Zwei Tage vor den wichtigen Midterm-Wahlen steht Donald Trump auf einer Bühne in Miami-Dade. "Wir brauchen einen Erdrutschsieg, der so groß ist, dass die radikale Linke ihn nicht manipulieren oder stehlen kann", heizt der Ex-US-Präsident die Menge an – und rühmt sich damit, speziell Latino-Wähler zur republikanischen Partei gebracht zu haben.
In Miami-Dade, das lange als demokratische Hochburg galt, machen Latinos rund 69 Prozent der Bevölkerung aus. 2016 gewann Hillary Clinton den Bezirk deutlich mit 30 Prozent Vorsprung, vier Jahre später holte Joe Biden ihn nur noch mit sieben Punkten. Nun könnte Floridas bevölkerungsreichster Bezirk zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten in die Hände der Republikaner fallen.
Nicht nur im "Sunshine State" werden Latino-Wähler bei den Midterms am Dienstag eine entscheidende Rolle spielen. In den beiden – für die Kontrolle im Senat – ausschlaggebenden Swing States Arizona und Nevada stellen sie rund ein Fünftel der Wählerschaft dar. Und auch in mehr als einem Dutzend heiß umkämpfter Rennen um das Abgeordnetenhaus machen Latinos mehr als 20 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler aus – darunter in Kalifornien, Colorado, New Mexico, Oregon, Pennsylvania und Texas.
Latinos könnten wichtige Swing-States-Rennen entscheiden
Mit knapp einem Fünftel der Bevölkerung stellen Latinos und Hispanics die größte Minderheit in den Vereinigten Staaten. Zum Vergleich, insgesamt gibt es ungefähr dreimal so viele Latinos wie Asian Americans und etwa doppelt so viele wie Afroamerikaner. Dies macht sie zu einer der wichtigsten Wählergruppen in den USA – und eine, die sich über viele Jahre hinter der demokratischen Partei versammelte.
Als die Demokraten bei den Midterms 2018 das Abgeordnetenhaus eroberten, unterstützten circa zwei von drei Latinos demokratische Kandidaten. Doch schon bei den Präsidentschaftswahlen zwei Jahre später musste die Partei von Präsident Biden feststellen, dass ihre traditionell hohen Werte unter Latinos erstmals landesweit zurückgingen. In diesem Herbst scheint sich der Trend fortzusetzen. Auch wenn aktuellen Umfragen zufolge noch immer rund 63 Prozent der Latino-Wählern die demokratische Partei gegenüber den Republikanern (36 Prozent) favorisieren, ist dieser Vorsprung im Gegensatz zu vorherigen Jahren deutlich geschrumpft.
Für den republikanischen Medienstrategen Giancarlo Sopo sind die Demokraten selbst Schuld an ihren Verlusten. "Die demokratische Partei bewegt sich eindeutig in eine linke Richtung, sei es in wirtschaftlichen oder soziokulturellen Fragen, aber die meisten Hispanics haben einen gesunden Menschenverstand und sind Wähler der Mitte mit traditionellen und konservativen Werten", erklärt Sopo gegenüber "CBS News". "Die Leute haben die Demokraten einfach satt, die unsere Gemeinschaften für selbstverständlich gehalten haben".
Hinzukommt, dass die Republikaner ihre jahrzehntelangen Bemühungen intensiviert haben, mehr Latino-Wähler auf ihre Seite zu locken. Im Jahr 2020 wurde dies besonders im Süden von Florida und Texas sichtbar. Trumps Wahlkampfteams richteten ihre "Vamos"-Kampagnen speziell auf potenziell aufgeschlossene Latinos aus, indem sie Demokraten als Sozialisten bezeichneten und behaupteten, Bidens Partei unterstütze offene Grenzen. Mit dem Fokus auf Werte wie Patriotismus, Familie, Gemeinschaft und Glaube sei die Partei das natürliche politische Zuhause für Latinos, so die Argumentation.
