Menschen, die Mut machen "Seid jemand!"

Von Tilman Wörtz
In der Adventszeit stellen wir jeden Tag einen Menschen vor, den sein Engagement für andere oder der Umgang mit dem eigenen Schicksal auszeichnet. Heute: Fatmata Sesay aus Sierra Leone. Mit 13 Jahren wurde sie verschleppt, befand sich fünf lange Jahre in der Gewalt von Rebellen. Jetzt geht sie wieder zur Schule und jobbt als Radio-DJ.

Ab 16 Uhr muss die Welt draußen bleiben. Schaumstoffplatten an den Wänden des Studios schlucken jeden Laut, Licht schimmert nur durch einen rot-gelben Fetzen. Hinter Boxen und einem Gewirr aus Kabeln sitzt eine zierliche Frau am Mikrofon. Eine Haarsträhne verdeckt ihr hübsches Gesicht, ihre Finger greifen in die Regler des Mischpults.

Fünf Jahre in der Gewalt der Rebellen

"Radio BARTH. Das Radio für Milch und Honig, die Stimme des Volkes!", haucht Fatmata Sesay aus Sierra Leone. Geschickt und selbstbewusst leitet sie durchs Programm. Doch die junge Frau war nicht immer so souverän. Als sie 13 Jahre alt war, überfielen Rebellen ihr Dorf. Wenn sie heute davon erzählt, wird ihre Stimme ganz schwach. Die Menge rannte in Panik auseinander, Fatmata wollte sich im Wald verstecken. Doch die Rebellen packten sie. Fünf Jahre lang muss sie kochen, waschen und Gepäck schleppen, wenn die Rebellen mordend durchs Land zogen. Schießen musste sie nie. Ob sie auch vergewaltigt wurde wie so viele andere Mädchen, darüber spricht sie nicht.

Menschen, die Mut machen

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die anderen helfen und in scheinbar ausweglosen Situationen Mut machen. Menschen, die oft selbst nichts besitzen, wegen ihres sozialen oder politischen Engagements bedroht werden und doch nicht aufgeben. Das Hilfswerk der evangelischen Kirche Deutschlands, "Brot für die Welt", unterstützt diese Menschen. Mit Spenden und mit praktischer Hilfe zur Selbsthilfe. So entstanden unzählige Projekte auf allen Kontinenten. In diesem Jahr feiert die Organisation den 50. Jahrestag ihrer Gründung. stern.de stellt während der Vorweihnachtszeit in einer Kooperation mit "Brot für die Welt" 26 Menschen vor, die von der Hilfe aus Deutschland profitiert haben - und nun selber zu Helfern geworden sind: zu Menschen, die Mut machen.

Nach fünf Jahren Dschungelkrieg sollte sie Frischwasser holen abseits des Camps. Sie nutzte die Chance und floh. Nach zwei Kilometern traf sie auf zwei Frauen. Sie flehte um Hilfe, doch sie wurde verscheucht. Auch ihr Onkel wollte sie nicht aufnehmen. Von ihren Eltern fehlt bis heute jede Spur. Erst die Organisation MADAM gab ihr Unterkunft. MADAM hat eine Schule für Waisen und ehemalige Kindersoldaten, die oft seit Jahren keine Schulbank mehr gedrückt haben und zu verstört sind, um in einer normalen Schule mitzukommen.

Sierra Leone

Sierra Leone ist eine Republik in Westafrika. Laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen ist die frühere britische Kolonie das am wenigsten entwickelten von 177 untersuchten Ländern. Nach einem Jahrzehnt blutigen Bürgerkriegs ist das Land nun mit seinem Wiederaufbau und der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte beschäftigt.

"Monatelang konnte ich nicht sprechen", erinnert sich Fatmata. Nur ganz langsam kehrten ihre Lebensgeister zurück. Sie wurde zur Näherin ausgebildet und eröffnete ihre eigene kleine Schneiderei. Doch Fatmata wollte mehr sein als Schneiderin. "Schon als Kind habe ich davon geträumt, Radiomoderatorin zu werden." Als sie eine Stellenausschreibung des Gemeinderadios las, bewarb sie sich. Seither liest sie Nachrichten, führt als rasende Reporterin Interviews und macht ihre eigenen Shows.

Nächstes Ziel: Schulabschluss

Zum Leben reicht das Gehalt als Radiomoderation bislang nicht aus. "Richtig professionelle Journalistin kann ich nur werden, wenn ich studiert habe. Dafür muss ich die Sekundarstufe der Schule nachholen. Und dafür brauche ich etwas Geld, um zu leben", sagt Fatmata. Eine internationale Hilfsorganisation unterstützt sie dabei.

Es geht nicht um viel, nur etwas Essen jeden Tag. "Sonst hätte ich keine Chance", sagt sie. Sie fährt Reggae-Musik hoch, blendet ihre Stimme in Abständen dazwischen: "Die Zukunft scheint!", sagt sie. "Wir sind alle talentiert auf die Welt gekommen!" - "Seid jemand!"