Anfangs als Provinz-Posse und »komische Oper« belächelt, ist der Streit zwischen Spanien und Marokko um die winzige Mittelmeer-Insel Perejil zu einer ernsten Krise geworden. Kaum jemand hatte es tatsächlich für möglich gehalten, aber Madrid hat die Drohungen der vergangenen Tage wahr gemacht und die Hand voll marokkanische Soldaten von dem öden Felseneiland am Mittwoch mit militärischer Gewalt vertrieben. In Rabat sei dies regelrecht als Erniedrigung durch den reichen Nachbarn jenseits der Straße von Gibraltar aufgefasst worden, hieß es. Eine Regierungspartei in dem nordafrikanischen Land sprach gar von einer »Kriegserklärung«. Ob nun eine weitere Eskalation droht, vermag noch niemand zu sagen.
Eliteeinheiten, Kampfhubschrauber und Kriegsschiffe
Es war kurz nach sechs Uhr morgens und noch dunkel, als spanische Eliteeinheiten, unterstützt von Kampfhubschraubern, Kriegsschiffen und U-Booten, die ansonsten nur von Ziegen bewohnte Insel erstürmten. Es muss alles blitzschnell gegangen sein. Die marokkanischen Soldaten ergaben sich kampflos, es fiel kein einziger Schuss, wie es in Madrid hieß. Als erstes rissen die Spanier dann die marokkanische Flagge vom Mast und hissten die ihres eigenen Landes.
»Schießt Spanien nicht mit Kanonen auf Spatzen?«, fragen sich manche Kommentatoren angesichts der mächtigen »Armada«, die das Land aufgeboten hat. Aber um die Insel Perejil geht es nur vordergründig. In Madrid war die Furcht laut geworden, Marokko werde versuchen, auch nach den Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla zu greifen, die seit 500 Jahren zu Spanien gehören und ebenfalls von dem nordafrikanischen Land beansprucht werden. Manche fühlten sich gar an den »Grünen Marsch« erinnert, mit dem 350 000 Marokkaner, angeführt von dem damaligen König Hassan II., die Kolonialmacht Spanien 1975 - ohne Blutvergießen - aus der Westsahara vertrieben hatten.
Zwei Tage vor der spanischen »Rückeroberung« der »Petersilien-Insel« hatte Rabat in einer Note an das Madrider Außenministerium Ceuta und Melilla mit seinen rund 130 000 Einwohnern als »besetzte Städte« bezeichnet, die kleine Insel dagegen als »befreites Gebiet«. Für Spanien war dies mehr als eine Provokation. »Wir lassen uns nicht vor vollendete Tatsachen stellen«, warnte Ministerpräsident José María Aznar. Und auch der Ton in der Presse hatte sich verschärft, manche Blätter warfen Madrid Tatenlosigkeit vor. So forderte die regierungsfreundliche Zeitung »El Mundo«, der marokkanische König Mohammed VI., »ein Diktator mit Krone«, müsse eine schlagkräftige Antwort erhalten.
Die Fetzen sind geflogen
Zu dieser entschloss sich Madrid, nachdem die EU und auch die NATO Spanien den Rücken gestärkt und Marokko ebenfalls zum sofortigen Abzug seiner Soldaten aufgefordert hatten. Zwar hatten die Außenminister beider Länder, Ana Palacio und Mohammed Benaissa, wenige Stunden vor der Militäraktion noch miteinander telefoniert und danach erklärt, sie strebten eine diplomatische Lösung an. Aber in dem Gespräch muss es vielmehr zum Bruch gekommen sein. »Es war ein offenherziger Meinungsaustausch«, hieß es offiziell. In der Sprache der Diplomaten bedeutet dies: Die Fetzen sind geflogen.
Die Empörung auf spanischer Seite muss groß gewesen sein. Denn kurz darauf zog Madrid seinen Botschafter aus Rabat ab. Und selbst wirtschaftliche Sanktionen, eine Verschärfung der Visa-Bestimmungen oder die Aufkündigung des Freundschaftsabkommens mit Marokko aus dem Jahre 1991 wurden als Reaktionen vom Tisch gefegt, obwohl sie bislang als nächster Schritt in Erwägung gezogen waren. Nun sind die Beziehungen zwischen Spanien, einem EU-Staat und NATO-Mitglied, und Marokko, einem wichtigen Partner des Westens in der Arabischen Liga, vermutlich auf lange Zeit empfindlich gestört.
Jörg Vogelsänger