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Wirtschaft für Latinos in Midterms Hauptthema
Vielfältig in ihrer Demographie und ihrer geographischen Herkunft, lassen sich Latino-Wähler jedoch kaum über einen Kamm scheren. So dominieren in Kalifornien, Texas und den südwestlichen Bundesstaaten vor allem mexikanische Amerikaner die Latino-Bevölkerung. In Florida hingegen mischen sich kubanische Amerikaner und Puertoricaner zunehmend mit Einwanderern aus südamerikanischen Ländern wie Venezuela. Das heißt konkret: Lassen sich kubanische Amerikaner mit antikommunistischen Botschaften motivieren, überzeugt das noch lange keine mexikanischen Latinos.
Ebenso wie für eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler stehen auch für Latinos wirtschaftliche Fragen im Vordergrund der Midterms. Viele haben sich in den USA ihre Existenz mit Familienunternehmen aufgebaut. Sie leiden nun besonders unter einer Kombination aus steigenden Preisen für Lebensmittel, Sprit und Miete sowie den Nachwirkungen der Corona-Lockdowns. In einigen Bundesstaaten wie Nevada hatten die pandemiebedingten Schließungen zu massiven Arbeitsplatzverlusten im Gastgewerbe geführt, wo besonders viele Latinos beschäftigt waren.
Nach der Wirtschaft als Thema Nummer eins folgen für Latino-Wähler laut einer Studie des "Pew Research Centers" die Bereiche Gesundheitsversorgung, Bildung, Gewaltverbrechen und Waffenpolitik. Lange waren Demokraten davon ausgegangen, dass viele Latinos ihre Wahlentscheidungen vor allem von Migrationsfragen abhängig treffen. Nun landet das Thema jedoch erst an neunter Stelle – und auch hier zeigen sich die unterschiedlichen Ansichten der vielfältigen Wählergruppe. Während einer "Washington Post-Ipsos-Umfrage" zufolge rund 80 Prozent der Latinos eine Staatsbürgerschaft für illegale Einwanderer befürworten, sagen gleichzeitig sechs von zehn, dass sie eine strengere Grenzpolitik unterstützen.
"Die Demokraten denken, dass Latinos sie automatisch wählen müssen, weil Trump Mexikaner als Vergewaltiger bezeichnet hat", bringt es US-Korrespondentin Juliane Schäuble im Gespräch mit dem stern auf den Punkt. "Damit machen sie es sich zu einfach."
Demokraten haben Latino-Wähler vernachlässigt
Fest steht, allein durch den demographischen Wandel werden Latinos in den USA künftig eine immer wichtigere Rolle spielen – sowohl in der Politik als auch in anderen Gesellschaftsbereichen. Mit Blick auf die Wahlen 2024 wird die Herausforderung für beide Parteien sein, die richtige Botschaft zu finden, um Latino-Wähler (neu) für sich zu gewinnen. Dabei zeigt der aktuelle Trend deutlich, dass sich die demokratische Partei zu lange auf ihrem Vorsprung ausgeruht hat.
Dass Latinos grundsätzlich immer konservativer werden, glaubt Marcelo Suárez-Orozco, Direktor der University of Massachusetts in Boston, jedoch nicht. Stattdessen, sagt er in der "New York Times", würden diese mit der Zeit immer amerikanischer und ahmten Mainstream-Normen wie Heiraten und einer starken Verbindung zum Arbeitsmarkt nach. "Die vorherrschende Metapher für Hispanics nach den Wahlen im letzten halben Jahrhundert war "der schlafende Riese'", so Suárez-Orozco.
Die am Dienstag alles entscheidende Frage wird sein, ob sich der "schlafende Riese" nach links – oder nach rechts wendet.
Quellen: "NY Times", "Washington Post", "The Atlantic", "CBS", "NPR", "Pew Research", mit AFP-Material