Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Angst um mein Auto, einen schwarzen, kleinen BMW, der zufällig da steht, als sie losrennen. Der doch nichts dafür kann, dass sich Obama mit wichtigen, europäischen Menschen treffen wird und es gerade nicht rund läuft in Afghanistan. Ich sitze im Wagen, weil ich was auf dem Stadtplan nachsehen möchte, und nun sind sie plötzlich vor mir, Hunderte Vermummte in schwarzen Kapuzenpullis, und ich weiß nicht, ob ich rennen oder bleiben soll. Zwanzig Meter neben mir treten Jungs und Mädchen gegen die Glasscheiben einer Straßenbahn-Haltestelle, bis ihre Füße in der Reklame stecken, die für einen günstigen Laptop wirbt. Die Frontscheibe eines BMWs ist bestimmt schwächer.
Ich gehe raus aus dem Wagen. Die Vermummten schmeißen Steine in die Luft. Polizisten rasen herbei in schwarzen Peugeots 307, wie Marsmännchen sehen sie aus in ihrer Uniform. Sie schießen Granaten mit Tränengas in die Menge. Ich bin dummerweise jetzt Teil dieser Menge und atme den Rauch ein. Meine Nase fühlt sich an, als ob ich Minuten lang Salzwasser geschnieft hätte. Meine Augen tun das, was sie tun sollen: brennen. Und plötzlich rennen die Jugendlichen auf mich zu - und glücklicherweise an mir vorbei. Von den zwei Hubschraubern, die gerade über uns kreisen, muss das so aussehen wie ein Ameisenhaufen, in den ein Riese gestapft ist.
Spontaner Zulauf
Donnerstag Nachmittag, 15 Uhr, die ersten großen Krawalle in Straßburg, der erste große Kampf der Chaoten mit der Polizei, es gab keine Verletzten, und der BWM hat keine Kratzer. Das sei deshalb so, weil dort, wo es passierte, viele Einwanderer wohnen, vor allem arabisch sprechende Menschen, sagt Eric. Eric ist Fotograf und lebt in Straßburg. Die Vermummten wissen, dass die Leute aus Marokko und Algerien ihre Familie rufen, wenn ihrem Wagen was passiert. Dass dann die arabischen Gesetze gelten.
Und so tritt ein, was solche Situationen so gefährlich macht, sie eskalieren lassen kann: dass sich Leute plötzlich einer Menge anschließen. Jugendliche aus Einwandererfamilien, die zufällig draußen sind, rennen mit den Vermummten mit, brüllen und treten gegen alles, was an öffentlichen Gütern rum steht, obwohl sie oft gar nicht verstehen, worum es den Vermummten geht. Sie sehen so aus, als ob sie das schon immer mal machen wollten, losziehen, hauen.
Die "scheiß Presse" im Idealisten-Camp
Sie rennen einen halben Kilometer weiter, zu einem Polizeigebäude, das sie platt machen wollen. Sie versuchen, ein Blechtor aufzurollen. Das Haus wurde kurz zuvor evakuiert. Die Polizisten werden mehr, die Jugendlichen rennen weiter, in einen Wald, der in der Nähe ihres Camps ist, wo die Demonstranten ihre Zelte aufgebaut haben. Es ist jener Ort, der den Menschen da draußen zeigen soll, wie schlecht die Nato ist, der Kapitalismus, die Welt im Allgemeinen.
Das Camp ist auf einer Wiese in Ganzau, einer Provinz vor Straßburg, in der ein paar Elsässer wohnen, die stolz auf ihren Schäferhund sind. Wer Bier möchte, muss vier Kilometer weit laufen. Das ist schlecht für die Stimmung. Das einzige Spannende, das hier seit Tagen passiert, sind die Kamerateams, die ständig vorbeischauen und die ständig beschimpft werden, weil sie zur "scheiß Presse" gehören. Das gefällt den Kameraleuten, weil die Jugendlichen das alles in die Kamera sagen. Am Nachmittag sagt ein Mädchen aus Baden-Württemberg, was ein Team von Spiegel-TV hören möchte, nämlich dass der Verfassungsschutz bei ihr klingelte, die Mama die Tür aufmachte, und der Verfassungsschutz sie anheuern wollte, um Spione im Camp zu habe.
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Erst zuschlagen, dann nachfragen
Ein paar Hundert Jugendliche sind schon da, und bis zum Samstag, wenn Obama konferieren und lang und schönreden wird, sollen es mehrere Tausend sein. Die paar Hundert, die sich ein "Rodeo" mit der Polizei lieferten, so nannte die Lokalzeitung die Krawalle, werden nicht viel davon mitbekommen, da viele von ihnen am Ende auf dem Boden lagen, mit Kabelbindern gefesselt. Ein französischer Polizist sammelte die Ausweise ein und sagte: "Jetzt machen wir es wie in der Schule." Die Hand hoch, wer aufgerufen wird. Dann ab in den Wagen. Am Abend, um 19 Uhr, endeten die ersten großen Krawalle, und die Polizei war endgültig Sieger. "Die deutschen Polizisten überlegen viel zu viel", sagt ein Deutscher, der im Elsass arbeitet. Er hat sich den Einsatz vom Straßenrand aus angeguckt. "Die Franzosen hauen im Ernstfall zuerst drauf und fragen danach, ob man denn überhaupt dabeigewesen sei." Die Deutschen kontrollieren lieber Pässe, und das machen sie genauer als ihre französischen Kollegen.
Michael aus Karlsruhe, 32 Jahre alt und ohne festen Wohnsitz, sitzt seit Mittwoch in Kehl fest, auf der anderen, der deutschen Seite des Rheins. Ein Beamter hatte ihn durchsucht und laut Protokoll "eine Brille, einen Schal und ein Messer" gefunden, jene Dinge, die ihm aufgrund von "polizeilicher Gefahrenabwehr" abgenommen wurden. Michael sitzt nun mit "dem Captain", wie er seinen Kumpel nennt, auf einer kleinen grünen Wiese, die zwei Straßen trennt. Diese Handvoll Leute will den Presseleuten glaubhaft machen, dass es täglich "hunderten Kollegen" genauso ergehe. Sogar auf Güterzüge hätten sich diese geschmissen, um ins Camp zu kommen.
Unterbrochener Warenverkehr
Die Geschäftsleute in Kehl haben derweil mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Zwei französische Polizisten halten mit ihren Motorrädern vor dem Laden von Hussein, 44. Seit mehr als fünf Jahren betreibt er einen Tabakladen, wie so viele hier in diesem Grenzort, die viel Umsatz machen mit Franzosen, die möglichst viel Tabak über die Grenze nehmen wollen. 400 Sorten habe er im Angebot. Doch außer französischen Polizisten kauft kaum jemand Zigaretten in diesen Tagen. Der Umsatz sei um 60 Prozent eingebrochen.
"Die Polizisten wissen, dass sie niemand kontrolliert", sagt Hussein. Aber die Stammkunden, vor allem die Araber und Türken aus Frankreich, die würden gar nicht mehr kommen. Die haben Angst vor den Kontrollen. Jeder mit einem muslimischen Namen werde durchsucht, weil es Warnungen vor terroristischen Anschlägen gebe, sagt Hussein. Ein Bekannter, der aus dem Irak stamme, sei vor Tagen vor seinem Laden von Beamten befragt worden. Aber so richtig, zwei Stunden lang, "der wurde 100 Prozent durchgefilzt".