Frau Tauscher, gerade hat der US-Kongress dem Präsidenten die Gelder für sein strategisches Raketenabwehrprogramm gekürzt. Warum?
Wir nehmen die Bedrohungen etwa aus dem Iran oder Nordkorea sehr ernst, und wir werden uns dagegen zur Wehr setzen. Doch dabei müssen wir die wahren Sicherheitsbedürfnisse der USA und ihrer Verbündeten betrachten. Bislang haben wir jährlich mehr als acht Milliarden Dollar für ein System ausgegeben, das keine glaubhafte Abschreckung bietet. Nur ein einziger Raketentest war bislang unter realen Bedingungen erfolgreich.
Wozu dann die Eile bei der Stationierung von zehn Abfangraketen in Polen?
Trotz des Krieges der Worte wird der Bau des Stützpunktes in Polen in diesem Jahr nicht mehr beginnen. Der soll die USA vor Langstreckenraketen aus dem Iran schützen. Diese Raketen gibt es noch gar nicht.
Wird Europa von dem Schutz profitieren?
Vielleicht irgendwann einmal. Die zehn Abfangraketen in Polen würden vor allem die USA schützen. Bis zu einem Drittel der Nato-Staaten würde nicht unter diesen Schutzschirm kommen. Die Partner im Süden - Griechenland, Türkei, Bulgarien, Rumänien – blieben außen vor. Doch genau diese Länder werden schon heute von Kurz- und Mittelstreckenraketen etwa aus dem Iran bedroht. Sie wären die Verlierer. So geht man mit seinen Verbündeten nicht um. Die USA führen sich in diesem Punkt auf wie ein egoistischer Trottel.
Braucht die Nato eine strategische Raketenabwehr?
Ja. Doch wir glauben, dass gegen die bereits existierenden Bedrohungen mobile Systeme Schutz bieten. Die befinden sich zum Teil auf Schiffen, zum Teil sind sie landgestützt. Sie sind getestet. Und wir möchten, dass die Nato einen Teil der Kosten für diesen Raketenschild übernimmt.
Russlands Präsident Putin droht, Abrüstungsverträge zu kündigen und Raketen gegen Europa zu richten. Beginnt gerade ein neues nukleares Wettrüsten?
Es gibt keinen Grund für das russische Säbelrasseln. Noch nicht einmal Bushs Idee der Raketenabwehr ist eine Bedrohung für Russland. Wir möchten nicht, dass Russland aus den beiden Verträgen über konventionelle Streitkräfte in Europa und über Mittelstreckenraketen aussteigt. Und dann womöglich gegen eine Bedrohung aus China aufrüstet. Wir wollen kein Wettrüsten in Eurasien. Die existierenden Verträge ermöglichen gegenseitige Inspektionen. Sie schaffen Transparenz und Vertrauen. Und das fehlt uns heute: Vertrauen.
Das umfassende nukleare Abrüstungsabkommen Start 1 läuft in zwei Jahren aus. Warum wollen es die USA nicht verlängern?
Dieses Abkommen hat die Welt sicherer gemacht. Doch die Bush-Regierung kümmerte sich nicht um internationale Verpflichtungen. Im Gegenteil: Sie hat Verträge gekündigt und mit ihrer willkürlichen Außenpolitik Normen und Abkommen unterminiert, die über Jahrzehnte die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen beschränkt haben. Wir sollten uns jetzt so schnell wie möglich auf ein Überbrückungsabkommen verpflichten. Das sollte während des Treffens zwischen Putin und Bush kommenden Sonntag in Kennebunkport geschehen. Der Vertrag kann ja bis zu einer Dauer von fünf Jahren verlängert werden. Das würde dem nächsten US-Präsidenten - und auch dem russischen - Zeit geben, ein Folgeabkommen auszuarbeiten.
Auch Russland zögert. Was passiert, wenn der Vertrag nicht verlängert wird?
Dann laufen wir Gefahr, nichts mehr voneinander zu erfahren. Wir würden in eine Art nuklearen Blindflug gehen. Gerade hat Russland auch das geplante Zentrum zum Austausch von Raketenflugdaten auf Eis gelegt - offenbar wegen unserer Raketenabwehrpläne. Dieses Frühwarnsystem wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Sicherheit.
Die US-Regierung will in ihrer Außenpolitik flexibler sein, sich weniger binden...
So wird man der Verantwortung einer Nuklearmacht nicht gerecht. Der Moskauer Vertrag, den Russland und die USA vor fünf Jahren unterschrieben haben, verlangt, die Zahl der Atomsprengköpfe zu reduzieren. Aber wie reduzieren wir die? Wir lagern die Sprengköpfe in Hallen. Das ist die Flexibilität, die diese Regierung propagiert. Der US-Kongress hat jetzt endlich mehr Geld für die Demontage von Sprengköpfen bereitgestellt.
Was hinterlässt Bush seinem Nachfolger?
Vollkommenes Scheitern. Diese Regierung fühlt sich der Abrüstung nicht verpflichtet. Fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer fühlen sich die Menschen in Fragen der atomaren Bedrohung nicht sicherer. Wir verstehen, dass die Deutschen einen neuen Kalten Krieg fürchten. Als mächtigstes Land der Erde müssen wir besonders vorsichtig handeln, dürfen nicht allein vorgehen, müssen mit unseren Verbündeten offen und respektvoll kooperieren. Wir müssen Zusammenarbeit wieder neu lernen.
Soll so die neue bescheidene Außenpolitik eines demokratischen Präsidenten aussehen?
Man kann bescheiden sein - aber deswegen muss man noch lange nicht schwach sein. Im Gegenteil. Wir müssen jetzt unser Haus in Ordnung bringen und unsere Verpflichtungen erfüllen. Vielleicht sollten wir uns dabei ein Beispiel an Deutschland nehmen. Und es mal mit einer Präsidentin versuchen.