Als Nordkorea im vergangenen Jahr einen atomaren Sprengsatz getestet hat, hatte China nur milden Tadel übrig und forderte eine Rückkehr zur Diplomatie. Als im März das südkoreanische Kriegsschiff "Cheonan" vermutlich von der nordkoreanischen Marine versenkt wurde und 46 Seeleute ums Leben kamen, äußerste Peking verhalten sein Beileid, nannte die Beweise jedoch unzureichend. Und auch nach dem Artillerieangriff der nordkoreanischen Streitkräfte auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong am Dienstag findet China gegenüber dem kommunistischen Regime in Pjängjang keine deutlichen Worte.
"Es besteht keine Chance, dass China massiven Druck auf Nordkorea ausübt", sagt Shi Yinhong, Professor für Internationale Beziehungen an der Renmin Universität in Peking. Als wichtigster Verbündeter und größter Lieferant von Lebensmitteln und Brennstoff sollte China über beträchtlichen Einfluss auf Nordkorea verfügen. Auf dem Weg zur politischen und wirtschaftlichen Weltmacht ist die chinesische Führung jedoch vor allem an Stabilität interessiert. Experten gehen davon aus, dass Peking dafür auch bereit ist, über gelegentliche Provokationen aus Nordkorea hinwegzusehen.
China fürchtet Veränderungen
China will keine Veränderungen in der Region: Würde das Regime in Pjängjang zusammenbrechen, befürchtet China Hunderttausende nordkoreanische Flüchtlinge in seinen Nordprovinzen, die sich gerade erst von schweren wirtschaftlichen Problemen erholen. Sollte es sogar zum Krieg kommen und Südkorea siegen, stünde ein Verbündeter der USA mit amerikanischen Truppen im Land an der chinesischen Grenze.
Entsprechend zurückhaltend fallen die Kommentare der chinesischen Führung zum Angriff am Dienstag aus. China sei gegen jede Art militärischer Provokation und fordere alle Parteien zur Wiederaufnahme der Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm auf, sagte Ministerpräsident Wen Jiabao. "Alle Parteien sollten Zurückhaltung üben und die internationale Gemeinschaft sollte sich noch stärker darum bemühen, die Situation zu entspannen", sagte Wen auf einem Staatsbesuch in Russland. Den Verbündeten Nordkorea erwähnte Wen dabei mit keinem Wort.
Staatliche Medien in China berichteten äußerst neutral über den Zwischenfall im Gelben Meer und nannten den nordkoreanischen Angriff einen "Schusswechsel". Bereits nach dem Beschuss der "Cheonan" hatte China dem nordkoreanischen Partner vor den Vereinten Nationen den Rücken gestärkt.
USA fordern deutliche Worte von Peking
Chinas einseitige Unterstützung für das Regime in Pjängjang erscheint irrational und verstört nicht nur die Anrainerstaaten. Auch die transpazifischen Beziehungen könnten zwei Monate vor dem geplanten Staatsbesuch von Präsident Hu Jintao in den USA leiden. US-Präsident Barack Obama forderte Peking auf, seinen Verbündeten zu bremsen. China müsse Nordkorea klar machen, dass weitere Provokationen inakzeptabel seien, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, P.J. Crowley.
Trotz einer Erhöhung der Lebensmittel- und Rohstofflieferungen nach Nordkorea in den vergangenen Jahren und der Intensivierung der politischen Kontakte nach Pjängjang bezweifeln viele Beobachter, dass Peking tatsächlich über großen Einfluss auf Nordkorea verfügt. "Selbst wenn die Chinesen Nordkorea sagen, was es zu tun hat, ist es unwahrscheinlich, dass es auf sie hört", sagt Gong Keyu vom Institut für Internationale Studien in Schanghai.