
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Kim und seine Partei beraten über die Zukunft
Dieser Tage will Nordkorea bei einem wichtigen Parteitreffen ihre politische Strategie für die Zukunft festlegen. Wie die Staatsmedien am Dienstag berichteten, wurde am Montag in Pjöngjang in Anwesenheit von Machthaber Kim Jong Un eine Plenarsitzung des Zentralkomitees der herrschenden Arbeiterpartei eröffnet. Zum einen solle "die Umsetzung der wichtigsten Partei- und Staatspolitiken für 2021" geprüft werden. Zum anderen werde über "die strategischen und taktischen Politiken und praktischen Aufgaben" diskutiert und entschieden, um die Entwicklung des sozialistischen Aufbaus auf "die nächste Stufe des Sieges" zu führen. Einzelheiten wurden zunächst nicht genannt. Auch war unklar, wie lange die Sitzung dauern soll.
Kim nutzte diese wichtigen Parteitreffen oft dazu, neue sicherheitspolitische Direktiven auszugeben und seine Position in den Beziehungen zu den USA und Südkorea zu erläutern. Es bleibt fraglich, ob das wieder passieren wird, oder ob er seinem Land einen Weg aus der Krise verspricht – oder sie auf noch schwerere Zeiten einstellt.
Quellen: Nachrichtenagenturen DPA und AP, CNN, "The Guardian", "Stuff", ABC