Militärgeschichte Käfig-Skandale und Menschenexperimente

Die US-Bürger wollen nicht glauben, dass Truppen ihres Landes während des Krieges Gräueltaten verübt haben. Dabei ist die Militärgeschichte voll von solchen Berichten. In einer ähnlichen Lage sahen sich die USA zuletzt 1969.

Die Militärgeschichte ist voll von Berichten über den Missbrauch von Kriegsgefangenen. Seit es Kriege gibt, gibt es schließlich Kriegsgefangene und damit auch immer wieder Fälle von Folterungen und Erniedrigungen. Auf die kürzlich aufgedeckten Misshandlungen durch US-Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib reagierte die amerikanische Bevölkerung mit besonders heftiger Empörung. Experten sind sich einig: Die US-Bürger wollen nicht glauben, dass Truppen ihres Landes solche Gräueltaten verüben.

"Wir verehren unsere Streitkräfte"

"Wir sind immer die Guten, wir sind diejenigen, die Schokolade verteilen und den Kindern den Kopf streicheln, nicht diejenigen, die Kriegsgefangene sexuell missbrauchen, darum glauben wir das nicht", sagt der Militärhistoriker Douglas Brinkley. "Wir verehren unsere Streitkräfte so sehr. In einem Land, in dem es keine dauerhaften politischen Helden gibt, ehren wir die Truppen als Männer und Frauen, die für Demokratie stehen."

Inzwischen entschuldigte sich US-Präsident George W. Bush öffentlich für die Misshandlungen, nahm aber seinen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gegen Rücktrittsforderungen in Schutz. Das Pentagon sieht sich unter Druck, weil es bereits vor zwei Monaten in einem Bericht über Gefangenenmisshandlungen informiert worden war.

Aufschrei in der Bevölkerung

In einer ähnlichen Lage sah sich das Verteidigungsministerium zuletzt 1969, als acht Angehörigen einer US-Spezialeinheit vorgeworfen wurde, in Vietnam einen Doppelagenten getötet zu haben. Der so genannte Green-Beret-Mordfall ging nie vor Gericht, weil der damalige Verteidigungsminister Melvin Laird die Vorwürfe fallen ließ. Einen Aufschrei in der Bevölkerung lösten damals auch Berichte über Tigerkäfige auf der Gefängnisinsel Con Son aus: Darin soll das von den USA gestützte Regime in Saigon Häftlinge festgehalten und gefoltert haben. US-Truppen waren nicht direkt in die mutmaßlichen Misshandlungen verwickelt, die Käfige waren jedoch von dem US-Unternehmen RMK-BRJ gebaut worden, einem Vorläufer der Halliburton-Tochter KBR, die heute in Irak tätig ist.

Amerikanische Soldaten wurden jedoch auch selbst gefangen genommen und in Haft misshandelt. So gerieten 29 Soldaten in Südvietnam in die Gefangenschaft der Vietcong und wurden in Dschungellagern teilweise in Käfigen festgehalten. Etwa die Hälfte von ihnen wurde getötet oder starb in Haft.

Der ehemalige Geheimdienstspezialist des Heeres, John Giannini, befragte ein Jahr lang Häftlinge in Vietnam und kam zu dem Schluss, dass die US-Truppen ihre Gefangenen nicht misshandelten. "Das war kontraproduktiv: Wenn man sie misshandelte, erzählten sie einem alles Mögliche, um das zu stoppen", erklärt Giannini. Allein die Drohung, die Häftlinge den südvietnamesischen Truppen zu übergeben, habe viele zum Reden gebracht. "Wir wussten, dass die Südvietnamesen sie misshandeln", sagt Giannini weiter. "Darum haben wir gesagt 'Wenn du nicht redest, müssen wir dich den Südvietnamesen überstellen'. Zwing mich nicht, das zu tun'." Gemeinsam mit dem Massaker in dem vietnamesischen Dorf My Lai wurden der Fall der Green Berets und der Käfig-Skandal zum moralischen Wendepunkt im Vietnamkrieg.

Gräueltaten auch im Zweiten Weltkrieg

Zu Gräueltaten weitaus größeren Ausmaßes war es zuvor im Zweiten Weltkrieg gekommen. So zwangen japanische Truppen 1942 auf den Philippinen tausende Gefangene zu einem 88 Kilometer langen Gewaltmarsch zu ihren Lagern. Zwischen 7.000 und 10.000 Häftlinge kamen dabei ums Leben. 1944 töteten Angehörige einer SS-Division nahe der belgischen Stadt Malmedy mehr als 70 gefangen genommene US-Soldaten, die sich zuvor ergeben hatten. Jahre nach Kriegsende wurden Einzelheiten über die Einheit 731 der japanischen Streitkräfte bekannt: Sie führte zwischen 1936 und 1945 Experimente an gefangenen chinesischen Soldaten und Zivilisten, Russen und einigen westlichen Kriegsgefangenen durch. Etwa 9.000 Menschen sollen ums Leben gekommen sein, bevor das Labor in den letzten Kriegstagen geschlossen wurde.

AP · DPA
Richard Pyle/AP